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Parlament

Lammert begrüßt Klarstellungen im Karlsruher Urteil

Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert hat am Mittwoch, 12. September 2012, die „doppelte Klarstellung“ des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung zu mehreren Eilanträgen zum ESM-Vertrag und zum Fiskalpakt begrüßt. Zu begrüßen sei erstens die Feststellung, dass die vom Bundestag beschlossenen Verträge zum dauerhaften Euro-Rettungsschirm, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), und dem damit verbundenen Fiskalpakt verfassungskonform sind. Zu begrüßen sei zweitens die Bestätigung des Gerichts, dass der Bundestag mit seiner Zustimmung zu diesen vertraglichen Vereinbarungen weder seine verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten im Allgemeinen noch seine haushaltsrechtlichen Kompetenzen und seine Budgetverantwortung im Besonderen an europäische Institutionen oder Organe abgetreten hat.

„Zentrale Rolle des Bundestages“

Die Klarstellung, dass auch die Regelungen zur Vertraulichkeit von Entscheidungen im Rahmen des ESM nicht als Begrenzung oder Ausschluss der Unterrichtungspflichten der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag und parlamentarischer Informations- und Kontrollrechte geltend gemacht werden kann, mache einmal mehr die zentrale Rolle deutlich, die das Grundgesetz dem Deutschen Bundestag bei politischen Entscheidungsprozessen auch dann zuweist, wenn sie die europäische Ebene betreffen, erklärte Lammert.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am 12. September mehrere Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vor allem zum ESM-Vertrag und zum Fiskalpakt mit zwei Maßgaben abgelehnt.

Haftungsbeschränkung auf gut 190 Milliarden Euro

Zum einen muss die Haftungsbeschränkung (Artikel 8 Absatz 5 Satz 1 des ESM-Vertrages) sämtliche Zahlungsverpflichtungen der Bundesrepublik aus diesem Vertrag der Höhe nach auf ihren Anteil am genehmigten Stammkapital des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) begrenzt sein (190.024.800.000 Euro).

Dabei darf keine Vorschrift dieses am 2. Februar 2012 von den Mitgliedstaaten der Eurozone geschlossenen Vertrages so ausgelegt werden, dass für die Bundesrepublik ohne Zustimmung des deutschen Vertreters in den Gremien des ESM höhere Zahlungsverpflichtungen begründet werden.

„Vorbehalte geltend machen“

Zum anderen dürfen die Regelungen des Vertrages über die Unverletzlichkeit der Unterlagen des ESM (Artikel 32 Absatz 5, Artikel 35 Absatz 1 des ESM-Vertrages) und die berufliche Schweigepflicht aller für den ESM tätigen Personen (Artikel 34 des ESM-Vertrages) einer umfassenden Unterrichtung des Bundestages und des Bundesrates nicht entgegenstehen.

Die Bundesrepublik müsse zum Ausdruck bringen, so die Karlsruher Richter, dass sie an den ESM-Vertrag insgesamt nicht gebunden sein will, falls sich die von ihr geltend zu machenden Vorbehalte als unwirksam erweisen sollten.

Ratifikation zurückgestellt

Bundestag und Bundesrat hatten die Zustimmungsgesetze zum ESM-Vertrag (17/10126, 17/10172, 17/9045), zum europäischen Fiskalpakt (17/10125, 17/10171, 17/9046) und zum Beschluss des Europäischen Rates vom 25. März 2011 zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist (17/10159, 17/9047), am 29. Juni 2012 verabschiedet. Bundespräsident Joachim Gauck hatte die Ratifikation der Gesetze bis zu einer Entscheidung des Verfassungsgerichts zurückgestellt.

Die Eilanträge hatten zum Ziel, dem Bundespräsidenten bis zur Entscheidung über die jeweilige Hauptsache zu untersagen, die als Maßnahmen zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise im Euro-Währungsgebiet beschlossenen Gesetze zu unterzeichnen und auszufertigen. Zu den Beschwerdeführern zählten unter anderen die Fraktion Die Linke und der CSU-Bundestagsabgeordnete Dr. Peter Gauweiler.

„Abgeordnete müssen Kontrolle behalten“

Wie Verfassungsgerichtspräsident Prof. Dr. Andreas Voßkuhle betonte, sei eine summarische Prüfung der Rechtslage geboten gewesen, weil die Bundesrepublik mit der Ratifikation der Verträge völkerrechtliche Bindungen eingehe, von denen sie sich nicht mehr ohne Weiteres lösen könnte, falls im Hauptsacheverfahren Verfassungsverstöße festzustellen wären.

Das Gericht unterstrich, dass die Abgeordneten auch in einem „System intergouvernementalen Regierens“ die Kontrolle über fundamentale haushaltspolitische Entscheidungen behalten müssten. Daher sei es dem Bundestag untersagt, finanzwirksame Mechanismen zu begründen, die zu nicht überschaubaren Haushaltsbelastungen ohne erneute konstitutive Zustimmung des Bundestages führen können.

Keine dauerhafte Haftungsübernahme

Dem Bundestag sei damit auch als Gesetzgeber verwehrt, dauerhafte völkervertragsrechtliche Mechanismen zu etablieren, die auf eine Haftungsübernahme für Willensentscheidungen anderer Staaten hinauslaufen – „vor allem, wenn sie mit schwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbunden sind“.

Jede ausgabenwirksame solidarische Hilfsmaßnahme des Bundes größeren Umfangs – international oder innerhalb der EU – müsse vom Bundestag im Einzelnen bewilligt werden. Auch die Art und Weise des Umgangs mit den bereitgestellten Summen müsse hinreichendem parlamentarischen Einfluss unterliegen.

„Den demokratischen Prozess offen halten“

Eine demokratisch legitimierte Änderung von Stabilitätsvorgaben im EU-Recht sei nicht von vornherein verfassungswidrig, heißt es in dem Urteil weiter. Das Grundgesetz gewährleiste nicht den unveränderten Bestand des geltenden Rechts, sondern Strukturen und Verfahren, die den demokratischen Prozess offen halten und dabei die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Parlaments sichern.

Die Verpflichtung des Haushaltsgesetzgebers auf eine bestimmte Haushalts- und Fiskalpolitik sei nicht von vorherein demokratiewidrig.

„Kein Vehikel verfassungswidriger Staatsfinanzierung“

Die durch Artikel 136 ‚Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union eröffnete Möglichkeit, einen ständigen Stabilitätsmechanismus einzurichten, führt dem Urteil zufolge nicht zu einem Verlust der nationalen Haushaltsautonomie, weil der Bundestag mit dem Zustimmungsgesetz noch keine haushaltspolitischen Kompetenzen auf EU-Organe oder Einrichtungen übertrage.

Gegen den ESM-Vertrag könne nicht eingewandt werden, dass der ESM zum „Vehikel einer verfassungswidrigen Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank“ werden könnte. Eine Aufnahme von Kapital durch den ESM bei der Europäischen Zentralbank (EZB) wäre mit dem Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung nicht vereinbar, so die Richter. Daher könne der ESM-Vertrag nur so verstanden werden, dass er derartige Anleiheoperationen nicht zulässt.

Keine Kredite der EZB an den ESM

Der ESM gehöre zu den Institutionen, an die die EZB keine Kredite vergeben darf. Auch eine Hinterlegung von Staatsanleihen durch den ESM bei der EZB als Sicherheit für Kredite würde gegen das Verbot unmittelbaren Erwerbs von Schuldtiteln öffentlicher Stellen verstoßen.

Inwieweit das vom EZB-Rat am 6. September beschlossene Programm über den Ankauf von Staatsanleihen finanzschwacher Euro-Staaten diesen rechtlichen Vorgaben entspricht, sei im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden gewesen, betonen die Richter.

Mitwirkung bei Anteilsausgaben über dem Nennwert

Fraglich sei, ob die gebotene Mitwirkung des Bundestages bei einer Ausgabe von Anteilen am ESM-Stammkapital über dem Nennwert hinreichend geregelt ist oder ob mit Blick auf mögliche weitreichende Wirkungen auf den Bundeshaushalt eine bundesgesetzliche Ermächtigung erforderlich ist. Bei verfassungskonformer Auslegung von Paragraf 4 Absatz 1 des ESM-Finanzierungsgesetzes (17/10126, 17/10172, 17/9048) sei die Zustimmung zu einer Anteilsausgabe über dem Nennwert dem Plenum des Bundestages vorbehalten.

Das Gericht schließt nicht aus, dass das ESM-Finanzierungsgesetz dem Haushaltsausschuss Befugnisse zuweist, die wegen ihrer Tragweite vom Plenum wahrgenommen werden müssen, etwa Entscheidungen über wesentliche Änderungen des Verfahrens und der Bedingungen der Kapitalabrufe des ESM.

Gesetz zum Fiskalpakt verfassungskonform

Schließlich stellt der Zweite Senat fest, dass das Zustimmungsgesetz zum Fiskalvertrag die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestages nicht verletzt.

Der Vertrag, dessen Ziel die Stärkung der Wirtschafts- und Währungsunion durch die Förderung der Haushaltsdisziplin sei, decke sich weitgehend mit den Vorgaben der „Schuldenbremse“ des  Grundgesetzes (Artikel 109, 115 und 143d).

Lammert dankt Mario Draghi

Bundestagspräsident Norbert Lammert hat sich am Freitag, 14. September, für das Angebot von EZB-Präsident Mario Draghi bedankt, dem Bundestag die Strategie der EZB  zu erläutern. „Der Präsident der EZB konkretisiert damit eine Zusage, die er mir bereits vor einigen Wochen bei meinem Besuch bei der Europäischen Zentralbank gegeben hat“, erklärte Lammert.

Er werde sich darum bemühen, im Ältestenrat des Deutschen Bundestages möglichst bald eine Vereinbarung für ein geeignetes Format eines Gesprächs des EZB-Präsidenten mit besonders interessierten und beteiligten Abgeordneten herbeizuführen, kündigte Lammert an. (vom/14.09.2012)