Hellmich: Flüchtlinge in der EU gerecht verteilen
Für eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in der Europäischen Union spricht sich Wolfgang Hellmich (SPD) am Dienstag, 1. September 2015, im Interview aus. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses plädiert außerdem im Vorfeld der Interparlamentarischen Konferenz zur Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die am 6. und 7. September 2015 in Luxemburg stattfindet, für einen breiteren Ansatz bei der Bekämpfung von Schleuserkriminalität.
Solange die Ursachen für Migration in den Herkunftsländern bestünden, sei das Problem nicht zu lösen, so Hellmich, der die Bundestagsdelegation leitet. Neben der Flüchtlings- und Migrationspolitik gehört auch die Diskussion über eine neue europäische Außen- und Sicherheitsstrategie sowie die Idee einer europäischen Verteidigungsunion auf der Tagesordnung der Konferenz. Das Interview im Wortlaut:
Herr Hellmich, immer mehr Menschen fliehen vor Krieg, Hunger und Verfolgung nach Europa. Verpflichtende Quoten für die Verteilung der Flüchtlinge, wie sie die EU-Kommission plant, sind aber unter den Mitgliedstaaten umstritten. Kann die Interparlamentarische Konferenz dazu beitragen, eine gemeinsame Strategie zu finden?
Auf jeden Fall wird die Frage einer gerechteren Verteilung der Flüchtlinge in Europa die Konferenz beschäftigen. Deutschland und Schweden nehmen derzeit gemessen an ihrer Bevölkerung mit Abstand die meisten Flüchtlinge auf, während es eine Reihe von Staaten gibt, die gar keine oder nur sehr wenige Flüchtlinge aufnehmen. Deswegen haben zuletzt Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Hollande die Initiative für eine Lösung des Problems ergriffen. Als Bundestagsdelegation ist es unser Bestreben, auf der Konferenz zusammen mit den Parlamentariern der dort vertretenen EU-Staaten eine gemeinsame europäische Strategie einzufordern. Der Entwurf für die Abschlusserklärung sieht eine entsprechende Forderung bereits vor.
Mit dem Militäreinsatz „EU NavFor Med“ geht die EU gegen Schleuser vor, die Flüchtlinge von Libyen aus auf den gefährlichen Seeweg nach Europa schicken. Wie wirkungsvoll ist dies – auch angesichts noch offener rechtlicher Fragen?
Natürlich ist klar, dass weder die Seenotrettung noch die Bekämpfung von kriminellen Schleusernetzwerken das Flüchtlingsproblem lösen, solange die Ursachen von Migration in den Herkunftsländern bestehen. Dies betont die Interparlamentarische Konferenz auch in ihrem Entwurf für die Abschlusserklärung und fordert eine gemeinsame Strategie, welche zusätzlich Initiativen in der Entwicklungszusammenarbeit ergreift. Was die Militäroperation angeht: Für die Phasen zwei und drei, in denen es darum geht, die Schiffe der Schlepper zu beschlagnahmen und zu zerstören, braucht es sowohl ein UN-Mandat als auch eine Vereinbarung mit Libyen, um dort überhaupt agieren zu können. Ich fürchte, wir müssen uns grundsätzlich auf eine langfristigere Operation einstellen. Schleppernetzwerke zerschlägt man nicht von heute auf morgen.
Bis Juni 2016 soll EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini eine neue Strategie für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik vorlegen. Was muss diese leisten?
Viele Mitgliedstaaten befinden sich aktuell im Reformprozess ihrer Verteidigungs- und Sicherheitsstrategien - so etwa die Franzosen und die Briten. Auch wir Deutschen arbeiten an einem neuen Weißbuch zur Sicherheitspolitik. Eine europäische Strategie muss deshalb, so meine ich, zunächst einmal eine gemeinsame Sicht auf die Interessen, Herausforderungen und Bedrohungen schaffen. Wir brauchen einen einheitlichen Ansatz, nur so lassen sich die nächsten Schritte abstimmen – wie etwa die Verbesserung der Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten der EU-Mitgliedstaaten in Ergänzung zur Nato, die schon gefordert wird.
EU-Kommissionspräsident Juncker und der ehemalige EU-Außenbeauftragte Solana haben sich zuletzt deutlich für eine europäische Verteidigungsunion ausgesprochen. Wie steht die Konferenz Ihrer Einschätzung nach zu der Idee europäischer Streitkräfte – und was halten Sie selbst davon?
Ich glaube, diese Idee wird in Deutschland mehrheitlich befürwortet. Die EU-Mitgliedstaaten sind jedoch gespalten. Manche lehnen den Gedanken ab, andere sehen in einer Verteidigungsunion die einzige Möglichkeit, einerseits die Kapazitäten besser abzustimmen und andererseits Geld etwa bei der militärischen Ausrüstung einzusparen. Als Bundestagsdelegation werden wir auf der Konferenz also noch intensiv für eine vertiefte, integrierte Verteidigungszusammenarbeit werben müssen. Selbst wenn einzelne EU-Mitgliedstaaten den Begriff einer europäischen Armee nicht gerne in den Mund nehmen – wir sind schon weiter, als dies gemeinhin wahrgenommen wird.
Im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus plant die EU-Außenbeauftragte Mogherini die Zusammenarbeit mit Drittstaaten in der islamischen Welt im Bereich der Geheimdienste zu verbessern. Ist das eine wirksame Maßnahme oder braucht es aus Sicht der Parlamentarier noch andere?
Die Konferenz wird keinen Handlungskatalog aufstellen. Ich gehe aber davon aus, dass sie die europäischen Regierungen auffordern wird, mithilfe von Projekten der Entwicklungszusammenarbeit den Aufbau von staatlichen und zivilen Strukturen in den Ländern zu unterstützen, in denen die islamische Terrormiliz „IS“ ein großes Problem darstellt. Dazu gehört sicher die Kooperation mit Geheimdiensten, aber sie ist längst nicht das einzige Instrument. Wir müssen mithilfe aller rechtsstaatlichen Mittel versuchen, das Problem in den Griff zu bekommen und unsere Gesellschaften – soweit es eben geht – vor der Bedrohung zu schützen. Übrigens heißt das auch, dass wir die Wege für europäische IS-Kämpfer aus der EU und in die EU dichtmachen. Hier muss die Europäische Union mit der türkischen Regierung reden, da die türkisch-syrische Grenze noch immer als ein Einfallstor fungiert.
(sas/01.09.2015)