Lamers: Gesprächskanäle mit Moskau offen halten
Die Parlamentarische Versammlung der Nato werde bei ihrer Frühjahrstagung im litauischen Wilna vom 30. Mai bis 2. Juni 2014 mit Nachdruck ihre Solidarität mit der Ukraine betonen, kündigt Dr. Dr. h.c. Karl A. Lamers an. Gleichwohl wolle man gegenüber Russland Gesprächskanäle offen halten, erklärt der Heidelberger CDU-Abgeordnete im Interview. Wegen der militärischen Intervention Moskaus auf der Krim und der Annexion der Halbinsel habe die russische Delegation ihren Status als assoziiertes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung verloren, so Lamers, der die Bundestagsdelegation bei diesem Nato-Gremium leitet. Das Interview im Wortlaut:
Herr Dr. Lamers, in Wilna tritt der ukrainische Außenminister Andrej Deschtschiza auf, nicht jedoch dessen russischer Kollege Sergej Lawrow. Sind die Nato-Parlamentarier nicht am Dialog mit Moskau über die Ukraine-Krise interessiert?
Die militärische Intervention Russlands auf der Krim und die Annexion der zur Ukraine gehörenden Halbinsel haben unsere Beziehungen zu Moskau tiefgreifend erschüttert. Der Ständige Ausschuss als Lenkungsgremium unserer Versammlung hat im April in Riga beschlossen, den Status der russischen Delegation als assoziiertes Mitglied aufzuheben und alle institutionellen Verbindungen, etwa den ständigen parlamentarischen Nato-Russland-Ausschuss, bis auf Weiteres auf Eis zu legen. Reaktionen der Moskauer Delegation auf diese Entscheidung lassen vermuten, dass ein Gespräch der Nato-Abgeordneten mit einem russischen Regierungsvertreter momentan nicht zu einem ergiebigen Ergebnis führen würde.
Die Zeichen zwischen der Nato und Moskau stehen auf Sturm. Geht auch die Parlamentarische Versammlung auf Konfliktkurs? Oder will man in Litauen einen Beitrag zur Deeskalation und zur Suche nach einer friedlichen Lösung der Ukraine-Krise leisten?
Es ist die ureigene Aufgabe der Versammlung, Gesprächskanäle offen zu halten. Auch wenn wir eine formelle Zusammenarbeit mit der Duma fürs erste eingestellt haben, so will das Präsidium, dem auch ich angehöre, weiterhin das Gespräch mit führenden russischen Abgeordneten suchen. Beispielsweise steht Hugh Bayley als Präsident der Versammlung seit Beginn der Ukraine-Krise in schriftlichem Kontakt mit der ehemaligen russischen Delegation bei der Parlamentarischen Versammlung der Nato. Die Resolution, über die in Wilna abgestimmt wird, bekundet zugleich mit Nachdruck unsere Solidarität mit der Ukraine. Schon seit Langem nehmen Abgeordnete aus Kiew an unseren Sitzungen teil, die ukrainische Delegation hat als assoziiertes Mitglied der Versammlung volles Rederecht und kann sich an unseren Beratungen beteiligen.
Ist der Nato-Russland-Rat noch aktiv? Oder hat die Ukraine-Krise dieses Forum paralysiert?
Im April haben die Außenminister der Nato-Länder die zivile und militärische Kooperation des Bündnisses mit Moskau suspendiert. Der Nato-Russland-Rat dient allerdings auf Botschafterebene weiterhin als politischer Gesprächskanal. Aus meiner Sicht liegt dieses Gremium im Interesse Moskaus wie des Bündnisses und wurde bis zum Ausbruch der Ukraine-Krise durchaus erfolgreich für gemeinsame Projekte genutzt, etwa beim Abzug der Allianz-Truppen aus Afghanistan oder beim Kampf gegen Drogen und Piraterie. Auch auf Nato-Ebene dürfen die Gespräche nicht verebben. Wie eine Zusammenarbeit mit Russland in Zukunft aussehen kann, wird Thema des Nato-Gipfels im September in Wales sein.
Das Bündnis erwägt, ist Osteuropa Truppen zu stationieren, worauf die Allianz nach dem Fall des Eisernen Vorhangs eigentlich verzichtet hat. Muss es nicht den Konflikt mit Moskau verschärfen, wenn die Nato näher an Russland heranrückt?
Bislang gilt das Nato-Gebiet nicht als konkret bedroht. Aber sollte eine bislang bloß potenzielle Gefährdung konkrete Gestalt annehmen, so muss auch über eine verstärkte Präsenz des Bündnisses nachgedacht werden. Schließlich ist die kollektive Verteidigung, also der gegenseitige Beistand im Fall des Angriffs auf einen Allianzpartner, die Kernaufgabe der Nato. Die Verbündeten in Osteuropa erwarten zu Recht, dass wir sie im Ernstfall verteidigen.
Ist die Lage in der Ukraine ein Anlass für das Bündnis, auf längere Sicht auch dieses Land in die Nato aufzunehmen? Oder lehrt der Zoff mit Moskau, diesen Schritt nicht zu tun und für die Ukraine eine Art neutralen Status zu entwickeln?
Diese Frage stellt sich nicht, da der Kiewer Regierungschef Arseni Jazenjuk eine Nato-Mitgliedschaft seines Lands ausgeschlossen hat. Aktuell sollten wir uns darauf konzentrieren, zu verhindern, dass sich die Situation in der Ukraine weiter verschärft. Ich hoffe, dass die von unserer Versammlung entsandten 16 Wahlbeobachter, die unter meiner Leitung stehen, zusammen mit den Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, der Parlamentarischen Versammlung des Europarats und des Europaparlaments und des Europarats bei den Präsidentschaftswahlen am 25. Mai in der Ukraine dazu einen Beitrag leisten konnten.
(kos/26.05.2014)