Bundestag billigt weitere Finanzhilfen für Griechenland
Nach einem eindringlichen Appell von Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) hat der Bundestag am Freitag, 30. November 2012, den von der Bundesregierung beantragten Änderungen am Anpassungsprogramm für Griechenland (17/11647) zugestimmt. In namentlicher Abstimmung votierten 473 Abgeordnete für den Antrag, 100 stimmten dagegen, elf enthielten sich. Zwei Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke (17/11706) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (17/11731) fanden keine Mehrheit. Ein Abbruch des Programms hätte Konsequenzen für ganz Europa und noch darüber hinaus, warnte Schäuble. Mit dem Beschluss kommen auf den Bundeshaushalt im nächsten Jahr Einnahmeverluste von 730 Millionen Euro zu.
Minister: Keine falschen Anreize setzen
Die Oppositionsfraktionen erwarten beziehungsweise forderten einen Schuldenschnitt, den FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle „derzeit“ ausschloss. Brüderles Hinweis auf den für Staatsinsolvenzen und Schuldenerlasse zuständigen „Pariser Club“ wurde von Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin lobend aufgenommen: „Es wird so sein.“ Die Schuldenbelastung Griechenlands werde durch einen Schuldenschnitt verringert werden müssen.
Schäuble sagte in einer Regierungserklärung, in Griechenland würden sich erste Erfolge einstellen, „aber der vor uns liegende Weg ist noch lang“. Jahrzehntelange Versäumnisse könnten nicht in zwei Jahren aufgeholt werden. Er lehnte ebenso wie die CSU-Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt einen Schuldenschnitt ab: „Wir dürfen weiterhin keine falschen Anreize für ein Nachlassen der griechischen Reformbemühungen setzen.“
CDU/CSU: Europa als Werte- und Schicksalsgemeinschaft
In Griechenland erlebe man jetzt das Wegbrechen eines „Scheinwohlstandes, der auf Pump, nämlich maßgeblich mit Hilfe von Auslandskrediten finanziert worden ist“. Vergleichbar sei der Transformationsprozess der griechischen Wirtschaft am ehesten mit dem Prozess in den osteuropäischen Ländern nach Zusammenbrechen der Sowjetunion. Strukturelle Reformen seien in Griechenland unumgänglich, auch wenn die Erfolge hinter den ursprünglichen Zielen zurückgeblieben seien.
Griechenland werde die Erleichterungen nur erhalten, „wenn es Zug um Zug seine Reformmaßnahmen weiter konsequent umsetzt“, versprach Schäuble. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Volker Kauder, verteidigte die Griechenlandhilfe mit dem Hinweis, Europa sei mehr als Euro und Cent, sondern eine „Werte- und Schicksalsgemeinschaft“.
SPD: Es läuft auf einen Schuldenschnitt hinaus
Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Dr. Frank-Walter Steinmeier, erinnerte an „Forderungen in unverantwortlicher Weise“ aus den Koalitionsparteien, Griechenland solle aus der Währungsunion geworfen werde. Dagegen sei die SPD immer für Hilfen eingetreten und brauche jetzt keine Belehrungen. Der Koalition warf er vor, ökonomische Vernunft auf dem Altar des Populismus geopfert zu haben: „Die Verbeugung vor der Volksseele war Ihnen wichtiger – einer Volksseele, die sie zunächst hochgekocht haben.“
Zu den Kostenangaben des Finanzministers sagte Steinmeier, die schlichte Wahrheit sei doch, dass die Rettung Griechenlands und Europas „echtes Geld kostet, unser Geld kostet, und genau vor dieser Wahrheit schrecken Sie doch zurück“. Auch Schäuble wisse, dass der Werkzeugkasten leer sei und es auf einen Schuldenschnitt für Griechenland hinauslaufe. Aber noch scheue die Koalition diese Erkenntnis „wie der Teufel das Weihwasser“.
FDP: Schuldenschnitt derzeit nicht möglich
„Wir verändern die Zeitachse und lassen beim Reformdruck nicht nach“, stellte Brüderle fest. Griechenland mache eine „bittere Therapie“ durch. Ein Schuldenschnitt sei derzeit nicht möglich. Was zu einem späteren Zeitpunkt eintreten könne, könne man heute nicht sagen. Es gebe nicht nur einen Londoner Club für private Schuldenschnitte, sondern auch einen Pariser Club für staatliche Schuldenschnitte.
Es sei nicht auszuschließen, dass für Griechenland weiteres Geld ausgegeben werden müsse. Brüderle verteidigte die Hilfen mit einem Hinweis auf die Domino-Theorie: „Wenn einer fällt, fallen andere mit.“ Griechenland sei aber ein Extremfall und kein Präzedenzfall.
Linke: Schuldenschnitt wird sehr teuer
„Jeder weiß, das Griechenland zahlungsunfähig ist und den riesigen Schuldenberg aus eigener Kraft unmöglich mehr bedienen kann“, stellte Sahra Wagenknecht (Die Linke) fest. Jeder wisse auch, dass sich daran in Zukunft nichts ändern werde. „Und deswegen weiß auch jeder, dass es am Ende einen Schuldenschnitt geben wird, und dass dieser Schuldenschnitt für Deutschland sehr teuer wird.“
Die Regierung solle aufhören, „die Wähler für dumm zu verkaufen“. Die Koalition, aber auch SPD und Grüne wollten den Bankrott ihrer Griechenlandpolitik nicht offensichtlich werden lassen. Es seien Milliarden deutscher Steuergelder in den Sand gesetzt worden. Die Schulden Griechenlands seien heute 60 Milliarden Euro höher als vor dem ersten Hilfspaket. Das sei eine verantwortungslose Veruntreuung von Steuergeld, sagte Wagenknecht, die auf „Traumrenditen“ von 42 Prozent der Hedgefonds hinwies, die sich vor dem Ankaufsprogramm griechische Anleihen gesichert hätten.
Grüne: Sparen verschärft die Rezession
Jürgen Trittin, Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen, sagte an die Adresse der Linksfraktion, diese müsste eigentlich zustimmen, denn es gehe jetzt darum, die falsche Politik der Koalition zu korrigieren. Griechenland habe trotz der Sparpolitik mehr Schulden. Das bedeute: „Eine ausschließlich auf Sparen setzende Konsolidierungspolitik verschärft die Rezession.“
Deshalb sei es richtig, den Griechen mehr Zeit zu geben, aber das koste auch Geld. Dauerhaft tragfähig sei das nicht: „Am Ende des Tages wird die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit einen Schuldenschnitt erfordern.“
„Auflösung der Währungsunion kein Weltuntergang“
Frank Schäffler (FDP), einer der Kritiker der Griechenlandhilfe aus den Koalitionsfraktionen, warnte vor einer Abschottung der Euroländer gegenüber den anderen Staaten Europas. Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) sah in einer Auflösung der Währungsunion „keinen Weltuntergang“. Es gebe eine ganze Reihe von Beispielen, wo eine Trennung von Währungsgebieten funktioniert habe, zum Beispiel bei der Trennung von Tschechien und der Slowakei.
Nach Zustimmung des Bundestages kann jetzt die nächste Tranche des Anpassungsprogramms in Höhe von 43,7 Milliarden Euro bereitgestellt werden. In den Anlagen zum Antrag des Bundesfinanzministeriums (17/11648, 17/11649, 17/11669) zu dem vom Bundestag beschlossenen Antrag heißt es, insgesamt hätten die Darlehen des Rettungsfonds EFSF an Griechenland eine Gesamthöhe von bis zu 144,6 Milliarden Euro. Bisher seien im Rahmen einer ersten Tranche 73,9 Milliarden Euro bereitgestellt worden. Sollte die nächste Tranche bereitgestellt werden, werde Griechenland insgesamt 117,6 Milliarden Euro an Darlehen im Rahmen des zweiten Anpassungsprogramms erhalten haben.
Zwei Jahre mehr Zeit für Griechenland
Nach dem Bundestagsbeschluss erhält Griechenland zwei Jahre mehr Zeit (bis 2016), um den geforderten Primärüberschuss im Haushalt von 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu erreichen. Bis zum Jahr 2020 soll der Schuldenstand 124 Prozent vom BIP betragen und bis 2022 substanziell unter 110 Prozent liegen.
Griechenland soll zudem eigene Anleihen zurückkaufen, was wegen der niedrigen Kurse ein Beitrag zur Entschuldung ist. Die Euroländer werden darüber hinaus die Gewinne der Zentralbanken aus gehaltenen Griechenlandanleihen Athen zur Verfügung stellen und die Zinsen für bereits gewährte Kredite senken.
Verschiebungsantrag der Linken abgelehnt
Zuvor hatte die Linksfraktion vergeblich versucht, Debatte und Abstimmung zu verschieben. Die Bundesregierung benutze das Parlament immer häufiger als „Abnickorgan“, kritisierte die Parlamentarische Geschäftsführerin Dr. Dagmar Enkelmann, die darauf verwies, man habe das gesamte vorgelegte Paket nicht genau genug studieren können. Das Schnellverfahren sei unverantwortbar.
Dagegen sah der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Michael Grosse-Brömer, jeden Abgeordneten in der Lage, eine verantwortungsbewusste und für ihn tragbare Entscheidung zu treffen. (hle/30.11.2012)