Wenn Schwarz und Rot gemeinsam regieren
Sie sind offiziell nicht gewollt und umstritten. Doch nachdem die SPD-Basis dem Koalitionsvertrag von CDU, SPD und CSU zugestimmt hat, kommt es zum dritten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik zur Bildung einer Großen Koalition. Viele rechnerische und zugleich realistische Alternativen hatte das Ergebnis der Bundestagswahl am 22. September 2013 den Parteien nicht gelassen. Die Geschichte schwarz-roter Regierungsbündnisse in der Bundesrepublik begann allerdings nicht mit einer Bundestagswahl.
SPD unterstützt Lübke
Es ist das Jahr 1964: Wenige Monate sind erst vergangen, seitdem Ludwig Erhard den zurückgetretenen Kanzler Konrad Adenauer (beide CDU) beerbt hatte und dessen schwarz-gelbe Koalition fortführte. Die bekam allerdings bald erste Risse. Als im Juli die Wiederwahl des Christdemokraten Heinrich Lübke zum Bundespräsidenten anstand, stellte die FDP mit dem früheren Justizminister Ewald Bucher einen Gegenkandidaten auf. Anders die Sozialdemokraten, die ihre Regierungsfähigkeit unter Beweis stellen wollten: Sie unterstützten Lübke. Eine erste öffentliche Annäherung.
Doch noch war die Zeit nicht gekommen, obwohl sich die Slogans der beiden großen Volksparteien vor der Bundestagswahl 1965 schon sehr ähnelten. Während die CDU mit „Es geht um Deutschland“ und „Unsere Sicherheit – CDU“ warb, ging die SPD mit „Deutschland. Ja“ und „Sicher ist sicher – darum SPD“ auf Stimmenfang – mit mäßigem Erfolg, wie sich herausstellen sollte.
Unglücklicher Kanzler
Die Wähler „folgten dem SPD-Slogan ,Sicher ist sicher′ und wählten deshalb CDU“, kommentierte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ den Wahlausgang süffisant. Zwar konnte die SPD ihr Wahlergebnis von 1961 um gut drei Prozent verbessern und kam auf 39,3 Prozent, während die FDP verlor und nur noch bei 9,5 Prozent lag. Erhard aber holte 47,6 Prozent und regierte weiter mit den Liberalen.
Doch so erfolgreich Erhard als Wirtschaftsminister war, so unglücklich verlief seine Kanzlerschaft. Ausgerechnet unter dem „Vater des Wirtschaftswunders“ erlebte die Bundesrepublik ihre erste Rezession. Im Bundeshaushalt für das Jahr 1967 klaffte eine Lücke von sieben Milliarden D-Mark, die der Kanzler mit Steuererhöhungen schließen wollte. Eine Idee, die mit der FDP nicht umzusetzen war: Ende Oktober 1966 traten alle vier FDP-Minister zurück, am 30. November auch Erhard.
Architekt Wehner
Noch während Letzterer mit einer Minderheitsregierung weiter regierte, nahmen Union und SPD Koalitionsverhandlungen auf. Innerhalb der Union hatte man sich bereits auf Kurt Georg Kiesinger als neuen Bundeskanzler verständigt.
Auf Seiten der SPD musste Herbert Wehner, der heute als Architekt der ersten Großen Koalition gesehen wird, viel Überzeugungsarbeit leisten. Für ihn war eine Regierungsbeteiligung als Juniorpartner der Union ein notwendiges Opfer für den mittelfristig angestrebten Machtwechsel. Dass davon wohl nicht alle Sozialdemokraten zu überzeugen waren, zeigt das Ergebnis der Wahl Kiesingers am 1. Dezember 1966. Obwohl das schwarz-rote Bündnis über 447 Mandate verfügte, bekam er nur 340 Stimmen.
Zulauf für die APO
Dennoch war das Kräfteverhältnis im Parlament so deutlich wie niemals zuvor. Die Opposition bestand aus den lediglich 49 Abgeordneten der FDP. Die Bevölkerung stellte sich die Frage, wie eine so kleine Gruppe ihrer Aufgabe, der Kontrolle der Regierung, nachkommen könne. Die Außerparlamentarische Opposition (APO) erhielt Zulauf.
Besonders kritisierte die APO die umstrittenen Notstandsgesetze, die die Große Koalition verabschiedete und die etwa im Verteidigungsfall oder in Zeiten innerer Unruhe eine Einschränkung der Grundrechte vorsahen. Seit 1960 waren entsprechende Vorstöße im Bundestag gescheitert, weil sich keine notwendige Zweidrittelmehrheit für die Grundgesetzänderung gefunden hatte.
Konjunkturprogramme und Stabilitätsgesetz
Wichtigstes Ziel war allerdings die Überwindung der anhaltenden Wirtschaftskrise. Diese sollte mit Konjunkturprogrammen und dem Stabilitätsgesetz, das im Juni 1967 verabschiedet wurde, überwunden werden. Wichtiger Teil des Gesetzes war die sogenannte „Konzertierte Aktion“, Gespräche zwischen dem Staat und Vertretern der Arbeitgeberschaft und der Gewerkschaften, in denen versucht wurde, ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik aufeinander abzustimmen.
Die Wirtschaftspolitik der Koalition kann durchaus als erfolgreich bezeichnet werden. Die Arbeitslosigkeit sank zum Ende der Legislaturperiode 1969 auf 0,8 Prozent (1967 lag sie bei 2,5 Prozent), und ein Aufschwung setzte ein. Dennoch endete das erste schwarz-rote Experiment nach der Bundestagswahl 1969: Unter Kanzler Willy Brandt (SPD) kam erstmals ein rot-gelbes Bündnis an die Macht.
Wieder eine Wirtschaftskrise
Auch die zweite Große Koalition musste sich mit einer Wirtschaftskrise auseinandersetzen, die allerdings erst während der Legislaturperiode zutage trat. Bevor Union und SPD ein zweites Mal koalierten, war im Jahr 2005 die Arbeitsmarktpolitik der rot-grünen Regierung heftig umstritten. Die Niederlage der SPD bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und Kritik aus der eigenen Partei gegen die „Agenda 2010“ veranlassten Bundeskanzler Gerhard Schröder, am 1. Juli die Vertrauensfrage zu stellen.
Wie geplant verlor Schröder die Abstimmung, der eine Legitimation seiner Reformpolitik durch Neuwahlen für „unverzichtbar“ hielt. Doch die Rechnung ging nicht auf: Bei der Bundestagswahl am 18. September wurde Rot-Grün abgewählt. Für eine schwarz-gelbe Koalition reichte es allerdings auch nicht.
65 Tage bis zur Kanzlerwahl
Auf dem Weg zur Großen Koalition wurden zwei Rekorde gebrochen: Nie hatte es länger gedauert, bis nach der Wahl Koalitionsverhandlungen aufgenommen wurden (29 Tage), und nie hatte es länger gedauert, bis die Regierung stand. 65 Tage vergingen nach dem Wahltag, bis Angela Merkel (CDU) am 22. November zur Kanzlerin gewählt wurde.
Die Großkoalitionäre unter Merkel hatten ambitionierte Ziele: ein Umbau des Gesundheitssystems, eine Föderalismusreform und die Haushaltskonsolidierung gehörten dazu. Schon im Sommer 2006 verabschiedete das Parlament mit der „Föderalismusreform I“ umfassende Grundgesetzänderungen, die unter anderem die Zuständigkeiten von Bund und Ländern klarer abgrenzten. 2009 folgte die „Föderalismusreform II“, mit der eine Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen wurde.
Gesundheitsfonds und höhere Mehrwertsteuer
In der Gesundheitspolitik wurden ebenfalls Reformen durchgesetzt. Besonders der sogenannte „Gesundheitsfonds“, der die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung neu gestaltete, blieb in Erinnerung.
Auch mit der Konsolidierung des Haushalts kam man anfangs gut voran. Durch die Anhebung der Mehrwertsteuer auf 19 Prozent sank die Neuverschuldung. Doch 2008 machte sich der Ausbruch der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise in Deutschland bemerkbar.
Die Stunde der Krisenmanager
Zwischen Herbst 2008 und Anfang 2009 beschloss der Bundestag das Finanzmarktstabilisierungsgesetz und zwei Konjunkturprogramme mit einem Gesamtvolumen von rund 81 Milliarden Euro. Kanzlerin Merkel und ihr Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) bekamen das Image von Krisenmanagern – und lobten sich selbst noch im Wahlkampf 2013 für die gute Zusammenarbeit.
Obwohl die Große Koalition Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern gut durch den Beginn der Krise navigiert hatte, endete das Bündnis schon nach einer Wahlperiode. Der Union gelang es, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die gemeinsamen Erfolge vor allem mit Merkel in Zusammenhang gebracht wurden. Und die FDP schaffte bei der Bundestagswahl 2009 ein Rekordergebnis von 14,6 Prozent und damit den Sprung zurück auf die Regierungsbank. (sta/16.12.2013)