Kurzzeitverträge verhindern lineare Karrierewege
Die Beschäftigungslage des wissenschaftlichen Nachwuchses an Universitäten und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland ist nicht zufriedenstellend. Viele Verträge hätten zu kurze Laufzeiten, für die Nachwuchswissenschaftler ergeben sich kaum lineare Karrierewege. Darin waren sich alle Experten weitgehend einig, die der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung unter Vorsitz von Ulla Burchardt (SPD) am Mittwoch, 13. Juni 2013, zu einer öffentlichen Anhörung mit dem Titel „Wissenschaftszeitvertragsgesetz und Perspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs“ in das Berliner Paul-Löbe-Haus eingeladen hatte.
„Nettoexportland beim wissenschaftlichen Nachwuchs“
Karin Bordasch vom Max-Plack-Institut für Infektionsbiologie beklagte, dass die befristeten Stellen im Mittelbau rasant zugenommen hätten. „An Gesundheitszentren arbeiten 80 Prozent der Wissenschaftler mittlerweile befristet“, griff sie einen Bereich heraus.
Auch der Vizepräsident für Forschung und Innovation der Technischen Universität München, Prof. Dr. Thomas Hoffmann, machte auf diesen Umstand aufmerksam und sagte über die Folgen: „Deutschland gehört zum Nettoexportland, was wissenschaftlichen Nachwuchs angeht.“ Zwischen 2007 und 2011 hätte 158 Nachwuchstalente mit einem ERC Grant – einem wissenschaftlich europaweiten anerkannten Standard – Deutschland verlassen.
„Unvorteilhafte Altersstruktur“
Dr. Georg Jongmanns vom Hochschul-Informations-System (HIS) machte auf die unvorteilhafte Altersstruktur an den Hochsuchulen aufmerksam. Die Anzahl der Nachwuchswissenschaftler, die noch nicht promoviert sind, habe in den vergangenen zehn Jahren enorm zugenommen. Die Zahl der Postdocs sei aber in etwa gleich geblieben.
Das würde für die Postdocs bedeuten, dass sie einerseits eine Vielzahl von Doktoranden zu betreuen hätten und den Alltag des Betriebes am Laufen halten müssten und andererseits selbst ihre Karriere verfolgen müssten. Dabei könnte es zu erheblichen Zielkonflikten kommen.
„Karrierewege international nicht mehr wettbewerbsfähig“
Dr. Andreas Keller, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), begrüßte, dass die Politik das Problem endlich ernst nehme und appellierte eindringlich an sie, es nicht bei Appellen zu belassen. „Die Karrierewege an deutschen Hochschulen sind international nicht mehr wettbewerbsfähig“, machte er deutlich. Das habe nicht nur Auswirkungen auf das Leben der jungen Wissenschaftler, sondern auch auf die Forschung und Lehre.
Matthias Neis von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi forderte neben den Hauptpunkten Planbarkeit und Transparenz der beruflichen Laubahnen die Streichung der Tarifsperre. Diese sei ein Anachronismus. Die Tarifparteien müssten die Möglichkeit haben, auf die tariflichen Bestimmungen Einfluss zu nehmen.
„Finanziell angespannte Lage der Universitäten“
Prof. Dr. Jan-Henrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin, hinterfragte, ob tatsächlich das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu diesen „prekären“ Beschäftigungsverhältnissen geführt habe oder ob nicht vielmehr in der Hauptsache die finanziell angespannte Lage der Universitäten Schuld an der Misere sei. Professoren könnten wegen anhaltend knapper Mittel junge Wissenschaftler oft nur befristet einstellen.
Dr. Heike Wolke von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutsche Forschungszentren unterstrich das Instrument der Selbstverpflichtung als Grundlage verantwortungsvollen Umgangs mit den Nachwuchswissenschaftlern.
„Verlässliche Karrierewege anbieten“
Dorothee Dzwonnek, Generalsekretärin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, sagte: „Im globalen Wettbewerb um die besten Köpfe können Hochschulen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen nur mit einem Angebot verlässlicher Karrierewege bestehen.“ Zudem seien verstärkt Anstrengungen notwendig, um auch in der späten Postdoc-Phase einen strukturierten Ausstieg und damit eine planbare Karriereperspektive auch außerhalb der Wissenschaft zu ermöglichen.
Gegenstand der Anhörung waren ein Gesetzentwurf der SPD zur Änderung des Gesetzes über befristete Arbeitsverträge (17/12531) sowie Anträge von CDU/CSU und FDP (17/9396), der Linksfraktion (17/6488, 17/11044) und von Bündnis 90/Die Grünen (17/7773) sowie der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs 2013 (17/13670). (rol/12.06.2013)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Karin Bordasch, Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats (GBR), Berlin
- Dorothee Dzwonnek, Generalsekretärin der Deutschen Forschungsgemeinschaft e. V. (DFG), Bonn
- Prof. Dr. Thomas Hofmann, Vizepräsident für Forschung und Innovation, Technische Universität München (TUM)
- Dr. Georg Jongmanns, Hochschul-Informations-System GmbH (HIS), Abteilung Hochschulentwicklung, Arbeitsbereich: Hochschulmanagement, Hannover
- Dr. Andreas Keller, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und
- Wissenschaft (GEW), Frankfurt am Main
- Matthias Neis, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Bundesverwaltung, Fachbereich Bildung, Wissenschaft und Forschung, Berlin
- Prof. Dr. Jan-Hendrik Olbertz, Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin
- Dr. Heike Wolke, Vizepräsidentin der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren e. V., Berlin, Verwaltungsdirektorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven