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Parlament

Haßelmann will strengere Regeln für Abgeordnete

Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen

Britta Haßelmann (Bündnis 90/Die Grünen) (© DBT/studio kohlmeier)

Die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Britta Haßelmann, hat sich vor dem Hintergrund persönlicher Verfehlungen von Bundestagsabgeordneten für strengere Verhaltensregeln und mehr Transparenz ausgesprochen. Haßelmann erneuert die Forderung ihrer Fraktion nach einem Gesetz zur Karenzzeit für Politiker, die in die Privatwirtschaft wechseln. „Wir wollen nicht, dass das nicht möglich ist, denn jeder Politiker braucht auch eine berufliche Perspektive nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag. Ein Mandat wird schließlich nur auf Zeit erteilt. Aber dafür muss es klare Regeln geben“, sagt sie in einem am Montag, 29. August 2016, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Das Interview im Wortlaut:


Frau Haßelmann, eine repräsentative Demokratie lebt vom Vertrauen zwischen dem Volk und den gewählten Volksvertretern. Glauben Sie, dass dieses Vertrauen noch existiert?

Ich glaube, dass es um das Vertrauen in die politischen Akteure derzeit nicht gut bestellt ist. Das zeigen Befragungen, wie angesehen oder respektiert Politiker bei den Bürgern sind. Das hat auch mit individuellen Verfehlungen und politischen Skandalen zu tun. Es macht sich eine gewisse Politikverdrossenheit breit. Wir müssen wieder in viel stärkeren Maß um das Vertrauen der Bürger werben. Wenn man sich die Entwicklung in der Türkei und anderen Ländern ansieht, muss man feststellen, dass unsere repräsentative Demokratie und der Parlamentarismus ein großes Geschenk sind. Aber sie müssen an einigen Stellen nachvollziehbarer und transparenter werden. Und die Beteiligungsmöglichkeiten für Bürger müssen über Wahlen hinaus vergrößert werden.

Als Indiz für Politikverdrossenheit werden die sinkende Wahlbeteiligung oder die Wahlergebnisse rechtspopulistischer Parteien genannt. Eine niedrige Wahlbeteiligung ließe sich aber auch als schweigende Zustimmung und das Abschneiden der AfD als Akt demokratischer Normalität ansehen.

Das sehe ich nicht so. Alle demokratischen Parteien sind gehalten, sich Gedanken darüber zu machen, wie man die Bürger motivieren kann, ihr Wahlrecht in Anspruch zu nehmen und sich an der politischen Willensbildung zu beteiligen.

Sie haben das individuelle Fehlverhalten von Politikern angesprochen. Sind die Maßstäbe, die die Bürger anlegen, zu hoch oder brauchen wir einen strengeren Verhaltenskodex für Abgeordnete?

Jeder Mensch ist fehlbar, das gilt auch für Politiker. Wenn jemand einen Fehler macht, muss er dazu stehen und die Verantwortung übernehmen. Ich glaube allerdings, dass wir mehr Transparenz und klarere Regeln brauchen. Wir haben uns als Grüne beispielsweise immer für ein Gesetz zur Karenzzeit für ausscheidende Regierungsmitglieder, die in die Privatwirtschaft wechseln, stark gemacht. Wir wollen nicht, dass das nicht möglich ist, denn jeder Politiker braucht auch eine berufliche Perspektive nach dem Ausscheiden aus dem Bundestag. Ein Mandat wird schließlich nur auf Zeit erteilt. Aber dafür muss es klare Regeln geben. Ein anderes Beispiel ist die riesige Diskussion über die Nebentätigkeiten von Abgeordneten. Meine Fraktion fordert deshalb, dass der Verdienst aus Nebentätigkeiten auf Euro und Cent veröffentlicht wird. Ich glaube, dass wir dadurch Misstrauen entgegenwirken können.

Was antworten Sie einem Bürger, wenn er Sie fragt, warum er Ihnen vertrauen soll?

Das ist eine schwierige Frage, denn ich kann den Bürgern diese Entscheidung nicht abnehmen. Ich kann nur um ihr Vertrauen werben, beispielsweise wenn sie in meine Bürgersprechstunde kommen oder mich auf der Straße in meinem Wahlkreis ansprechen. Ich kann nur versuchen, ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass ich mich für ihre Belange sowie den Zusammenhalt und die großen Herausforderungen der Gesellschaft und meine Überzeugungen einsetze in der Ausübung meines politischen Mandates.

Schauen sich die Bürger ihre Abgeordneten denn so differenziert an oder lassen sie sich doch eher vom gängigen Politiker-Bild leiten?

Es ist sicherlich schwer, als Bundestagsabgeordnete in Berlin den direkten Kontakt zu vielen Menschen im Wahlkreis aufzubauen und zu halten. In meiner zehnjährigen Zeit als Kommunalpolitikerin war das deutlich einfacher. Deshalb muss ich jede Gelegenheit nutzen, auf die Menschen zuzugehen und den Dialog zu führen.

Demokratie erfordert aber nicht nur eine Bringschuld der Politiker, sondern auch eine Holschuld der Bürger.

Natürlich wünsche ich mir, dass die Bürgerinnen und Bürger stärker politisch mitwirken und den Kontakt zu den Abgeordneten suchen und sich ihr eigenes Bild machen als dies im Augenblick vielleicht der Fall ist. Aber das lässt sich nicht erzwingen.

Misstrauen wird nicht nur Politikern entgegengebracht, sondern auch den Medien. Leidet die Gesellschaft unter einem allgemeinen Vertrauensverlust?

Nein, das glaube ich nicht. Aber es ist eine gewisse Verrohung zu beobachten, vor allem in den sozialen Netzwerken. Wüste Beschimpfungen, die jeder Faktenlage entbehren, sind schnell ausgesprochen in der Anonymität des Internets. Zudem wird oft suggeriert, dass es auf komplizierte Fragen einfache Antworten gibt. Auf die hoch komplexen Herausforderungen in einer globalisierten Welt gibt es aber keine einfachen Antworten. Politik bedeutet immer das Abwägen von Interessen und Entscheidungen im Interesse aller und das Ringen um Alternativen.

Sie fordern mehr Bürgerbeteiligung. Die Beteiligung an Volksabstimmungen in den Bundesländern fällt mitunter aber kaum höher aus als bei Wahlen.

Die Beteiligung fällt höchst unterschiedlich aus und es ist schwer zu sagen, warum Bürger im konkreten Fall keinen Gebrauch von der Möglichkeit dieser Mitbestimmung machen. Trotzdem finde ich es richtig, mehr direktdemokratische Elemente auch auf der Bundesebene zu schaffen. Gleichzeitig muss aber auch klar sein, dass es dafür Grenzen gibt, etwa bei unseren Grundrechten. Und wir müssen Sorge dafür tragen, dass sich die Menschen dann auch wirklich einbringen und beteiligen können. Wir haben in Großbritannien bei der Brexit-Abstimmung erlebt, was passiert, wenn dies nicht geschieht. Die jungen Briten haben zwar mehrheitlich für den Verbleib in der EU votiert, aber es haben sich zu wenige am Referendum beteiligt. Es kommt eben doch auf jede Stimme an.

Würden Sie eine Volksabstimmung über einen deutschen EU-Austritt befürworten?

Nein. Für mich ist das auf keinen Fall eine Frage, über die man bei uns abstimmen können sollte.

Großes Misstrauen herrscht auch beim Freihandelsabkommen TTIP. Die Grünen erheben den Vorwurf, die Verhandlungen zwischen der EU und den USA seien zu intransparent. Wird dadurch nicht zusätzlich Misstrauen geschürt? Immerhin hat das Europäische Parlament ein Mandat für die Verhandlungen erteilt.

Wir haben uns sehr genau überlegt, an welchen Punkten die Mitwirkungsrechte des Bundestages bei den Freihandelsabkommen TTIP und Ceta klar definiert sein müssen. Und wir wollen auch nicht die Rolle des Europäischen Parlaments an diesem Punkt diskreditieren, das ist demokratisch gewählt. Aber diese Handelsabkommen berühren so viele Bereiche der nationalen Gesetzgebung, dass wir sicherstellen wollen, dass der Bundestag ausreichend informiert wird über die Verhandlungen und mitentscheiden kann und am Ende nicht einfach nur Ja oder Nein sagen darf. Als wir erfahren haben, dass mehr als 130 Mitarbeiter der beteiligten Bundesministerien Einsicht in die Unterlagen haben, wir als Parlamentarier aber nicht, war klar: Das akzeptieren wir nicht. So kann man heute keine Verhandlungen mehr führen über Handelsabkommen, die ja auch von den nationalen Parlamenten getragen werden müssen. Deshalb haben wir die Einsicht in die Unterlagen gefordert. Bundestagspräsident Norbert Lammert hat auch mit der EU-Kommission darüber verhandelt. Im Ergebnis wurde dann ein Leseraum eingerichtet, in dem wir Einsicht nehmen können. Jetzt wird gerade über weitere Beteiligungen des Bundestages beraten.

(aw/29.08.2016)