„Zentralasien ist keine einheitliche Region“
Noch gut erinnert sich Manfred Grund, Parlamentarischer Staatssekretär der Unionsfraktion, an seine erste Auslandsreise als Abgeordneter: „Wir sind 1996 im Rahmen der Gruppe der Vertriebenen, Aussiedler und deutschen Minderheiten der CDU/CSU-Fraktion nach Kasachstan und Kirgisistan gefahren“, berichtet der Politiker aus dem thüringischen Heiligenstadt. „Im Gepäck hatten wir vor allem Medikamente.“ Die Armut und Perspektivlosigkeit der Menschen sei nach dem Zerfall der Sowjetunion, zu der die zwei zentralasiatischen Länder zuvor gehört hatten, immens gewesen: „Wir haben damals ein Elend gesehen, das nur schwer zu ertragen war.“ Seit dieser Zeit fühlt sich der 60-Jährige den Ländern in der Region verbunden und engagiert in der Deutsch-Zentralasiatischen Parlamentariergruppe.
Sechs Länder, eine Parlamentariergruppe
2013 übernahm er zusammen mit seinen Stellvertreterinnen Sonja Steffen (SPD), Tabea Rößner (Bündnis 90/Die Grünen) und Sabine Zimmermann (Die Linke) die Leitung der aktuell 16-köpfigen Parlamentariergruppe – und damit die Aufgabe, die Beziehungen des Bundestages zu Kasachstan, Kirgisistan, Mongolei, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan zu pflegen. Sechs Staaten, die in der Berichterstattung deutscher Medien eher selten auftauchen – es sei denn, Gewalt erschüttert eines der Länder. Wie etwa 2010, als in Südkirgisistan die Auseinandersetzungen zwischen ethnischen Kirgisen und der Minderheit der Usbeken eskalierten.
In vielen Gegenden bestimmt bis heute Armut das Leben der Menschen, obwohl die Region äußerst reich an Bodenschätzen ist: riesige Erdgas- und Ölvorkommen, dazu unter anderem Gold, Silber, Kupfer, Eisenerz und Uran. Insbesondere die Energieressourcen machen Zentralasien für Mächte wie Russland, China, USA aber auch die EU interessant. Nach den Terroranschlägen des 11. Septembers 2001 rückten die Länder zudem wegen ihrer strategischen Lage ins internationale Blickfeld. Der Lufttransportstützpunkt Termez im Süden Usbekistans etwa sei für die Bundeswehr bis zu seiner offiziellen Stilllegung im Oktober 2015 ein wichtiges Standbein in der Region gewesen, sagt Grund: „Wir brauchten den Flughafen, um Material und Soldaten nach Afghanistan rein- und wieder rauszubringen.“
Weit entfernte und „exotische“ Welt
Trotz dieser Bedeutung sei selbst für die meisten Bundestagsabgeordneten Zentralasien bis heute eine weit entfernte und „exotische“ Welt. „Viele haben sicher auch aufgrund der Landessprachen erschwerten kulturellen Zugang, obwohl die russische Sprache noch weit verbreitet ist“, vermutet Grund. Er selbst, der in der DDR aufwuchs und Russisch lernte, tue sich damit leichter als andere Kollegen.
Jedoch, so räumt der CDU-Politiker ein, behindere die Beschäftigung mit den Ländern auch, dass sie in politischer, wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht sehr verschieden seien. „Zentralasien ist keine einheitliche Region“, betont Grund. „Die Interessen der einzelnen Länder sind derart unterschiedlich, ebenso wie die politische Entwicklung, die sie seit ihrer Unabhängigkeit genommen haben.“
Während sich die Mongolei seit 1992 zu einer parlamentarischen Demokratie wandelte und auch Kirgisistan nach der letzten Parlamentswahl Anfang Oktober 2015 seinen Weg in Richtung parlamentarische Demokratie fortsetzt, dominieren in den anderen zentralasiatischen Staaten autoritäre Regime. Auch die Zusammenarbeit der Länder untereinander sei wenig ausgeprägt. Deswegen ist es Grunds Bestreben als Vorsitzender, anstatt der Region als Ganzes „jedes einzelne Land zu sehen“ und die Kontakte zu jedem einzelnen Land zu pflegen.
Guter Ruf als ehrlicher Makler
Ein Ansatz, der den Abgeordneten in den zentralasiatischen Ländern entgegenzukommen scheint – zumal das Interesse an Kooperationen mit Deutschland groß ist, weiß Grund: „In ihrer Wahrnehmung der EU sind die Länder sehr stark auf Deutschland fokussiert.“ Das habe auch historische Ursachen. Kurz nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sei es Deutschland gewesen, das früh, bereits am 31. Dezember 1991, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan als souveräne Staaten anerkannt und innerhalb kürzester Zeit Botschafter in alle Länder entsendet habe. Kein anderes europäisches Land könne bis heute eine solche diplomatische Präsenz vorweisen, so der Vorsitzende der Parlamentariergruppe.
Ein wichtiges Motiv für den Einsatz Deutschlands sei deutsche Minderheit in den Ländern gewesen: „Es lebten Anfang der 1990er-Jahre etwa 1,3 Millionen Deutsche vor allem in Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan. Heute lebt etwa eine Million von ihnen in Deutschland “, weiß der CDU-Politiker. Bei der Übersiedlung half Deutschland, zudem förderte die Bundesregierung vor Ort Stabilität, Rechtsstaatlichkeit und soziale Marktwirtschaft.
Auch die Mitglieder der Parlamentariergruppe standen immer – bis heute – beim Aufbau demokratischer Strukturen unterstützend zur Seite: „Es werden uns noch oft Fragen zum Wahlrecht oder zur parlamentarischen Arbeit gestellt, zum Beispiel wie Koalitionen geschlossen werden oder welche Bedeutung ein Koalitionsvertrag hat“, berichtet Manfred Grund. „Da geben wir gern Hilfestellung.“ So genieße Deutschland einen guten Ruf: „Wir gelten als ehrliche Makler – auch, weil wir keine egoistischen, geostrategischen Interessen verfolgen.“
Delegationsreise nach Kirgisistan und in die Mongolei
Der Gesprächs- und Besuchsdialog zwischen deutschen Abgeordneten und Parlamentariern aus den sechs Partnerländern sei sehr „intensiv“, sagt Grund im Rückblick. Ende November ist zum Beispiel ein Besuch einer Delegation usbekischer Parlamentarier im Bundestag geplant. Eine Delegation der Deutsch-Zentralasiatischen Parlamentariergruppe, zu der Mahmut Özdemir und Udo Schiefner (beide SPD), Sabine Zimmermann (Die Linke), Steffen Bilger, Dr. Roy Kühne und Volkmar Vogel (alle CDU/CSU) gehörten, reiste zuletzt im Juli für vier Tage unter der Leitung Grunds nach Kirgisistan und die Mongolei.
Auf dem Programm: Gespräche mit Parlamentariern, Regierungsmitgliedern, Vertretern von Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen sowie politischen Stiftungen. „Die Reise diente zum einen der Intensivierung der parlamentarischen Beziehungen, zum anderen wollten wir uns vor Ort einen Eindruck von der sozialen, wirtschaftlichen und demokratischen Entwicklung verschaffen“, erklärt der Delegationsleiter. „Die Länder sind noch immer Transformationsländer. Ihr Entwicklungsprozess ist noch nicht abgeschlossen.“ Trotz mancher Fortschritte sei die Lage fragil, betont Grund. „Es ist durchaus möglich, dass sich die Entwicklung auch wieder umkehrt.“
Gerade deshalb sei es wichtig, die Länder zu unterstützen. Schließlich habe auch Deutschland ein Interesse an einem stabilen Zentralasien, gibt Grund zu bedenken. Dass das gelingen könnte, lässt ihn vor allem die junge Generation hoffen: „Das ist ein eine wissenshungrige Generation, für die die Art, wie wir hier in Europa zusammenleben, ein prägendes Vorbild ist. Das merke ich zum Beispiel daran, wie groß der Wunsch nach Praktika in Deutschland ist. Die jungen Menschen wollen hierherkommen, lernen, aber dann zurückgehen und das eigene Land mitaufbauen. Das macht mir Mut.“ (sas/09.12.2015)