Geheimhaltung einer MAD-Akte löst Eklat aus
Die Geheimhaltung einer Akte des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) über den mutmaßlichen Rechtsterrorristen Uwe Mundlos vor dem Untersuchungsausschuss, der Pannen und Fehlgriffe bei den Ermittlungen zu der dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) angelasteten Mordserie durchleuchten soll, hat am Dienstag, 11. September 2012, einen Eklat provoziert. Der Vorsitzende Sebastian Edathy (SPD) und die fünf Fraktionsobleute kritisierten scharf, dass sie von dem Dokument über eine Befragung von Mundlos während seiner Bundeswehrzeit 1995 erst „en passant“ (FDP-Sprecher Hartfrid Wolff) dank einer Anfrage des Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele bei der Regierung erfahren hätten. Nach dem Auffliegen des „echten Skandals“ (SPD-Obfrau Dr. Eva Högl) bestellte das Bundestagsgremium MAD-Präsident Ulrich Birkenheier spontan für den Dienstagnachmittag, 11. September, als Zeugen ein, damit er „Rede und Antwort steht“ (Edathy), warum diese Unterlagen vom MAD zurückgehalten und zum Teil vernichtet wurden.
„Unerklärliche“ und „unentschuldbare“ Geheimhaltung
Nach Erkenntnissen des Ausschusses waren über die Akte zur Befragung von Mundlos, der zusammen mit Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe vom NSU-Trio Ende der neunziger Jahre untergetaucht ist, auch die Regierung sowie der Verfassungsschutz in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt und auf Bundesebene informiert. CDU/CSU-Obmann Clemens Binninger nannte die Geheimhaltung durch den MAD „unerklärlich“, die für Edathy „unentschuldbar“ ist.
Högl gab sich „sprachlos“, Wolff bezeichnete das Verhalten des Geheimdiensts der Bundeswehr als „unglaublich“. Bündnis 90/Die Grünen-Sprecher Wolfgang Wieland machte einen „schwarzen Tag“ aus und kritisierte einen „Vertrauensbruch“, der „Verschwörungstheorien“ nähre.
Im „Thüringer Heimatschutz“ mitgemischt
Die Obfrau der Linksfraktion Petra Pau zeigte sich „überrascht“, wie umfangreich offenbar die Kenntnisse des MAD über die rechtsextremistische Szene in Thüringen gewesen seien. Dort hatten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe im „Thüringer Heimatschutz“ vor ihrer NSU-Zeit mitgemischt.
Laut Grünen-Sprecher Wolfgang Wieland hat der MAD 1995 versucht, Mundlos, der als Soldat rechtsextremistisch aufgefallen sei, als Informanten anzuwerben. Ströbele fragte, ob dessen Verhalten bei der Bundeswehr „auch etwas mit Waffen zu tun hatte“.
Kritische Fragen an den Führer von V-Leuten
Vor der Vernehmung von MAD-Präsident Birkenheier befasste sich der Ausschuss mit der dem NSU angelasteten Erschießung des Internetcafé-Betreibers Halit Yozgat im April 2006 in Kassel. Mit kritischen Fragen konfrontierten die Abgeordneten zunächst Andreas T., der als Führer von V-Leuten aus dem ausländer- und rechtsextremistischen Spektrum im hessischen Verfassungsschutz auf mysteriöse Weise unmittelbar vor der Tat in dem Lokal war.
Der Ex-Geheimdienstler, der inzwischen beim nordhessischen Regierungspräsidium arbeitet, war damals selbst unter Tatverdacht geraten, die Ermittlungen gegen ihn wurden jedoch eingestellt.
„Von dem Mord nichts mitbekommen“
Der Zeuge erklärte, er sei aus „privaten Gründen“ in dem Café gewesen und habe von dem Mord nichts mitbekommen. Binninger zeigte sich verwundert, dass die Tötung von Yozgat an T. als einem in Sachen Observation erfahrenen Verfassungsschützer vorbeigegangen sein soll.
Dazu der Zeuge: „Diese Frage stelle ich mir auch immer wieder.“ Er habe jedoch keine Schüsse gehört, nichts gesehen und auch keinen Pulverdampf gerochen.
„Angst gehabt, dass das rauskommt“
Er räumte indes ein, er könne verstehen, wenn jemand meine: „Das kann doch gar nicht sein, dass jemand am Tatort ist und nichts mitbekommt.“ Es sei auch ein „Fehler“ gewesen, dass er nach dem Mord wegen seiner Präsenz in dem Lokal nicht von sich aus im Verfassungsschutz das Gespräch gesucht habe. T. hatte sich anders als sonstige Kunden des Internetcafés zunächst auch nicht als Zeuge bei der Polizei gemeldet: Er habe „Angst“ gehabt, „dass das rauskommt“.
Zu dem Hinweis, bei der Durchsuchung seines Hauses sei auch rechtsextremes Schriftgut gefunden wurde, sagte der Ex-Geheimdienstler, mit diesem Gedankengut habe er sich in seiner Jugend befasst, sei davon aber später abgerückt: „Ich bin kein Rechtsextremist und hatte nie Kontakt zu solchen Kreisen.“
Helle Empörung bei Abgeordneten
Nach der Vernehmung Ulrich Birkenheiers kündigte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy am Dienstagabend zu diesem Zweck für Oktober eine bislang nicht geplante ganztätige Sitzung des Ausschusses an. Näher prüfen wollen die Abgeordneten dabei auch den Wirrwarr über den Umlauf der Akte zu der Mundlos-Befragung bei fünf Geheimdienstbehörden und dem Verteidigungsministerium.
Dieses undurchsichtige Hin und Her des Dokuments hatte dazu geführt, dass der Anwerbeversuch des späteren NSU-Mitglieds Mundlos erst jetzt aufgrund einer Anfrage des Grünen-Abgeordneten Hans-Christian Ströbele an die Regierung dem Ausschuss bekannt wurde, was bis Dienstagabend bei den Parlamentariern mehrfach zu heller Empörung geführt hat.
Öffentliche Zeugenvernehmung im Oktober
Im Oktober sollen die Zeugen einschließlich Birkenheiers, der am Dienstag nach einer spontanen Einbestellung durch den Ausschuss zunächst hinter verschlossenen Türen befragt wurde, öffentlich angehört werden.
Nach seiner Vernehmung bestritt Birkenheier die Angaben mehrerer Abgeordneter, wonach es aufgrund der Einsicht in die bisher zu diesem Fall vorliegenden Unterlagen 1995 einen Anwerbeversuch des MAD bei Mundlos gegeben habe, der damals in seiner Kaserne wie mehrere andere Soldaten durch rechtsextremistisches Verhalten aufgefallen sein soll, etwa durch das Hören entsprechender Skinhead-Musik.
Papiere nach fünf Jahren vernichtet
Der erst seit Juli dieses Jahres amtierende Chef des Bundeswehr-Geheimdiensts bestätigte zwar, dass Mundlos gefragt worden sei, ob er etwa Anschlagspläne aus dem gewalttätigen rechtsextremistischen Spektrum mitteilen wolle. Laut Birkenheier hätte jedoch der Verfassungsschutz, an den man den Fall abgegeben habe, über eine eventuelle Informantentätigkeit von Mundlos entscheiden müssen, der bald nach der Befragung aus der Bundeswehr ausgeschieden sei. Mundlos lehnte im Übrigen eine Zusammenarbeit mit Geheimdiensten ab.
Laut Birkenheier vernichtete der MAD die Papiere über den Kontakt mit Mundlos gemäß den gesetzlichen Vorschriften nach fünf Jahren, unterrichtete aber nach der Befragungsaktion den Verfassungsschutz auf Bundesebene sowie in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt über diesen Vorgang.
CDU/CSU: Heilsame Erfahrung
Aus den Ausführungen Birkenheiers wie mehrerer Abgeordneter ergibt sich, dass im März 2012 durch eine Anfrage des sächsischen Verfassungsschutzes an den MAD erste Hinweise auf die Dokumente über die Befragung von Mundlos auftauchten. Es dauerte jedoch bis Ende August, bis schließlich beim Bundesamt für Verfassungsschutz ein Doppel der Akte von 1995 ans Licht kam.
Der Ausschuss zeigte sich auch am Dienstagabend nach der Anhörung Birkenheiers noch „wütend“ (Grünen-Obmann Wolfgang Wieland), dass man nicht schon im März über den geheimdienstlichen Kontakt zu Mundlos informiert wurde. Edathy: „Wenn irgendwo der Name Mundlos auftaucht, müssen doch die Alarmglocken schrillen.“ Unionssprecher Clemens Binninger sagte, nach dieser „heilsamen Erfahrung“ sollte allen Beteiligten klar sein, wie man sich im Falle von brisanten Akten gegenüber dem Ausschuss zu verhalten habe.
SPD befürchtet „Verschwörungstheorien“
Wegen des undurchsichtigen Umgangs mit den Papieren über die Befragung von Mundlos „dürften jetzt Verschwörungstheorien ins Kraut schießen“, warnte Eva Högl (SPD). Linken-Obfrau Petra Pau appellierte an alle Verantwortlichen, gegenüber dem Bundestagsgremium künftig „die nötige Sensibilität zu entwickeln“.
Laut FDP-Sprecher Hartfrid Wolff wurde erneut deutlich, dass die Kooperation zwischen den Sicherheitsbehörden verbessert werden müsse. Wieland betonte, der Ausschuss benötige nicht nur alle vorhandenen Unterlagen, sondern wolle auch „eine Zusammenstellung der vernichteten Akten haben“. (kos/12.09.2012)