Stickstoffdioxid-Gefahr unter Experten umstritten
Die gesundheitlichen Gefahren von Stickoxiden aus Dieselabgasen für die Gesundheit der Bevölkerung ist unter Experten umstritten. Bei einer Anhörung vor dem Abgas-Untersuchungsausschuss des Bundestages unter Vorsitz von Herbert Behrens (Die Linke) sagte Prof. Dr. Annette Peters vom Helmholtz-Zentrum München am Donnerstag, 8. September 2016, es gebe zu dem Thema immer mehr Studien und immer mehr Argumente, Stickstoffdioxid (NO2) ernst zu nehmen. Es gebe einen Zusammenhang zwischen einer hohen NO2-Langzeitbelastung sowie Atemwegs- und Herz-Kreislauferkrankungen bis hin zu Todesfällen. Aus Sicht von Peters ist der Effekt klein, aber statistisch belastbar. Die Epidemiologin plädierte für eine Senkung der NO2-Grenzwerte, die in der EU gelten und sich an den Vorgaben der Weltgesundheitsorganisation WHO von 2005 orientieren.
„Stickoxide sind der Luftschadstoff Nummer eins“
Ähnlich äußerte sich Dr. Denis Pöhler, Umweltphysiker von der Universität Heidelberg. Stickoxide seien der Luftschadstoff Nummer eins in Deutschland und stark toxisch. Pöhler beklagte, es gebe zu wenige Messstationen an stark belasteten Orten in deutschen Städten. Auch habe sich gezeigt, dass die Belastung mit Stickoxiden trotz immer strengerer Vorgaben bis zur aktuellen Euro-Norm 6 gleich hoch geblieben sei. Gründe seien unter anderem auch mehr Verkehr und ein erhöhter Anteil von Dieselautos am Verkehrsaufkommen.
Der Münchner Toxikologe Prof. Dr. med. Helmut Greim widersprach den Einschätzungen. NO2 habe eine relativ geringe Wirkintensität. Er zweifle nicht an den Grenzwerten.
Auch Prof. Dr. Thomas Koch vom Karlsruher Institut für Kolbenmaschinen sagte, es seien keine strengeren Grenzwerte in Kombination mit der RDE-Gesetzgebung nötig (RDE: Real Driving Emissions, Emissionen im realen Fahrbetrieb). Nach Ansicht von Koch ist die Stickoxidproblematik seit zwei bis drei Jahren bei den modernsten Fahrzeugen des Jahrgangs 2016 technologisch durch moderne Vorrichtungen bei der Abgasnachbehandlung gelöst. Der Diesel sei ein umweltfreundlicher Antrieb und werde es noch lange bleiben.
„Zu viele Grauzonen für die Autohersteller“
Einig waren sich Koch und Pöhler aber, dass es zu viele Grauzonen für die Autohersteller gebe, um Grenzwerte einzuhalten. Hier hätte man mehr Druck machen können, um Schlupflöcher zu schließen. Koch nannte die Regelungen „wachsweich“, etwa zu den sogenannten Thermofenstern. Dabei wird die Abgasreinigung bei niedrigen oder hohen Temperaturen abgeschaltet, angeblich zum Motorschutz.
Dass illegale Manipulationen von Motoren zur Reduzierung von Abgasen für Experten nicht nachweisbar waren, machten mehrere Sachverständige deutlich. Dass der immer noch aktuelle Neue Europäische Fahrzyklus (NEFZ) als Testverfahren im Labor realitätsfern ist, war unter Fachleuten hingegen seit der Jahrtausendwende klar, sagte Prof. Dr. Stefan Hausberger von der Technischen Universität Graz.
„Staaten stellen zu wenige Ressourcen bereit“
Der NEFZ soll 2017 durch ein realistischeres Verfahren World Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedere (WLTP) ersetzt werden. Hinzu kommen sollen RDE-Straßentests die sich derzeit in der Monitoring-Phase befinden. RDE sei noch nicht ausgereift, sagte Prof. Dr. Christian Beidl von der Technischen Universität Darmstadt.
Der ADAC nutze mobile Messtechnik für seine eigenen Tests seit gut sechs Monaten, wie der Technik-Leiter des Automobilclubs, Dr.-Ing. Reinhard Kolke, erläuterte. Seit 2010 wurde auf europäischer Ebene an den RDE-Regelungen gearbeitet. Hausberger bemängelte, dass die Staaten zu wenige Ressourcen dafür bereitstellten.
„Unabhängige Nachmessungen vorsehen“
Hausberger plädierte dafür, künftig auch unabhängige Nachmessungen vorzusehen. Das gäbe der Industrie „ausreichend Sorge“, dass Unregelmäßigkeiten entdeckt würden. Auch Kolke sprach sich dafür aus, regelmäßige Felduntersuchungen durchzuführen und diese von den gesetzlichen Zulassungsbehörden abzukoppeln.
Auch sollte Software gegenüber den Behörden offengelegt werden. Aus Sicht von Hausberger sind die Sanktionen bei Emissionsüberschreitungen zu schwach. Die Hersteller bekämen Monate bis Jahre Zeit zur Nachbesserung. Das sei nicht „akut abschreckend“.
Der Abgas-Untersuchungsausschuss ist der 5. Untersuchungsausschuss der laufenden Legislaturperiode und hatte sich am 7. Juli konstituiert. (stu/13.09.2016)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Prof. Dr. techn. Christian Beidl
- Prof. Dr. Stefan Hausberger
- Dr.-Ing. Reinhard Kolke
- Prof. Dr. med. Helmut Greim
- Prof. Dr. sc. techn. Thomas Koch
- Prof. Dr. A. J. Thomas Kuhlbusch
- Prof. Dr. Annette Peters
- Dr. Denis Pöhler