Katja Keul fragt nach der Vorratsdatenspeicherung
In der Fragestunde des Bundestages (18/4641) am Mittwoch, 22. April 2015, will Katja Keul, Sprecherin für Rechtspolitik von Bündnis 90/Die Grünen, wissen, wie die von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) vorgestellten „Leitlinien für die Einführung einer Speicherfrist und Höchstspeicherfristen für Verkehrsdaten“ den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) entsprechen. Das Gericht hatte vor einem Jahr die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt, weil diese gegen die EU-Grundrechte verstoße. Auch der Kompromiss, auf den sich nun Maas und Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière (CDU) nach langem Streit geeinigt haben, ändere das nicht, kritisiert die Bundestagsabgeordnete im Interview. „Das Kernproblem bleibt ungelöst. Das anlasslose Speichern von Verbindungsdaten ist ein Eingriff in die Bürgerrechte.“ Die Fragestunde wird am Mittwoch ab 13.35 Uhr live im Parlamentsfernsehen, im Internet auf www.bundestag.de und auf mobilen Endgeräten übertragen. Das Interview im Wortlaut:
Frau Keul, Bundesjustizminister Maas ist mit seinen Leitlinien dem eigenen Bekunden nach den engen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts „eins zu eins“ gefolgt: So wird die Speicherfrist auf höchstens zehn Wochen begrenzt; auch dürfen nicht alle Verbindungsdaten gespeichert werden. Inwieweit sind also sind die Pläne nicht grundrechtskonform?
Es ist schon recht waghalsig zu sagen, die Vorgaben seien eins zu eins umgesetzt worden. Der Kern des Problems ist doch die anlasslose Speicherung von Daten – darauf haben Bundesverfassungsgericht und noch deutlicher der EuGH in ihrer Rechtsprechung hingewiesen. Und dieses Kernproblem bleibt ungelöst. Ob sich die Speicherfrist nun auf zehn Wochen oder auf drei Monate beläuft, ist letztlich nicht entscheidend. Was Maas übersieht ist, dass nicht erst der Zugriff auf die Daten ein Eingriff in die bürgerlichen Grundrechte ist, sondern bereits die Speicherung. Ebenfalls ungelöst bleibt, wie Berufsgeheimnisträger wie zum Beispiel Seelsorger, Anwälte oder Journalisten aus der Speicherung ausgenommen werden sollen.
Deren Daten sollen zwar gespeichert, aber nicht abgerufen werden können…
Ja, aber der EuGH hat doch deutlich gemacht, dass die Speicherung der Grundrechtsverstoß ist. Die Kontakte zwischen Anwalt und Mandat dürfen nicht gespeichert werden, ganz egal ob hinterher darauf zugegriffen wird oder nicht. Dafür hat die Bundesregierung keine schlüssige Lösung gefunden.
Das Urteil der Luxemburger Richter, das Sie ansprechen, scheint offenbar unterschiedlich interpretierbar zu sein. Muss am Ende wieder ein Gericht entscheiden?
Wenn das in Kraft tritt, was jetzt an Eckpunkten vorliegt, dann wird ein Gericht entscheiden müssen. Denn Klagen wird es geben, da bin ich mir ganz sicher. Ich finde den EuGH in seinem Urteil aber sehr klar: Jede anlasslose Speicherung von Verkehrsdaten ist unzulässig. Die jetzt vorgelegten Pläne der Koalition werden deshalb vor Gericht zu keinem anderen Ergebnis führen.
Sie werfen Maas vor, eingeknickt zu sein und fragen, warum er seine ursprünglich ablehnende Haltung zur Vorratsdatenspeicherung geändert hat. Aber sind nicht terroristische Anschläge, wie etwa die in Paris, ein triftiger Grund neu über das Thema zu diskutieren?
Nein, die Anschläge sind überhaupt kein guter Grund. Die Täter von Paris waren vorher bekannt. Ihre Überwachung wurde aber aufgrund von Personalmangel eingestellt. Hätte man die Überwachung, die richterlich angeordnet und rechtsstaatlich einwandfrei war, fortgesetzt, wäre es vermutlich möglich gewesen, die Anschläge zu verhindern.
Ermittler fordern dennoch die Vorratsdatenspeicherung gerade zur Bekämpfung von Terror und anderen schweren Verbrechen, was antworten Sie denen? Sind lange Speicherpflichten bei solchen Delikten überhaupt hilfreich?
Zu Verhinderung von Terroranschlägen ist die Vorratsdatenspeicherung überhaupt nicht hilfreich. Verdächtige lassen sich schon heute überwachen und so Straftaten verhindern. Die flächendeckende, anlasslose Speicherung von Daten führt nicht zu besseren Ermittlungsergebnissen.
Womöglich könnte das Gesetz noch vor der Sommerpause im Eilverfahren Bundestag und Bundesrat passieren. Wie wird Ihre Fraktion reagieren? Erwägen Sie, das Bundesverfassungsgericht anzurufen?
Wer am Ende klagt, muss man sehen. Als Oppositionsfraktionen können wir in dieser Legislaturperiode keine abstrakte Normenkontrolle beantragen, weil wir das Quorum von 25 Prozent aller Bundestagabgeordneten nicht erreichen. Aber als betroffenes Individuum kann jeder Bürger Verfassungsbeschwerde einreichen – und das wird mit Sicherheit auch mehrfach passieren.
(sas/21.04.2015)