Medizinische Versorgung soll zukunftsfest werden
Mit einem umfangreichen Gesetzespaket will die Bundesregierung die medizinische Versorgungslage in Deutschland zukunftsfest machen. Bei der ersten Lesung des sogenannten Versorgungsstärkungsgesetzes (18/4095) machte Gesundheits-Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz (CDU) am Donnerstag, 5. März 2015, im Bundestag klar, dass neue Wege beschritten werden müssten, um in Zeiten des demografischen Wandels und veränderten Erwartungshaltungen junger Ärzte weiterhin ein flächendeckend hochwertiges Angebot machen zu können.
„Unterversorgte ländliche Gebiete stärken“
In eigenen Anträgen skizzierten die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen (18/4153) und Die Linke (18/4187) ihre Vorstellungen von einer nachhaltigen Reform der medizinischen Versorgung, die vor allem flexible Angebote beinhalten müsse. Die Linke verlangt darüber hinaus in einem Antrag (18/4099) unter Versorgungsgesichtspunkten die Abschaffung der privaten Krankenversicherung (PKV) als Vollversicherung, was die Große Koalition entschieden zurückwies.
Mit neuen Regelungen für die Zu- und Niederlassung von Ärzten und Psychotherapeuten sollen unterversorgte ländliche Gebiete gestärkt und die teilweise Überversorgung in Ballungszentren reduziert werden. So sollen künftig Arztpraxen in überversorgten Regionen nur dann nachbesetzt werden, wenn dies unter Versorgungsaspekten sinnvoll erscheint. Um die hausärztliche Versorgung zu verbessern, wird die Zahl der mindestens zu fördernden Weiterbildungsstellen von 5.000 auf 7.500 erhöht. Auch bei der ärztlichen Vergütung soll der Versorgungsaspekt künftig eine stärkere Rolle spielen.
Terminservicestellen für Facharzttermine
Neu eingerichtete Terminservicestellen sollen sicherstellen, dass Versicherte innerhalb von vier Wochen einen Facharzttermin erhalten. Mit einer überarbeiteten Psychotherapie-Richtlinie soll zudem die Versorgung auf diesem Gebiet verbessert werden. Vereinfacht wird die Bildung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ), in denen zumeist Ärzte unterschiedlicher Fachrichtung zusammenarbeiten.
Vor bestimmten Operationen, die besonders häufig empfohlen werden, dürfen Patienten künftig eine ärztliche Zweitmeinung einholen. So sollen teure und unnötige Eingriffe besser verhindert werden. Krankenhäuser sollen außerdem stärker in die ambulante Betreuung der Patienten einbezogen werden. Zur Förderung innovativer sektorenübergreifender Versorgungsformen wird ein Sonderfonds geschaffen. Für den Fonds sollen zwischen 2016 und 2019 jährlich jeweils 300 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.
„Niedergelassene Ärzte das Rückgrat der Versorgung“
Widmann-Mauz sagte in der Debatte, es gehe im Grundsatz darum, der Bevölkerung überall im Land weiterhin eine gut erreichbare und hochwertige medizinische Versorgung zu bieten. Angesichts der demografischen Entwicklung stellten sich neue Herausforderungen und zwängen zum Handeln. So bereite die hausärztliche Versorgung insbesondere auf dem Land Probleme. Ältere Hausärzte fänden oft keine Nachfolger mehr für ihre Praxen.
Daher müssten neue Anreize geschaffen werden für Ärzte, auch auf dem Land zu arbeiten etwa mit Zuschlägen für Hausbesuche. Die CDU-Politikerin betonte, die niedergelassenen freiberuflichen Ärzte seien „das Rückgrat“ der ambulanten Versorgung. Haus- und Fachärzte seien für viele Familien wichtige Lebensbegleiter oft über Generationen hinweg.
„Nicht in Fundamentalopposition verfallen“
Die Staatssekretärin forderte die Ärzte auf, mit der Politik gemeinsam nach guten Lösungen zu suchen und nicht in Fundamentalopposition zu verfallen. Es sei „blanker Unsinn“, wenn von Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) behauptet werde, das Gesetz werde zu einem massenhaften Praxissterben führen. Das Ziel sei nicht, bestehende Praxen zu schließen, sondern sie je nach örtlicher Versorgung nachzubesetzen oder auch nicht, wobei es der Ärzteschaft selbst überlassen werde, die Versorgungslage zu beurteilen.
Auch die SPD-Gesundheitsexpertin Sabine Dittmar forderte die Mediziner auf, sich kooperativ zu zeigen und mitzuhelfen, die bestehenden regionalen Über- und Unterkapazitäten aufzulösen. Den Kassenärztlichen Vereinigungen würden neue Werkzeuge in die Hand gegeben, um die Probleme anzugehen. Die Ärzteschaft werde hier nun aber auch in die Verantwortung genommen und müsse selbst entscheiden, welchen Versorgungsauftrag eine Praxis wahrnehme.
„Nebeneinander zweier Krankenversicherungssysteme absurd“
Der momentane „Aufschrei“ der Ärzteschaft sei unverständlich und verunsichere die Patienten, rügte Dittmar. Sie betonte wie andere Koalitionspolitiker, der vorgelegte Gesetzentwurf trage seinen Namen zurecht, über einzelne Regelungen könne im Detail noch diskutiert werden.
Die Opposition lehnt nicht alle gesetzlich vorgeschlagenen Regelungen ab, bemängelt aber einige aus ihrer Sicht grundsätzlich falsche Weichenstellungen. Harald Weinberg (Die Linke) erklärte, das Hauptproblem sei eigentlich die PKV. Solange Ärzte für dieselbe Leistung bei PKV-Patienten mehr Geld bekämen, bleibe es auch bei der Zweiklassenmedizin. Eine Folge seien die längeren Wartezeiten für Kassenpatienten. Es sei an der Zeit, die Systemfrage zu stellen. Das Nebeneinander der zwei Krankenversicherungssysteme GKV und PKV sei „absurd“.
„Linke eröffnet alte Kampflinie“
Dr. Georg Nüsslein und Jens Spahn (beide CDU/CSU) widersprachen energisch und warfen der Linken vor, damit die tatsächlichen Probleme zu verkennen. Nüsslein sprach von einer „alten Kampflinie“, die von der Linken wieder einmal eröffnet werde. Spahn hielt der Linken vor, in überholten Sozialismus zurückzufallen. Es seien ja nur zehn Prozent der Bevölkerung überhaupt privat versichert, das könne kaum der Grund sein für die längeren Wartezeiten auf einen Facharzttermin.
Der Grünen-Gesundheitsexperte Dr. Harald Terpe gab jedoch zu bedenken, dass mit den Terminservicestellen das Problem der offenkundig unterschiedlich langen Wartezeiten für gesetzlich und privat versicherte Patienten nicht im Grundsatz behoben werde.
„Ärztemangel hat auch den Westen erreicht“
Terpe kritisierte, die Koalition weiche mit dem Gesetzentwurf den zentralen Herausforderungen aus. Er sprach von einem kleinteiligen Gesetz mit kleinen Verbesserungen. Jedoch würden frühere Fehler, vor allem in der gescheiterten Bedarfsplanung, unzulänglich korrigiert. So beruhe die Bedarfsplanung auf veralteten Strukturen. Die nötige Reform werde halbherzig angegangen, sinnvoll sei eine sektorenübergreifende Versorgung. Auch die Linksfraktion hat eigene Vorschläge für eine effektivere Bedarfsplanung vorgelegt.
Birgit Wöllert (Die Linke) erinnerte daran, dass es insbesondere viele ältere Hausärzte gebe, die in absehbarer Zeit ihre Praxis weitergeben müssten. Es drohe ein Ärztemangel. Dies sei längst kein ostdeutsches Problem mehr, sondern habe den auch den Westen erreicht.
„Hausarztversorgung wohnortnah sichern“
Der CSU-Abgeordnete Nüsslein betonte, mit dem Gesetz würden Anreize gesetzt für eine Stärkung der freiberuflichen niedergelassenen Ärzte. Es gebe auch keinen Anlass, das aufzugeben und die Verantwortung an die Krankenhäuser zu verlagern, sagte er in Anspielung auf Kritik der Ärzteschaft. Allerdings sei unter jungen Ärzten die Bereitschaft zur Niederlassung nicht sehr groß. Demzufolge würden die Kommunen in die Lage versetzt, Ärzte anzustellen.
Bestimmte Dinge könnten gesetzlich nicht geregelt werden, etwa die Haltung zu einem Berufsleben auf dem Land. Die Hausarztversorgung müsse gleichwohl wohnortnah gesichert werden. Der Gesetzentwurf und die Anträge wurden zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen. (pk/05.03.2015)