„Feindbild der Juden durch Muslime ersetzt“
„Wirkliche Kritik setzt Sachkenntnis voraus. Verallgemeinerung hingegen ist das Kochrezept aller Vorurteile“, sagte Prof. Dr. Wolfgang Benz in der Bibliothek des Deutschen Bundestages, wo er am Donnerstag, 16. Mai 2013, aus seinem Buch „Die Feinde aus dem Morgenland. Wie die Angst vor den Muslimen unsere Demokratie gefährdet“ las.
In seinem Werk analysiert der renommierte Antisemitismusforscher aus der Perspektive der Vorurteilsforschung Mechanismen der Ausgrenzung einer Minderheit durch die Mehrheit. Eine zentrale These des Autors dabei lautet: Muslimfeindlichkeit arbeitet mit ganz ähnlichen Argumentationsmustern und Stereotypen wie der Antisemitismus.
Einteilung in Gut und Böse
„Gemeinsam ist diesen Vorurteilen die Einteilung in Gut und Böse sowie das Phänomen der Ausgrenzung. Oftmals dient eine solche Denkweise der Anhebung des eigenen Selbstbewusstseins, auch um soziale Frustrationen zu lindern“, so Benz.
Zentrale Rollen bei der Diskriminierung von Fremden spielten vor allem Religion und Kultur. Vergleiche man Antisemitismus mit Islamfeindlichkeit, so lasse sich ein grundlegender Unterschied feststellen. Im Gegensatz zum ausgehenden 19. Jahrhundert geht es heute nicht mehr um die Emanzipation der Juden, sondern um die Integration der Muslime.
Bloggerszene agiert besonders infam
Und diese, so Benz, werde zusätzlich erschwert durch moderne Technologien wie das Internet. Benz: „Dabei ist die Muslimfeindschaft in der Bloggerszene besonders infam. Morde an Muslimen werden dort zum Teil freudig begrüßt.“
Gleichzeitig, führte der Wissenschaftler weiter aus, hätten Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Die mit Abstand beliebteste darunter sei die von der Islamisierung Europas. „Wirklich gefährlich wird es allerdings dort, wo Rechtspopulisten sich der Überfremdungsängste bei Teilen der Bevölkerung bedienen und diese im gemeinsamen Schulterschluss etwa bei Protestveranstaltungen gegen den Bau einer Moschee ausleben.“ Hier entstünden neue Aktionsfelder zur Einbindung bürgerlicher Gruppen in rechte Bewegungen.
Perfide Gemeinsamkeit
„Als Beispiel sei nur ,Pro Köln’ genannt“, sagte Benz. Besonders bedenklich hierbei sei der Umstand, dass der Übergang von Rechtspopulismus zu Rechtsextremismus fließend sei.
Die perfide Gemeinsamkeit zwischen Antisemitismus und Muslimfeindschaft sei die Instrumentalisierung von Feindbildern. In beiden Fällen werde mit Stereotypen hantiert. „Dabei ist mir jedoch wichtig zu betonen, dass es mir bei der Beschreibung dieser Analogie nicht darum geht, Juden und Muslime mit einander gleichzusetzen, sondern Gemeinsamkeiten bei den Mustern ihrer Diskriminierung herauszuarbeiten“, betonte er.
Haltung nicht auf Kleinbürgertum beschränkt
Derer gebe es viele, sagte er weiter. „Vorurteile speisen sich stets aus Imaginationen. Typisch ist auch, dass Personen, die Vorurteile pflegen, sich lieber emotional ausagieren als einen intellektuellen Ansatz zu verfolgen. Zum anderen beharren sie gerne auf ihren politischen Positionen und sind nicht offen für neue Erkenntnisse.“
Hervorzuheben sei dabei jedoch, dass sich diese Haltung nicht etwa auf die Kreise des Kleinbürgertums beschränke, sondern sich durch alle Schichten der Gesellschaft ziehe. „Dabei treiben sie dieselben Sorgen um, wie damals die Antisemiten im Dritten Reich: Etwa die Angst vor Überfremdung oder vor kultureller Expansion.“
„Es gibt keine Weltverschwörung der Muslime“
Diese Ängste, so Benz, sei für so manchen allerdings bares Geld wert: „Mit ihren Verschwörungstheorien tingeln einige Autoren durch die Talkshows und bemühen sich, als Experten wahrgenommen zu werden – allerdings als Experten für Dinge, die nicht existieren: Es gibt schlicht keine Weltverschwörung der Muslime, wie sie mancher dieser zweifelhaften Autoren ausgemacht haben will. Nichtsdestotrotz verkaufen sich solche Thesen glänzend.“
Die Extremismusforschung, so das Fazit von Benz an diesem Abend, komme zu einem eindeutigen Schluss: „Das Feindbild der Juden wird heute durch das Feindbild der Muslime ersetzt.“ Wieder gehe es um die Ausgrenzung einer Minderheit. „Höchste Zeit“, so der Appell des Autors, „diese Diskriminierungsmechanismen zu verstehen und schließlich zu verhindern.“ Die Deutschen müssten endlich aus ihrer Geschichte lernen. „Denn was ist die Kultur der Erinnerung, auf die wir in Deutschland so stolz sind, wert, wenn wir die Diskriminierung der Juden heute bei einer anderen Gruppe wiederholen?“ (jmb/17.05.2013)