Mutlu fragt nach der Fußball-WM 2006
Schwarze Kassen, eine möglicherweise gekaufte Fußball-Weltmeisterschaft 2006, Steuerfahnder beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) – immer neue Enthüllungen halten nicht nur die Fußballwelt in Atem: In der vergangenen Woche hat auch der Sportausschuss des Bundestages begonnen, die Affäre zu untersuchen. In der Fragestunde des Bundestages (18/6602) am Mittwoch, 11. November 2015, ab 13.35 Uhr will nun Özcan Mutlu, Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen für Sportpolitik, von der Bundesregierung erfahren, welche Nachforschungen sie in den eigenen Aktenbeständen vorgenommen hat, um den Vorwürfen von schwarzen Kassen und anderen Unregelmäßigkeiten im Organisationskomitee (OK) der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland nachzugehen. Der Berliner Abgeordnete fordert eine lückenlose Aufklärung: „Wir Abgeordneten haben nicht nur ein Recht zu erfahren, was damals passiert ist, sondern auch die Pflicht, den Vorwürfen nachzugehen.“ Schließlich seien im Zusammenhang mit der WM Steuergelder eingesetzt worden, so Mutlu im Interview:
Herr Mutlu, bereits im Juni haben Sie die Bundeskanzlerin und den Bundesinnenminister schriftlich um Veröffentlichung von Prüfungsberichten und Akten zum WM-Bewerbungsprozess gebeten. Nun haken Sie erneut nach. Weshalb?
Ich habe damals geschrieben, weil in Medienberichten der Verdacht laut wurde, dass die Fußball-Weltmeisterschaft 2006, die für viele Menschen ein unvergessliches und schönes Erlebnis gewesen ist, gekauft worden sein könnte. Ich bat um Aufklärung, denn ich möchte nicht, dass unser Sommermärchen durch einen solchen Verdacht in Zweifel gezogen wird. Die Reaktion von Herrn de Maizière, der als Bundesinnenminister auch für Sport zuständig ist, war allerdings wenig befriedigend. Inzwischen sind neue Einzelheiten ans Licht gedrungen, die öffentlich diskutiert werden. Deshalb möchte ich von der Bundesregierung wissen, wie der Stand ihrer Nachforschungen ist. Die betreffenden Akten des Bundeskanzleramts und des Bundesinnenministeriums werden geprüft, und wir Abgeordneten haben nicht nur ein Recht zu erfahren, was damals passiert ist, sondern auch die Pflicht, den Vorwürfen nachzugehen. Schließlich wurden im Zusammenhang mit der WM Steuergelder eingesetzt, zum Beispiel für den Bau oder die Erweiterung von Stadien.
Was versprechen Sie sich konkret von den Dokumenten?
Meine Hoffnung ist, dass die Untersuchung ein Ergebnis hat: Dass die WM nicht gekauft war und keine Steuergelder veruntreut wurden.
Sie sind Mitglied im Sportausschuss, der in der vergangenen Woche begonnen hat, sich mit der DFB-Affäre zu befassen. Die wichtigsten der geladenen Zeugen, wie Präsident Wolfgang Niersbach, der frühere Vorsitzende des WM-Organisationskomitees, Franz Beckenbauer, oder Otto Schily als ehemaliger Bundesinnenminister und OK-Aufsichtsratsmitglied, sind aber nicht erschienen. Wieso nicht?
Der Sportausschuss kann, anders als ein Untersuchungsausschuss, nur Einladungen aussprechen, aber keine Zeugen vorladen und vernehmen. Trotzdem bedaure ich sehr, dass vor allem der DFB-Präsident diese Chance zur Aufklärung nicht wahrgenommen hat. Wenn ein so gravierender Vorwurf im Raum steht, müssten die Beteiligten doch das Interesse haben, aufzuklären und Transparenz herzustellen. Die Gelegenheit haben sie nicht genutzt – Otto Schily soll sich übrigens im Ausland befunden haben und deshalb nicht gekommen sein. Das Thema wird uns aber im Ausschuss weiterhin beschäftigen, und ich hoffe sehr, dass uns dann die Herren Beckenbauer, Schily, de Maizière und vielleicht sogar Wolfgang Schäuble, der 2005 nach Schily Innenminister wurde, Frage und Antwort stehen. Es kann doch nicht sein, dass alle den Kopf in den Sand stecken oder Gedächtnislücken haben. So schadet man dem deutschen Fußball noch mehr.
In den Sportausschuss gekommen ist immerhin der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium.
Ja, Ole Schröder war da und hat uns mitgeteilt, dass es sich insgesamt um rund 10.000 Seiten Akten handelt, die jetzt geprüft werden müssen. Zugegen war auch der DFB-Schatzmeister, der zugleich Vize-Vorsitzender des Sportausschusses ist.
Sie sprechen von Reinhard Grindel. Als Schatzmeister gehört der CDU-Abgeordnete zum Präsidium des DFB. Kann er nicht zur Aufklärung im Ausschuss beitragen?
Er könnte durchaus, aber er übt sich in Schweigsamkeit – was ich sehr bedauere. Seine Doppelfunktion als DFB-Schatzmeister und Vize-Ausschussvorsitzender ist sehr problematisch. Der Ausschuss muss Vorwürfe gegen den DFB untersuchen. Da ist es keine Hilfe, wenn dort jemand mit zwei Hüten sitzt. Was Herr Grindel letztlich in der nichtöffentlichen Sitzung zu sagen hatte, glich auch eher dem Zünden von Nebelkerzen, als dass es der Aufklärung gedient hätte.
Im Mittelpunkt der DFB-Affäre steht die rätselhafte Zahlung beziehungsweise Rückzahlung von 6,7 Millionen Euro. Es gibt den Verdacht, dass dabei öffentliche Mittel zu mutmaßlichen Schmiergeldern umgewandelt wurden. Was konnten Sie darüber erfahren?
Der zuständige Staatssekretär hat das verneint. Darüber hinaus möchte ich mich nicht an Spekulationen beteiligen. Klar ist aber, dass die Angelegenheit lückenlos aufgeklärt werden muss.
Sie fordern eine personelle wie organisatorische Neuaufstellung des DFB. Inwieweit kann die Politik darauf Einfluss nehmen?
Es ist nicht Aufgabe der Politik, über die Besetzung von Führungsgremien in Sportverbänden zu befinden. Das ist allein Sache der Verbände. Aber gerade die Fußballverbände in Deutschland sollten sich jetzt schon fragen, ob Niersbach als Präsident des mit rund sieben Millionen Mitgliedern weltweit größten Fußball-Dachverbands überhaupt noch tragbar ist.
Inwieweit ist die Gemeinnützigkeit und die damit verbundene Steuerbefreiung des DFB noch berechtigt? Schließlich ist er auch ein Wirtschaftsunternehmen mit hohen Umsätzen.
Man muss schon aufpassen, dass man wegen der Verfehlungen des DFB nicht den Fußball in Deutschland insgesamt in die Bredouille bringt. Die kleinen Verbände und Vereine, wie zum Beispiel der BSC Rehberge in Wedding, in dem ich Mitglied bin, können dafür nichts. Wenn die Gemeinnützigkeit des DFB infrage gestellt wird, trifft es vermutlich vor allem solche Vereine. Anders sieht die Lage aus, wenn der DFB tatsächlich Steuergelder veruntreut haben sollte, wie Medien es berichten. Dann müssen wir uns schon über die Steuerbefreiung großer Verbände Gedanken machen.
(sas/09.11.2015/Anmerkung der Redaktion: Das Interview wurde kurz vor dem Rücktritt von DFB-Präsident Niersbach geführt.)