Andreae fragt nach einem Recht auf Homeoffice
Arbeitnehmer in den Niederlanden haben seit Juli 2015 ein Recht auf Heimarbeit. In der Fragestunde des Bundestages (18/7603), am Mittwoch, 24. Februar 2016, will Kerstin Andreae, stellvertretende Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, wissen, welche „konkreten Maßnahmen die Bundesregierung plant, um den Arbeitnehmern in Deutschland mehr zeitliche Autonomie zu ermöglichen“ – und ob dabei auch ein Recht auf Homeoffice eine Rolle spielt. Im Interview plädiert die Wirtschaftsexpertin für eine ähnliche Regelung wie in den Niederlanden. „Vielen Arbeitnehmern in Deutschland ist es ein Bedürfnis, einen Teil ihrer Arbeit von zuhause aus erledigen zu können.“ Homeoffice biete vielen die Chance, Familie und Beruf besser miteinander zu vereinbaren, so Andreae, die den Wahlkreis Freiburg im Bundestag vertritt. „Die Arbeitswelt ist im Wandel. Wir brauchen Regelungen, die den Veränderungen Rechnung tragen.“ Das Interview im Wortlaut:
Frau Andreae, wieso fordert ihre Partei nach dem Vorbild der Niederlande ein Recht auf Homeoffice?
Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer stehen vor der Herausforderung, Familie und Beruf zu vereinbaren – zum Beispiel, wenn sie pflegebedürftige Eltern haben. Andere wollen einfach mehr Flexibilisierung an ihrem Arbeitsplatz. Wir Grünen sind der Meinung, dass es in einer modernen Arbeitswelt dafür die passenden Instrumente braucht.
Aber warum ist unbedingt eine gesetzliche Regelung erforderlich?
Bei einem Recht auf Homeoffice – so wie es in den Niederlanden Praxis ist – liegt es an den Arbeitgebern zu begründen, weshalb Heimarbeit im jeweiligen Einzelfall nicht möglich sein soll. Derzeit ist es genau anders herum: Der Arbeitnehmer muss nachweisen, dass es möglich ist, einen Teil der Arbeit von zuhause aus zu erledigen. Die Frage ist also: Wer muss nachweisen, ob es geht oder nicht? Wir meinen: Der Arbeitgeber, nicht der Arbeitnehmer.
Sie sagen, es gäbe ein großes Bedürfnis in der Bevölkerung nach Heimarbeit. Fakt ist aber, dass hierzulande die Zahl der Menschen, die im Homeoffice arbeiten, sinkt. Derzeit sind es knapp acht Prozent aller Arbeitnehmer. Damit liegt Deutschland unter dem EU-Durchschnitt. Woran liegt das?
Das liegt vermutlich daran, dass Homeoffice bislang nur auf freiwilliger Basis möglich ist und der Arbeitgeber das ohne Gründe ablehnen kann. Zudem haben wir hierzulande noch eine recht ausgeprägte Anwesenheitskultur. Wir Grünen möchten, dass sich diese Kultur ändert. Natürlich muss Heimarbeit vernünftig geregelt und in die Abläufe des einzelnen Betriebes eingepasst werden. Doch die Anforderungen an die Arbeitgeber steigen, und auch die Arbeitswelt ist im Wandel: Dienstleistungsberufe nehmen zu. Die Digitalisierung ermöglicht die Arbeit von zuhause aus. Deswegen brauchen wir Regelungen, die diesen Veränderungen Rechnung tragen.
Viele Arbeitgeber scheinen dennoch darauf zu pochen, dass Arbeitnehmer am Arbeitsplatz präsent sind. Umfragen zufolge klagen sie, ihre Mitarbeiter seien im Homeoffice schwerer zu erreichen, weniger gut zu kontrollieren und außerdem weniger produktiv.
Wenn Strukturen grundsätzlich geändert werden sollen, gibt es zunächst oft Vorbehalte. Das wird sich aber schnell ändern, wenn die Arbeitgeber die Potentiale und positiven Effekte erkennen. Mitarbeiter, die Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren können, sind motivierter und fühlen sich ihrem Arbeitgeber mehr verbunden. Aber eine Präsenzpflicht ist durchaus sinnvoll: Es ist wichtig, dass Mitarbeiter im Team arbeiten und die Möglichkeit haben, sich austauschen. Ich halte daher einen kompletten Wechsel auf Heimarbeit gar nicht für sinnvoll. Ich plädiere nur für mehr Flexibilität. Beides soll in Zukunft möglich sein: Teamarbeit und Homeoffice.
40 Prozent der Heimarbeiter, so Umfragen, geben aber an, zuhause nicht effizient zu arbeiten. Viele klagen über Isolation, Motivationsprobleme und befürchten Karrierenachteile. Das sind doch gewichtige Gründe gegen das Homeoffice, oder?
In den Niederlanden besteht das Recht auf Homeoffice an einem Tag der Arbeitswoche. Das ist eine vernünftige Regelung, an der wir uns orientieren sollten. Tatsächlich ist der Kontakt unter Mitarbeitern und auch zum Vorgesetzten ein wichtiger Faktor für Motivation. Homeoffice und Präsenz lassen sich aber in einer Fünf-Tage-Arbeitswoche gut zusammenbringen. Das zeigt die Erfahrung etlicher Unternehmen gerade im Dienstleistungsbereich.
Das Hauptargument für Homeoffice, Sie haben es selbst angeführt, ist die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Doch eine Studie beweist, dass jeder zweite Heimarbeiter über die Vermischung von Privatem und Beruflichem klagt. Wollen Sie das fördern?
Diese Studie bezieht sich auf die ganz klassische Heimarbeit, nicht auf die Mischform aus Homeoffice und Präsenz im Büro, über die ich gerade gesprochen habe. Aber niemand muss Homeoffice machen. Wer es als Belastung empfindet, der wird nicht dazu gezwungen. Aber gerade junge Leute haben ein großes Bedürfnis danach. Das sollten wir erfüllen.
Warum haken Sie jetzt in der Fragestunde nach?
Wir haben uns in den letzten Monaten in der Fraktion und in der Partei intensiv mit der Digitalisierung und den Veränderungen in der Arbeitswelt auseinandergesetzt. Dabei ist deutlich geworden, dass – neben anderen Faktoren – das Recht auf Homeoffice eine wichtige Rolle spielt. Wir wollen noch die Initiatoren aus den Niederlanden einladen, damit sie von ihren Erfahrungen berichten können. Dann werden wir entscheiden, ob wir die Forderung in unser Wahlprogramm aufnehmen. Aber davon gehe ich fest aus.
Aber weshalb fragen Sie nach den Plänen der Bundesregierung?
Bundesarbeitsministerin Nahles hat im Dezember letzten Jahres in einem Interview gesagt, mit dem „Anwesenheitswahn“ müsse Schluss sein. Das sind schöne, plakative Worte. Aber ich frage mich, ob hinter dieser Ankündigung auch tatsächlich ein Plan steckt. Wir hören immer wieder von „Modernisierungsoffensiven“, sehen aber keine konkreten Maßnahmen. Ich möchte es jetzt genau wissen: Was habt ihr vor?
(sas/23.02.2016)