Münchner Marxistin in Berlin: Nicole Gohlke
Es gibt nicht viel Persönliches in Nicole Gohlkes Abgeordnetenbüro. Keine gerahmten Fotos auf dem Schreibtisch, keine Erinnerungsstücke oder gar Nippes im Regal. Zwei auf den ersten Blick wenig persönliche Gegenstände jedoch erzählen viel über die 38-jährige Münchnerin, die seit 2009 hochschul- und wissenschaftspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag ist.
„Parlamentarischer Beobachter“
Da ist zum einen die neongelbe Weste, die neben der Bürotür auf einem Kleiderbügel hängt: „Parlamentarischer Beobachter“ steht darauf. „Solche Westen“, sagt Gohlke ohne jeden erkennbaren bayerischen Dialekt, „tragen meine Kollegen von der Linken und ich, wenn wir auf Demonstrationen sind, zum Beispiel bei denen gegen die Naziaufmärsche in Dresden in den vergangenen Jahren.“
Die Abgeordnete – mit Pony und Pferdeschwanz – hat auf dem Sofa Platz genommen und gießt sich Mineralwasser ein. „Die Polizei hat uns geraten, uns so kenntlich zu machen. So könne man unsere Abgeordnetenrechte besser achten“, erklärt Gohlke und muss schmunzeln: „Seither habe ich hier die Weste immer griffbereit.“
Unter argentinischen Nonnen und indischen Kleinbauern
Einer gewissen Ironie entbehrt das tatsächlich nicht – schließlich gehörte Gohlke bis vor wenigen Jahren noch zu denen, gegen die sich die Polizei mit Kampfausrüstung und Wasserwerfern wappnete. Im Juli 2001 zum Beispiel, als in Genua rund 300.000 Globalisierungskritiker gegen den G8-Gipfel protestierten. Dutzende wurden dabei zum Teil schwer verletzt. Ein Demonstrant kam ums Leben.
„Das war einschneidend“, erinnert sich die Abgeordnete, die damals als Attac-Mitglied auch in die italienische Hafenstadt gereist war. „Man fragt sich, wer eigentlich vor wem geschützt werden müsste. Hier die Polizisten, die aussahen wie RoboCops mit ihren gepanzerten Anzügen, da die Demonstranten – argentinische Nonnen und indische Kleinbauern. Was ist das für ein Verhältnis?“
Florian-Süssmayr-Ausstellung
Der zweite Gegenstand in Gohlkes Büro, der sofort ins Auge sticht, ist ein Plakat zu einer Florian-Süssmayr-Ausstellung im Münchner „Haus der Kunst“. Es hängt direkt über ihrem Schreibtisch. Der Maler – bis vor wenigen Jahren kaum bekannt – avancierte mit dieser Ausstellung 2010 zum Shooting-Star der Münchner Kunstszene.
In seiner Jugend war Süssmayr Punk, gehörte Anfang der 1980er-Jahre der linksextremen Gruppe „Freizeit81“ an. Auch Gohlke engagierte sich während ihres Studiums der Kommunikationswissenschaften in München bei linken Gruppen, so etwa beim trotzkistischen „Linksruck“.
„Demokratie in der Krise“
Eine der Forderungen der seit 2007 aufgelösten Gruppe lautete – klassisch marxistisch – die Beseitigung des bürgerlichen Staates durch Klassenkampf. Was ist von den revolutionären Zielen von einst übrig?
Gohlke überlegt kurz: „Im Kontakt mit den Menschen erkenne ich schon, dass das parlamentarische System in der Krise ist. Das Ansehen von Politikern ist denkbar schlecht, und ich bin überzeugt, dass es mehr Möglichkeiten geben müsste, sich als Bürger einzubringen, als nur alle vier Jahre zur Wahl zu gehen.“
Von Attac zur Linken
Sie selbst wollte sich schon als Jugendliche einmischen: Die Triebfeder ihres politischen Engagements habe sich nicht geändert, seit sie als Schülerin gegen den Zweiten Golfkrieg oder brennende Asylbewerberheime protestierte. „Ich könnte nicht in einer Partei sein, die sich nicht ausdrücklich gegen Krieg oder Rassismus positioniert oder die ungerechte Vermögensverteilung thematisiert“, stellt die Linkspolitikerin klar.
Dass sie überhaupt jemals Mitglied einer Partei werden würde, war aber alles andere als klar. Bewegungen findet sie spannender als etablierten Parteien. 2001 wird Gohlke Mitglied beim globalisierungskritischen Netzwerk Attac. „Da wäre ich bestimmt geblieben, hätte sich nicht die WASG formiert und später Die Linke“, sagt sie. „Ohne sie hätte ich sicher keinen Zugang in das Parteienspektrum gefunden.“
Eventmanagerin für Siemens und BMW
Seit 2007 gehört sie zum Vorstand der Partei Die Linke in Bayern. 2008 wird sie Mitarbeiterin der Bundestagsfraktion in Berlin. Eine Stelle, die sie mit gemischten Gefühlen annimmt: „Ich musste es mir wirklich überlegen, denn als Mitarbeiterin ist man natürlich auch politisch abhängig. Es hat Vorteile, Beruf und Politik zu trennen.“
Zuvor arbeitet Gohlke vier Jahre bei verschiedenen Event-Agenturen. Dabei berät die Globalisierungskritikerin und Marxistin Großunternehmen wie Siemens oder BMW, konzipiert und betreut zum Beispiel deren Messestände. „Der Job hat mir Spaß gemacht – aber es war natürlich vor allem ein Job zum Geldverdienen“, sagt Gohlke über ihre Zeit als Eventmanagerin. Heute gehört sie zum radikal linken Flügel ihrer Partei und engagiert sich beim Linksruck-Nachfolgenetzwerk „Marx21“.
BAföG und Bologna-Reform
Seit sie 2009 das erste Mal in den Bundestag eingezogen ist, kümmert sich die Abgeordnete um die Hochschulpolitik. Das Feld will sie auch in der laufenden Legislaturperiode beackern: So wird sie weiterhin für mehr Geld für Forschung und Lehre kämpfen oder die Bologna-Reform kritisieren. Zudem fordert sie, mehr Studenten BAföG zu gewähren – und es vor allem zu erhöhen. Ginge es nach ihr, würde die Ausbildungsförderung automatisch an steigende Lebenshaltungskosten angepasst und in einen „rückzahlungsfreien Vollzuschuss“ umgewandelt.
Dass sich die Regierung zugute hält, viel für Hochschulen und Studierende getan zu haben, lässt Gohlke so nicht gelten: „Die Studierendenzahlen steigen, da ist es nicht verwunderlich, dass auch die Quote der Geförderten steigt. Tatsächlich aber stagnieren die Regelsätze, und weniger Menschen bekommen BAföG.“ Die Bundesregierung komme auf andere Zahlen, weil sie alle Studenten über 35 Jahren und alle im Zweitstudium herausrechne, moniert Gohlke.
Medienecho auf Anfrage zur Rüstungsforschung
Stolz ist sie hingegen, dass ihre Anfragen an die Regierung zum Thema Rüstungsforschung in den Medien großes Echo gefunden haben. „Da habe ich gemerkt, dass meine Arbeit wirklich etwas bringt, und dass ich mit solchen Informationen eine öffentliche Debatte initiieren kann.“
Öffentliche Hochschulen sollten sich aus militärischer Forschung und Entwicklung heraushalten, findet sie. Klar, dass sie bei diesem Thema künftig dranbleiben will. Die nächste Anfrage läuft bereits. (sas/14.07.2014)