Ex-Staatssekretär August Hanning räumt Fehler ein
„Es wurden Fehler gemacht“: Mit diesen Worten räumte Dr. August Hanning am Freitag, 30. November 2012, vor dem Untersuchungsausschuss zum Auftakt der Zeugenvernehmungen Defizite bei den lange Zeit erfolglosen Ermittlungen zu der dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) angelasteten Mordserie an neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer deutschen Polizistin ein. Vor dem Untersuchungsausschuss, der Pannen und Fehlgriffe bei den Ermittlungen zu den zehn Erschießungen erhellen soll, betonte der von 2005 bis 2009 als Innenstaatsekretär amtierende Ex-Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), die Sicherheitsbehörden hätten nach „bestem Wissen und Gewissen“ gearbeitet. Man müsse aber fragen, wie es trotzdem zu Fehlern habe kommen können und welche Konsequenzen daraus zu ziehen seien.
Der Abgeordnete Clemens Binninger beklagte, dass man sich bei den Ermittlungen frühzeitig zu stark auf die Tätersuche im kriminellen Milieu festgelegt und Ansätze, die dieser Theorie widersprochen hätten, „stiefmütterlich“ behandelt habe. Zudem kritisierte der Obmann der Unionsfraktion, dass die Sicherheitsbehörden über Jahre hinweg die Existenz rechtsterroristischer Strukturen bestritten hätten.
„An RAF oder Al-Qaida orientiert“
Bei dieser Beurteilung, räumte Hanning ein, habe man sich im Rückblick zu stark am Muster der RAF oder terroristischer Organisationen wie Al-Qaida orientiert. Das Phänomen der Einzeltäter sei hingegen „unterschätzt“ worden. Auch das Agieren von Rechtsterroristen im Ausland wie etwa in Schweden, von wo aus es Querverbindungen nach Deutschland gegeben habe, „hätte uns stärker beunruhigen müssen“, sagte der Zeuge. Eine Erkenntnis sei überdies, dass Rechtsterroristen nach ihren Taten oft keine Bekennerbriefe hinterlassen.
Aus Sicht Hannings hat sich die föderale Sicherheitsstruktur „im Kern bewährt“. Der Ex-Staatssekretär warb für pragmatische Reformen, da man an der Zuständigkeit der Länder für Sicherheitspolitik kurzfristig nichts ändern könne. Er verteidigte das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten, doch müssten die Behörden „besser kommunizieren“. Einrichtungen des Bundes und größerer Länder sollten Defizite bei leistungsschwächeren Ländern ausgleichen.
„Verfassungsschutz ein Stiefkind der Politik“
Hanning forderte eine Aufwertung des Verfassungsschutzes, der immer ein „Stiefkind“ der Politik gewesen sei. Wesentliche Teile der an unterschiedlichen Standorten angesiedelten Sicherheitsbehörden sollten stärker in Berlin konzentriert werden, man sei manchmal „weit weg vom politischen Tagesbetrieb“.
Auf Kritik stieß im Ausschuss die Zusammenlegung der Abteilungen für Links- und Rechtsextremismus beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) 2006. Für SPD-Obfrau Dr. Eva Högl ist dieser Schritt, der gegen das fachliche Urteil des BfV-Präsidenten Heinz Fromm erfolgt sei, ein Beleg dafür, dass das Thema Rechtsextremismus „vernachlässigt und verharmlost“ worden sei.
„Zwang zu Einsparungen“
Der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), bemängelte, dass im BfV nach der Fusion für die Bekämpfung des Rechtsextremismus 20 Prozent weniger Personal zur Verfügung gestanden habe.
Hanning rechtfertigte die Maßnahme mit dem damals existierenden Zwang zu Einsparungen. Debattiert worden sei die Zusammenlegung der Abteilung für Linksextremismus mit der für Rechtsextremismus oder mit jener für Ausländerextremismus. Für die erstere Variante habe man sich angesichts der Bedrohungslage zu jener Zeit entschieden, die vor allem von der Gefährdung durch islamistischen Terror geprägt gewesen sei. Den NSU, der im November 2011 aufflog, habe man in jenen Jahren noch nicht gekannt.
„Steuerungsgruppe gebildet“
Befragt wurde Hanning auch zu dem 2006 gescheiterten Vorstoß des Bundeskriminalamts (BKA), angesichts der Probleme bei den damals seit sechs Jahren erfolglosen Bemühungen zur Aufklärung der Mordserie die auf mehrere Länder verteilten Ermittlungen beim BKA zu konzentrieren. Laut dem Zeugen wurde dieses Thema in der Spitze des Bundesinnenministeriums bis hin zu Ressortchef Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) erörtert.
Angesichts des Widerstands der Länder und besonders von Bayern gegen eine Zuständigkeit des BKA habe man es aber nicht für sinnvoll erachtet, dies in einem Konfrontationskurs durchzusetzen. Bei einer Innenministerkonferenz im Juni 2006 habe man sich schließlich auf Abteilungsleiterebene einvernehmlich auf eine Lösung verständigt. Seinerzeit wurde zur besseren Koordinierung der bei den Ländern verbleibenden Ermittlungen beim BKA eine Steuerungsgruppe gebildet.
Brisante Informationen des MAD
Die Sicherheitsbehörden haben aus brisanten Informationen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) zu Rechtsextremisten nicht die nötigen Konsequenzen gezogen: Diese Kritik wurde am Donnerstag, 29. November 2012, von Mitgliedern des Untersuchungsausschusses bei der Anhörung Karl-Heinz Brüsselbachs geäußert, von 2010 bis 2012 Präsident des Bundeswehr-Geheimdienstes.
Der MAD habe bereits um das Jahr 2000 erfahren, dass sich das 1998 untergetauchte Jenaer „Bombenbastler-Trio“, aus dem später der NSU wurde, „in Richtung Rechtsterrorismus bewegt“, sagte Unionsobmann Clemens Binninger. Zudem habe ein V-Mann den Militär-Geheimdienst über Aktivitäten der Jenaer Gruppe beim „Thüringer Heimatschutz“ (THS) unterrichtet und einen Aufenthaltsort des Trios erwähnt.
Laut Brüsselbach, dem zu jener Zeit im Verteidigungsministerium die Aufsicht über den MAD oblag, handelte es sich dabei um Kreta, Binninger meinte hingegen, es müsse um einen „anderen Ort“ gegangen sein. Diese an den Verfassungsschutz weitergeleiteten Erkenntnisse blieben jedoch, wie im Ausschuss moniert wurde, offensichtlich folgenlos. Binninger: „Was nutzen brisante und gute Informationen, wenn sie versanden?“
„Nicht akzeptables Sicherheitsrisiko“
SPD-Sprecherin Dr. Eva Högl kritisierte, dass das NSU-Mitglied Uwe Mundlos, der 1994/1995 seinen Wehrdienst ableistete, damals erst Monate nach dem Bekanntwerden von rechtsextremistischem Verhalten vom MAD vernommen wurde. „Das ist zu lange“, räumte Brüsselbach ein. Hätte Mundlos bei seiner Anhörung die von ihm verneinte Frage, ob er als Informant für Sicherheitsbehörden tätig sein wolle, bejaht, so wäre diese Bereitschaft laut dem Zeugen dem Verfassungsschutz für ein eventuelles Anwerbegespräch nach dem Wehrdienst gemeldet worden.
Aus Sicht Högls ist es ein nicht akzeptables „Sicherheitsrisiko“, wenn in der Bundeswehr Rechtsextremisten vom MAD als V-Leute geführt würden. Brüsselbach entgegnete, es würden nur Soldaten angeworben, die sich vom Rechtsextremismus wieder gelöst hätten.
„MAD war nicht in Eisenach“
Auf eine entsprechende Frage des FDP-Parlamentariers Serkan Tören sagte der Zeuge, es spreche „wenig dafür“, dass Mundlos vom MAD mehrfach vernommen worden sei. Er wolle indes nicht ausschließen, dass er noch vom Verfassungsschutz außerhalb der Kaserne befragt worden sei.
Brüsselbach verneinte das von Binninger erwähnte „Gerücht“, der MAD sei am 4. November 2011 in Eisenach gewesen, als dort in einem Wohnwagen die NSU-Mitglieder Mundlos und Böhnhardt tot aufgefunden wurden.
„Das bedauere ich aus heutiger Sicht“
Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) und andere Abgeordnete kritisierten, dass das Bundestagsgremium erst im September dieses Jahres über die MAD-Vernehmung von Mundlos 1995 unterrichtet worden sei, obwohl dies beim Geheimdienst schon im Februar 2012 bekannt gewesen sei. Brüsselbach hatte das Verteidigungsministerium, aber nicht den Ausschuss über die Akte Mundlos informiert: „Das war nicht angemessen, das bedauere ich aus heutiger Sicht.“
Linken-Obfrau Petra Pau warf dem Zeugen vor, dass noch nach der Enttarnung des NSU im November 2011 beim MAD Unterlagen zum Thema Rechtsextremismus geschreddert worden seien – etwa zu einer fränkischen Nachfolgeorganisation des „Thüringer Heimatschutzes“, und dies, wo das NSU-Trio Kontakte zu Rechtsextremisten in Franken unterhalten habe. Brüsselbach meinte dazu, er habe damals angewiesen, keine Akten mit einem Bezug zum NSU zu vernichten.
„Vieles viel bessser geworden“
Grünen-Sprecher Wolfgang Wieland kritisierte, dass in den 1990er Jahren Soldaten ihren Wehrdienst hätten ableisten können, obwohl sie bei MAD-Befragungen rechtsextremistisch in Erscheinung getreten seien – beispielsweise mit der Äußerung, Hitler sei ein „großer Mann“ gewesen, oder mit der Tätowierung der SS-Parole „Blut und Ehre.“
Brüsselbach entgegnete, seither sei „vieles viel besser geworden“. Aber auch in den Neunzigern habe sich der MAD gegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr engagiert. (kos/30.11.2012)