„Köhler- und Wulff-Wahl nicht zu beanstanden“
Die Wiederwahl von Horst Köhler als Bundespräsident durch die 13. Bundesversammlung am 23. Mai 2009 und die Wahl von Christian Wulff zum Bundespräsidenten durch die 14. Bundesversammlung am 30. Juni 2010 sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in einem am Dienstag, 10. Juni 2014, verkündeten Urteil entschieden. Die Anträge des mecklenburg-vorpommerschen Landtagsabgeordneten Udo Pastörs (NPD), zugleich Mitglied beider Bundesversammlungen, die sich gegen diese sowie gegen Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert als deren Leiter gerichtet hatten, blieben somit ohne Erfolg.
„Geschäftsordnung des Bundestages sinngemäß anwenden“
Am Tag vor der Bundesversammlung 2009 hatte der Antragsteller gemeinsam mit zwei Beigetretenen und einem weiteren Mitglied der Bundesversammlung schriftlich beantragt, eine eigene Geschäftsordnung zu beschließen und einen Tagesordnungspunkt „Vorstellung der Kandidaten“ aufzunehmen.
Zeitlich danach wurde für die Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung ein Antrag für eine Geschäftsordnung eingereicht, nach dem die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sinngemäß mit der Maßgabe Anwendung finden sollte, dass Geschäftsordnungsanträge und andere Anträge nur schriftlich gestellt werden können sowie eine mündliche Begründung und eine Aussprache nicht stattfinden.
Keine Grundlage für Wortmeldungen oder Aussprachen
In der Bundesversammlung hatte Norbert Lammert als deren Leiter zunächst die Beschlussfähigkeit festgestellt und erklärt, dass es mangels einer Geschäftsordnung an der Grundlage für Wortmeldungen oder Aussprachen fehle. Im Anschluss daran stellte er den von der Mehrheit getragenen Antrag zur Abstimmung, der von der Bundesversammlung angenommen wurde. Den Antrag, eine Vorstellung der Kandidaten bis zu 30 Minuten zu ermöglichen, ließ der Bundestagspräsident nicht zu.
Der Bundesversammlung 2009 hatten 1.224 Mitglieder angehört, wovon die eine Hälfte aus den Bundestagsabgeordneten bestand und die andere Hälfte aus Mitgliedern, die von den Länderparlamenten gewählt worden waren. In den Parlamenten von zehn Ländern stand für die Wahl der Mitglieder der Bundesversammlung jeweils nur eine einzige, von allen Fraktionen gemeinsam aufgestellte Liste zur Wahl, in der für jede Fraktion separat auch Ersatzkandidaten ausgewiesen waren.
Anträge zur Bundesversammlung 2010
Die Bundesversammlung am 30. Juni 2010 setzte sich aus 1.244 Mitgliedern zusammen, davon 622 Bundestagsabgeordnete und 622 Mitglieder, die von den Länderparlamenten gewählt worden waren. In zehn Landtagen stand wiederum eine einheitliche Liste mit nach Fraktionen getrennten Ersatzkandidaten zur Abstimmung.
Der Antragsteller und die Beigetretenen hatten 2010 schriftlich drei Anträge mit der Ankündigung eingereicht, eine Begründung erfolge mündlich. Für die Mehrheit der Mitglieder wurde schriftlich ein gemeinsamer Antrag für die Geschäftsordnung eingereicht, die Geschäftsordnung des Bundestages sinngemäß anzuwenden.
Mündliche Begründung nicht zugelassen
Den ersten Antrag des Antragstellers, mit dem dieser die Rechtsgültigkeit der Wahl der Mitglieder der Bundesversammlung in zehn Ländern beanstandete, ließ der Bundestagspräsident nicht zu, ebenso wenig eine mündliche Begründung des Antrags. Im Anschluss stellte Lammert den Mehrheitsantrag zur Abstimmung, den die Bundesversammlung annahm.
Den zweiten Antrag des Antragstellers, nach dem jeder Kandidat sich bis zu 30 Minuten vorstellen können sollte, ließ der Bundestagspräsident ebenfalls nicht zu. Den dritten Antrag, die Benennung von „Wahlbeobachtern“ zu gestatten, stellte der Bundestagspräsident zur Abstimmung, ohne zuvor Gelegenheit zur mündlichen Begründung zu geben. Die Bundesversammlung lehnte den Antrag ab.
„Öffentliche Debatte gerade nicht vorgesehen“
Das Gericht stellte nun fest, dass die Anträge, die die Gültigkeit der Wahl des Bundespräsidenten und die Zusammensetzung der Bundesversammlung betreffen, unzulässig sind. Die Anträge, mit denen ein Rede- und Antragsrecht in der Bundesversammlung geltend gemacht wird, seien unbegründet.
Zur Bestimmung der Rechte der Mitglieder der Bundesversammlung könne nicht auf die Rechte der Bundestagsabgeordneten zurückgegriffen werden. In der Bundesversammlung sei – anders als im Bundestag – der Gang der Geschäfte weitgehend vorbestimmt. Die Öffentlichkeit habe für die Bundesversammlung eine andere Funktion als für den Bundestag. Es komme allein auf die Sichtbarkeit des Wahlaktes in seinen „realen und symbolischen Dimensionen“ an: Eine öffentliche Debatte sei gerade nicht vorgesehen.
„Ausspracheverbot schützt Würde des Wahlakts“
Nach Artikel 54 Absatz 1 des Grundgesetzes finde die Wahl ohne Aussprache statt, heißt es in der Urteilsbegründung. Zu einer Personal- oder Sachdebatte über oder mit den Kandidaten seien die Mitglieder der Bundesversammlung danach nicht berechtigt. Das Ausspracheverbot schütze die Würde des Wahlakts, der dem parteipolitischen Streit enthoben sein soll, argumentiert das Gericht.
Das Ausspracheverbot richte sich deshalb nicht nur an die Mitglieder der Bundesversammlung, sondern auch an die Kandidaten. Damit die Bundesversammlung ihre Aufgaben funktionsgerecht erfüllen könne, müssten sich die Mitglieder die für ihre Wahlentscheidung erforderlichen Informationen außerhalb der Bundesversammlung verschaffen.
„Für ordnungsgemäße Durchführung der Wahl sorgen“
Der Bundestagspräsident habe als Leiter der Bundesversammlung die Aufgabe, für eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl zu sorgen. Ihm stünden weitergehende Befugnisse zu als bei der Leitung von Sitzungen des Bundestages, betonen die Richter.
Die Aufgabe der Bundesversammlung bestehe allein in der „Kür“ des Bundespräsidenten. Dem entspreche es, dass der Leiter der Versammlung solche Anträge, die nicht die Durchführung der Wahl an sich betreffen oder offensichtlich nicht im Einklang mit der Verfassung stehen, nicht zur Abstimmung stellt und damit die zeremonielle, symbolische Bedeutung des Wahlakts bewahrt.
„Vorgehen des Bundestagspräsidenten nicht zu beanstanden“
„Der Leiter der Bundesversammlung ist befugt, die Prüfung der Zulässigkeit der Anträge nach diesen Maßstäben vorzunehmen, ohne dem jeweiligen Antragsteller zuvor das Wort zu erteilen“, heißt es in dem Urteil. Allerdings müsse er über die Behandlung von Anträgen eine „willkürfreie“, nicht von sachfremden Erwägungen geleitete Entscheidung treffen.
Das konkrete Vorgehen des Bundestagspräsidenten sei nicht zu beanstanden, weil der von der Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung getragene Antrag zur Geschäftsordnung erkennbar zum Ziel hatte, in der Bundesversammlung generell keine Redebeiträge zuzulassen. Diese Zielrichtung hätte der Bundestagspräsident unterlaufen, wenn er vor der Abstimmung über diesen Antrag dem Antragsteller das Wort erteilt hätte. (vom/10.06.2014)