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Recht

Bundestag entscheidet „Nein heißt Nein“

Das Sexualstrafrecht wird verschärft: Künftig soll jede sexuelle Handlung gegen den „erkennbaren Willen“ eines Dritten unter Strafe fallen. Damit wird der Grundsatz „Nein heißt Nein“ im Strafgesetzbuch aufgenommen. Der Deutsche Bundestag nahm am Donnerstag, 7. Juli 2016, einen entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/8210, 18/8626, 18/9097) in erheblich geänderter Fassung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD nach dritter Lesung an.

Regierungsentwurf wurde überarbeitet

Der ursprüngliche Regierungsentwurf hatte vorgesehen, vermutete Schutzlücken im Sexualstrafrecht durch Anpassungen im Paragraf 179 des Strafgesetzbuches (StGB) zu regeln. Der nun beschlossene Entwurf sieht hingegen eine Neuregelung in Paragraf 177 StGB vor. Zudem werden neue Straftatbestände zur sexuellen Belästigung und zur Beteiligung an Gruppen, aus der heraus es zu sexuellen Übergriffen kommt, eingeführt. Die Neuregelung in Paragraf 177 StGB soll zudem auch im Aufenthaltsgesetz in den Vorschriften zu Ausweisungsvoraussetzungen durchgeführt werden. Gesetzentwürfe der Fraktionen Die Linke (18/7719) und Bündnis 90/Die Grünen (18/5384) wurden abgelehnt.

Die Opposition enthielt sich bei der Abstimmung des Gesamtpaketes in dritter Lesung. Die Neuregelung im Paragrafen 177 StGB stieß bei der Opposition aber auf Zustimmung. Redner der Grünen und Linken kritisierten allerdings die Regelungen zu Gruppen-Straftaten und im Aufenthaltsgesetz scharf. Die Opposition hatte daher in zweiter Lesung drei getrennte namentliche Abstimmungen beantragt, um ihre Positionen zu dokumentieren. Die Regelungen zum „Nein heißt Nein“ wurden dabei einstimmig mit 599 Stimmen angenommen. Die Einführung der Gruppen-Straftaten-Norm erhielt bei zwei Enthaltungen 477 Ja-Stimmen und 119 Nein-Stimmen. Die Regelung zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes wurde von 479 Abgeordneten angenommen, 121 stimmten dagegen.

SPD: „Nein heißt Nein“-Regelung ist ein Paradigmenwechsel

Dr. Eva Högl (SPD) sprach im Hinblick auf die „Nein heißt Nein“-Regelung von einem „Paradigmenwechsel“. Wie auch Rednerinnen der anderen Fraktionen dankte sie dem Einsatz zahlreicher Verbände, Organisationen und Einzelpersonen, etwa dem „Deutschen Juristinnenbund“ und dem „Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe“, dessen Fallanalyse zu Schutzlücken im Sexualstrafrecht auf die Dringlichkeit des Themas hingewiesen hatte.

Högl sprach auch den Oppositionsfraktionen ausdrücklich ihren Dank aus. Die Reform habe ganz besonders „viele Mütter“, betonte die Sozialdemokratin. Mit der Verabschiedung des Gesetzes könne die Bundesrepublik zudem nun die „Istanbul-Konvention“ ratifizieren, die fordert, alle nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen.

CDU/CSU: Selbstbestimmung verträgt keine Einschränkungen

Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) verwies darauf, dass auch die Rechtspolitiker und Frauen der Union schon länger auf eine „Nein heißt Nein“-Regelung gedrungen hätten und wies damit Kritik Högls an einer Blockadehaltung der Union zurück. „Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung verträgt keine Einschränkungen“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion im Hinblick auf die Neuregelung.

Winkelmeier-Becker verteidigte auch die neue Norm zu Gruppen-Straftaten, die auf das Phänomen des „Antanzens“ abzielt. Es handle sich aus Sicht der Opfer um ein besonders übergriffiges, dramatisches Erleben. Die Teilnahme an einer solchen Gruppe begründe ein Unrecht, sagte Winkelmeier-Becker.

Die Linke: Frauenrechte nicht instrumentalisieren

Cornelia Möhring (Die Linke) nannte die Einführung des „Nein heißt Nein“-Grundsatzes einen „großartigen Erfolg“. Dem Gruppen-Tatbestand könne ihre Fraktion aber nicht zustimmen, schließlich seien gemeinschaftliche Taten schon anderweitig erfasst.

Möhring kritisierte, dass mit dem Bezug zu den Taten der Kölner Silvesternacht und der Änderung der Ausweisungsvorschriften im Aufenthaltsrecht „rassistische Bilder“ verstärkt würden. Diese Verknüpfung lenke von der eigentlichen Diskussion zur sexuellen Selbstbestimmung ab. „So bedienen Sie Fremdenfeindlichkeit und instrumentalisieren unsere hart erkämpften Frauenrechte“, sagte Möhring.

Grüne: Kritik an der Aufnahme des neuen 177 StGB

Katja Keul (Bündnis 90/Die Grünen) freute sich, dass eine durch einen Gesetzentwurf ihre Fraktion eingebrachte Formulierung nun ins Strafgesetzbuch aufgenommen werde. Bei der „Nein heißt Nein“-Regelung handle es sich um einen „Meilenstein für die sexuelle Selbstbestimmung in diesem Land“. Schade sei aber, dass es kein fraktionsübergreifendes Vorgehen gegeben habe.

Stattdessen sei ein Koalitionspaket geschnürt worden, in das ein „populistischer wie verfassungswidriger Straftatbestand der CSU“ Eingang gefunden habe, sagte Keul mit Bezug auf die Gruppen-Straftaten. Diese Norm sei rechtsstaatlich nicht tragbar. Auch die komplette Aufnahme des neuen Paragrafen 177 StGB im Aufenthaltsgesetz kritisierte sie. Dies sei „schlicht unverhältnismäßig“, da von dieser Norm nun auch wesentlich niederschwelligere Handlungen erfasst würden, betonte die Grünen-Rechtspolitikerin.

Neuregelung im Paragrafen 177 StGB

Mit der Neuregelung im Paragrafen 177 StGB wird künftig bestraft, wer gegen den „erkennbaren Willen“ an einem Dritten sexuelle Handlungen vornimmt beziehungsweise von diesem vornehmen lässt. Ein „erkennbare Wille“ muss dabei laut Begründung etwa ausdrücklich verbal oder konkludent, etwa durch Weinen oder Abwehrhandlungen, ausgedrückt werden. Als Strafmaß ist für diese Taten eine Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren vorgesehen.

Die bisher im Paragrafen 177 StGB geregelte sexuelle Nötigung – die Überwindung eines entgegenstehenden Willens durch Anwendung von oder Drohung mit Gewalt beziehungsweise durch Ausnutzen einer „schutzlosen Lage“ – bleibt erhalten. Für sie ist eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr vorgesehen. Ebenfalls im Paragrafen 177 StGB werden die Tatbestände des bisherigen Paragrafen 179 StGB übernommen.

Überraschungstaten einbezogen

Wer sexuelle Handlungen an einer Person vornimmt beziehungsweise vornehmen lässt, die nicht in der Lage ist, einen Willen zu bilden oder zu äußern, wird ebenfalls mit Freiheitsstrafe zwischen sechs Monaten und fünf Jahren bestraft. Davon umfasst sind sowohl sogenannte Überraschungstaten als auch Situationen, in denen dem Opfer ein „empfindliches Übel“ im Sinne des Paragrafen 240 StGB droht beziehungsweise der Täte dem Opfer damit droht.

Beruht die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf Krankheit oder Behinderung des Opfers, ist ebenfalls eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr vorgesehen. Der besonders schwere Fall der sexuellen Nötigung (Vergewaltigung) soll künftig auf alle Formen der sexuellen Überbegriffe anwendet werden: Vollzieht der Täter mit dem Opfer den Beischlaf oder penetriert es anderweitig, ist eine Mindestfreiheitsstrafe von zwei Jahren vorgesehen.

Der Straftatbestand der sexuellen Belästigung

Neu eingeführt wird der Straftatbestand der sexuellen Belästigung. Damit sollen Taten erfasst werden, die die im Paragrafen 184h StGB vorgesehene Erheblichkeitssschwelle nicht überschreiten. Laut Begründung handelt demnach strafbar, „wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt“, etwa durch Begrapschen des Gesäßes. Vorgesehen ist eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. In schweren Fällen, insbesondere wenn die Tat gemeinschaftlich begangen wird, ist ein Strafrahmen von drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe vorgesehen. Grundsätzlich soll es sich um ein Antragsdelikt handeln.

Mit dem neu zu schaffenden 184j StGB will die Koalition zudem ermöglichen, Menschen zu bestrafen, die sich an einer Gruppe beteiligen, um andere Personen zu bedrängen und Straftaten, etwa Raub oder Diebstahl, zu begehen, und aus der heraus es zu Übergriffen im Sinne der neuen Paragrafen 177 beziehungsweise 184j StGB kommt. Gedacht ist hier etwa an das Phänomen der „Antänzerei“. Vorgesehen ist eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren. Die Strafbarkeit richtet sich laut Begründung hierbei danach, ob es zu Übergriffen kommt, und nicht danach, ob diese vom Vorsatz des einzelnen Gruppenbeteiligten umfasst waren.

Folgen für Ausweisungsbestimmungen

Der neu gefasste Paragraf 177 StGB soll auch Folgen für Ausweisungsbestimmungen im Aufenthaltsgesetz haben. Demnach soll eine Verurteilung zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe nach dem neu gefassten Paragrafen 177 StGB, je nach Höhe der Strafe, dazu führen, dass das Ausweisungsinteresse gemäß Paragraf 54 des Aufenthaltsgesetzes „besonders schwer“ beziehungsweise „schwer“ wiegt.

Zudem kann laut Entwurf von dem generellen Abschiebeverbot nach Paragraf 60 des Aufenthaltsgesetzes abgewichen werden, wenn ein Ausländer nach Paragraf 177 StGB zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt wird. Dies war bislang in all diesen Fällen nur dann möglich, wenn die Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung „mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List“ begangen wurde. (scr/07.07.2016)