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Gesundheit

Schenk: Wir waren keine Anarcho-Truppe

Christina Schenk 1991 (links), Christian Schenk 2015 (rechts)

Christina Schenk 1991, Christian Schenk 2015 (© DBT/Goddar/ZB-Fotoreport)

Es war ein Versuch mit offenem Ende, dessen Ausgang Christian Schenk – damals noch Christina Schenk – überwältigte. Am 3. Dezember 1989 luden einige der Frauen- und Lesbengruppen, die in der DDR irgendwie voneinander wussten, aber in nicht sehr engem Kontakt standen, Gleichgesinnte in die Ost-Berliner Volksbühne nahe dem Alexanderplatz.  „Wir hatten keine Vorstellung, wie viele kommen würden“, erinnert er sich, „wird der Saal zu einem Drittel voll? Oder ganz?“ Und dann reichte der Platz nicht – „wer spät kam, stand draußen und hörte zu.“ Aus allen Richtungen der DDR waren Frauen angereist; noch am selben Tag gründeten die Initiativen und Gruppen einen Dachverband, der später auch am Runden Tisch saß: den Unabhängigen Frauenverband (UFV).

Acht Listenmitglieder zogen nach Bonn

Schnell etablierte er sich in der DDR-Opposition; 1990 schloss er sich mit Demokratie Jetzt, der Initiative für Frieden und Menschenrechte, Neuem Forum und den ostdeutschen Grünen zur Liste Bündnis 90/Grüne – BürgerInnenbewegung – zusammen. Am 2. Dezember 1990 schickten die Frauen eine Vertreterin in den Bundestag: Christina Schenk, die sich seit Mitte der 80er-Jahre in der Lesbengruppe der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg engagiert hatte und als Physikerin an der Akademie der Wissenschaften tätig war. Mit ihr zogen sieben weitere Listenmitglieder nach Bonn: Werner Schulz, Vera Wollenberger (später Lengsfeld), Dr. Klaus-Dieter Feige, Ingrid Köppe, Gerd Poppe, Konrad Weiß und Dr. Wolfgang Ullmann. Nicht dabei waren die westdeutschen Grünen – sie waren an der Fünf-Prozent-Hürde, die damals in Ost und West separat galt, gescheitert.

Zum Glück verfügten die Grünen außerhalb des Parlaments über Infrastrukturen – die sie, wie auch eine gewisse Bundestagsexpertise, den „Neuen“ zur Seite stellten. „Wir waren keine Anarcho-Truppe, die sich fragte: Wo sind wir denn hier gelandet? Dazu waren wir zu gut ausgebildet und hatten auch zu ausgeprägte strategische Vorstellungen“, erinnert sich Christian Schenk. „Trotzdem war es natürlich gut, Unterstützung von Menschen zu bekommen, die Erfahrung mit dem parlamentarischen Betrieb hatten.“ Er holte sich Jutta Schwerin als Mitarbeiterin in sein Büro –  die als feministische Grüne von 1987 bis 1990 selbst im Bundestag gesessen hatte.

„Debatten im Bundestag ein Rückschritt“

Inhaltlich war der Eindruck der einzigen jemals als Vertreterin von frauenpolitischen Interessen gewählten Bundestagsabgeordneten gemischt: Einerseits sei der Bundestag die höchste parlamentarische Ebene und da sei es wichtig, Positionen zu formulieren und zu vertreten; zum Paragrafen 218, zur Lage von Frauen auf dem Arbeitsmarkt oder zu Gewalt in der Familie. Andererseits hat der Umgang im Parlament Christian Schenk, als er noch als Frau angesehen wurde, alles andere als begeistert.

Erstens schreckte ihn das Denken in Parteizugehörigkeiten und Fraktionen: „Am Runden Tisch der DDR hatten Menschen ganz verschiedener politischer Couleur um Kompromisse gerungen, unter schwierigsten Bedingungen; die Vertreter des alten Systems saßen ja ebenso am Tisch wie die Neuen. Im Vergleich dazu fand ich die Debatten im Bundestag, in dem es ganz offenbar dazugehört, sich in Bausch und Bogen zu verdammen, einen Rückschritt.“

„Missachtung, weil ich eine Frau war“

Zweitens erschütterte ihn, wie Frauen seinerzeit zuweilen behandelt wurden: „Ich habe ein Ausmaß an Missachtung erlebt, dass ich mir nicht vorgestellt hätte – nicht weil ich aus dem Osten komme, sondern weil ich eine Frau war.“  Binnen der zwölf Jahre, die er das Parlament erlebte, sagt er dann noch, habe sich allerdings einiges zum Positiven verändert.

In der zweiten Legislaturperiode konnte Christian Schenk für die Bündnisgrünen nicht wieder kandidieren; sie waren inzwischen zur Partei geworden, welcher der Unabhängige Frauenverband nicht beitrat. Stattdessen folgte er einem Anruf Gregor Gysis, dem er ein unnachahmliches Gespür für Trends attestiert: „Er war der Erste im Bundestag, der es schaffte, während einer Rede durchgängig von Anwältinnen und Anwälten, Lehrerinnen und Lehrern, Kolleginnen und Kollegen zu sprechen.“

„Mehr mit offenem Visier arbeiten“

Gysi hatte auch ganz offensichtlich verstanden, dass eine Vertreterin feministischer Interessen seiner bunten Truppe, mit der er 2004 in den Wahlkampf ging – und der eine ganze Reihe Parteiloser wie Gerhard Zwerenz, Stefan Heym oder Heinrich Graf von Einsiedel angehörten – würde punkten können. Zwei Legislaturperioden für die PDS folgten.

Heute wünscht Christian Schenk – der seit 2006 auch offiziell als Mann lebt – dem Bundestag vor allem, dass dort weniger „mit Durchstechereien und Nickeligkeiten und mehr mit offenem Visier und mit Kompromissbereitschaft gearbeitet wird“. Er selbst ist vom Bundestag erst einmal wieder an die Universität gewechselt: an die Freie Universität Berlin, in ein Postgraduiertenstudium Gender- und Diversitykompetenz. (god/17.08.2015)