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Parlament

Zdebel fragt nach der Bohrschlamm-Entsorgung

Hubertus Zdebel, Obmann der Linken im Umweltausschuss

Hubertus Zdebel, Obmann der Linken im Umweltausschuss (© DBT/photothek.net)

Es ist eine Mischung aus Schlamm und Gestein, versetzt mit Schwermetallen wie Quecksilber und Arsen, radioaktiven Partikeln und krebserregenden Kohlenwasserstoffen, die bei der Bohrung nach Öl und Gas anfällt. Jahrzehntelang jedoch wurde Bohrschlamm in Deutschland ohne besondere Sicherung direkt am Bohrplatz vergraben. Heute drohen die giftigen Rückstände laut Medienrecherchen Böden und Grundwasser zu kontaminieren. Für Hubertus Zdebel, Obmann der Linksfraktion im Umweltausschuss, ein ernstzunehmendes Problem, das sich angesichts der Pläne der Bundesregierung, das umstrittene Gas-Fracking zuzulassen, „noch drastisch verschärfen“ könnte. Die Fragestunde des Bundestages am Mittwoch, 16. März 2016, nimmt der Abgeordnete aus Münster deshalb zum Anlass, die Bundesregierung nach ihrer „bundesweiten Entsorgungsstrategie“ zu fragen. Die Erdöl- und Erdgasindustrie müsse die Kosten der von ihr verursachten Schäden „voll und ganz tragen“, fordert Zdebel im Interview:


Herr Zdebel, Bohrschlamm ist Sondermüll. Wie kann es sein, dass er in der Vergangenheit einfach vergraben wurde – und man heute gar nicht genau weiß, wo und in welchen Mengen?

Bis weit in die späten 1980er-Jahre hinein fehlte schlichtweg das öffentliche Bewusstsein für die Gefahren und möglichen Umweltschäden. Welches Problem Bohrschlamm darstellt, wurde erst da langsam deutlich. Eine effektive Kontrolle der Erdöl- und Erdgasindustrie hinsichtlich ihrer Entsorgungstätigkeit ist trotzdem unterblieben. Die Folgen ihrer jahrzehntelangen Entsorgungspraxis treten jetzt zutage. Viel zu lange haben die politisch Verantwortlichen davor die Augen verschlossen. Vermutlich, weil sie ahnten, welche immensen Kosten auf die öffentliche Hand und die verursachenden Unternehmen zukommen. Letztere wurden durch das Wegsehen geschont. Das ist umso ärgerlicher, weil heute viele der Unternehmen gar nicht mehr existieren. So steht zu befürchten, dass letztlich der Staat für die Sanierungskosten geradestehen muss.

Die niedersächsische Landesregierung sucht inzwischen in Niedersachsen nach „wilden“ Bohrschlammdeponien. Wissen Sie von ähnlichen Aktivitäten in anderen Bundesländern?

Nein, es sind mir keine bekannt. Genauso wenig wie belastbare Zahlen, wie viele solcher Bohrschlammgruben es überhaupt gibt. Ich werde diesbezüglich auch im Umweltausschuss nachhaken, der sich in seiner nächsten Sitzung auch mit diesem Thema befassen wird. Im Moment kann ich mich nur auf die Berichterstattung von NDR und WDR berufen, wonach bundesweit mehr als 1.400 Bohrschlammgruben vermutet werden. Aber wenn es tatsächlich allein in Niedersachsen 519 solcher Verdachtsflächen gibt, wie das niedersächsische Umweltministerium angibt, dann spricht vieles dafür, dass es in anderen Bundesländern, in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Bayern etwa, ähnlich aussieht und wir es bundesweit noch mit einem noch viel größeren Entsorgungs- und Altlastenproblem zu tun haben.

Deswegen fragen Sie nach einer bundesweiten Strategie, mit der die Bundesregierung die Probleme beim Transport und bei der Beseitigung von Bohrschlamm in den Griff bekommen will?

Richtig, denn die Medienberichte haben ja gezeigt, was Niedersachsen für ein Problem hat. Es gibt landesweit keine einzige Sondermülldeponie, wo der Bohrschlamm entsorgt werden kann. So wird er zum Beispiel nach Nordrhein-Westfalen „exportiert“. Das ist zwar nicht illegal, aber Bohrschlammtransporte sind äußerst riskant. Und offenbar hat es bereits Fälle gegeben, in denen Lkw-Fahrer krank geworden sind, weil sie beim Transport in Kontakt mit dem Giftmüll gekommen waren.

Reichen denn angesichts dieser geschätzten Zahl der Bohrschlammgruben, die Sie genannt haben, überhaupt die bundesweit vorhandenen Sondermülldeponien aus?

Mit Sicherheit nicht! Wenn allein bei drei alten Bohrschlammgruben in Niedersachsen 720.000 Tonnen angefallen sind, werden mehr als 1400 Gruben die Kapazitäten sprengen.

Mit welchen Auswirkungen wäre zu rechnen, wenn der Bundestag das geplante Fracking-Gesetz annimmt, mit dem die Bundesregierung die umstrittene Fördertechnologie – wenn auch unter strengen Auflagen – zulassen will?

Das würde das Entsorgungsproblem drastisch verschärfen. Trotzdem wurde dieser Aspekt in der ganzen Diskussion um Fracking bislang gar nicht beachtet. Wenn die Technologie tatsächlich in Zukunft flächendeckend erlaubt sein sollte, müssten wir mit einem erheblichen zusätzlichen Aufkommen von hochtoxischem Bohrschlamm rechnen – zwischen 25 und 35 Millionen Tonnen, das haben WDR-Journalisten auf Basis von Angaben des Umweltbundesamtes hochgerechnet.

Kann das Parlament vor diesem Hintergrund überhaupt noch wie geplant über das Gesetz entscheiden?

Bei seriöser Betrachtung müsste die Große Koalition angesichts dieses gigantischen Entsorgungsproblems zu dem Schluss kommen, dass die Beratungen im Bundestag ganz neu zu eröffnen sind. Meine Haltung ist ganz klar: Fracking gehört ausnahmslos verboten. Einen Antrag dazu hat meine Fraktion eingebracht. Ich hoffe nun zumindest auf so viel Vernunft, dass das Entsorgungsproblem ernst genommen und der Entwurf nicht nach den Osterferien im Schnellverfahren durchs Parlament gepeitscht wird.

Zum Ernstnehmen gehört auch eine sichere Entsorgung. Experten halten aber Sondermülldeponien nicht für ausreichend und fordern eine Endlagerung unter Tage. Das wäre in technischer und finanzieller Hinsicht eine Mammutaufgabe.

Ja, aber wenn es stimmt, dass es in der Deponie in Hürth aufgrund der Bohrschlammlagerung bereits zu Emissionen in Boden, Wasser und Luft gekommen ist, dann brauchen wir eine andere Deponierung. Eine Endlagerung unter Tage würde die Kosten tatsächlich erheblich erhöhen. Damit ist die Bundesregierung erst Recht gefordert, sicherzustellen, dass die Erdöl- und Erdgasindustrie voll und ganz für die Sanierungskosten der von ihr verursachten Schäden aufkommt. Ich würde, ähnlich wie im Bereich der Atomenergie, für einen öffentlich-rechtlichen Fonds plädieren, in den die Unternehmen einzahlen. Die Erfahrung hat leider gezeigt, dass eigentlich für die Endlagerung vorgesehene Rückstellungen nicht zur Verfügung standen, weil Unternehmen das Geld anderweitig eingesetzt hatten. (sas/15.03.2016)