Wettbewerbsdebatte mit überraschendem Ende
Wettbewerbsdebatte mit überraschendem Ende: Weil zu wenig Abgeordnete an einem „Hammelsprung“ teilgenommen hatten, musste Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) die Sitzung des Deutschen Bundestages am Freitag, 15. Juni 2012, zum Ende der ersten Debatte wegen Beschlussunfähigkeit abbrechen. Grund war die Abstimmung über den gemeinsamen Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen (17/8923, 17/9989) mit dem Ziel einer gesetzlichen Verankerung des Presse-Grossos. Dabei waren die Mehrheitsverhältnisse unklar, sodass ein „Hammelsprung“ durchgeführt werden musste. Beim „Hammelsprung“ verlassen die Abgeordneten den Plenarsaal und kehren durch verschiedene Türen, die mit Ja, Nein oder Enthaltung gekennzeichnet sind, in den Saal zurück. Dabei werden sie gezählt. Es gab 204 Ja- und sieben Nein-Stimmen, sodass Pau die Beschlussunfähigkeit des Parlaments feststellen musste und die Sitzung abbrach.
Rösler fordert mehr Transparenz
Zuvor hatte sich das Parlament mit Wettbewerbsfragen beschäftigt. „Die Märkte haben sich verändert. Also müssen wir unseren Kartellbehörden neue Instrumente an die Hand geben“, verlangte Bundeswirtschaftsminister Dr. Philip Rösler (FDP). Gebraucht werde mehr Transparenz, „und wir wollen die Verbraucher besser schützen“, versprach Rösler. Den Wohlstand verdanke man dem Wachstum, und Wachstum werde möglich durch Wettbewerb, zu dem ein gutes Wettbewerbskartellrecht gehöre. Dazu gehöre auch, dass die Kartellbehörden in die Strukturen der Energieversorgung hineinschauen könnten.
Rösler erklärte, der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (17/9852) werde die Stellung der Verbraucher weiter verbessern. Auch Martin Lindner (FDP) begrüßte den Entwurf. Angesichts „unerfreulicher Tendenzen“ im Einzelhandel müsse etwas unternommen werden.
Verbot der „Preis-Kosten-Schere“ wird verlängert
Der Entwurf wurde an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Er sieht unter anderem eine Stärkung kleinerer und mittlerer Tankstellenbetreiber vor. Dies soll durch eine Verlängerung des Verbots der „Preis-Kosten-Schere“ erfolgen. Damit werde verhindert, dass große Mineralölkonzerne kleine und mittlere Konkurrenten im Wettbewerb behindern, indem sie ihnen Kraftstoffe zu einem höheren Preis liefern als dem, den sie selbst an ihren eigenen Tankstellen von den Autofahrern verlangen.
Außerdem soll eine Preismissbrauchsvorschrift für marktbeherrschende Strom- und Gasanbieter verlängert werden. Die Kartellbehörden erhalten darüber hinaus die Möglichkeit, die Rückerstattung von überhöhten Preisen zum Beispiel im Strombereich an die Verbraucher anzuordnen. Neben der Angleichung an europäische Vorschriften sieht der Gesetzentwurf auch die Einbeziehung der gesetzlichen Krankenversicherung in das Wettbewerbsrecht vor. Das Sondergutachten der Monopolkommission zum GWB-Gesetzentwurf (17/8541) wurde zur Kenntnis genommen.
SPD: Nur das letzte Glied der Kette wird geprüft
Nach jedem Lebensmittel-Skandal, bei jeder Preiswelle bei Gas und Strom und jeder Benzinpreis-Abzockerei kündige die Koalition schärfere Maßnahmen an und drohe mit dem Wettbewerbsrecht, stellte Klaus Barthel (SPD) fest. Geschehen sei bis heute aber nichts. Auch der vorgelegte Gesetzentwurf müsse Rösler eher peinlich sein.
Am Beispiel der Benzinpreise erläuterte Barthel, es würde nur das letzte Glied in der Kette, die Tankstelle, von den Kartellbehörden geprüft. Barthels Fazit: „Wer allen Ernstes glaubt, dass der Benzinpreis an der Tankstelle gemacht wird, glaubt auch, dass der Strom aus der Steckdose kommt.“
Union warnt vor falschen Erwartungen
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) warnte davor, im Zusammenhang mit dem Kartellrecht falsche Erwartungen zu wecken. Der Gesetzgeber könne mit dem Gesetzentwurf nicht dazu beitragen, dass der Benzinpreis sinkt, aber er könne zu mehr Transparenz beitragen.
Es müsse alles getan werden, dass freie Tankstellen weiter existieren können und nicht von den großen Lieferanten mit schlechteren Konditionen als die Markentankstellen bedient werden.
Linke: Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Maximal erfülle der Entwurf „einige wenige minimalste Anforderungen“, kritisierte Ulla Lötzer (Die Linke). „Angesichts der realen Probleme mit der Marktmacht von Konzernen in vielen Bereichen gibt es aber eine massive Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit“, befand Lötzer.
Die Koalition wiederhole hier das übliche Schauspiel: „Die Kernprobleme werden ausgeblendet, der Rest mit viel heißer Luft zur Reform aufgeblasen.“ So werde nichts gegen die Extragewinne der Mineralölgesellschaften wegen ihrer Monopolstellung getan.
Grüne: Brüderle-Vorschlag „verschimmelt“ in der Schublade
Kerstin Andreae (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte unter anderem, dass es im Rahmen der GWB-Novelle nicht zu einer wirkungsvollen Entflechtungsregelung komme. Ein Vorschlag des früheren Wirtschaftsministers Rainer Brüderle (FDP) „verschimmelt wider besseren Wissens in der Schublade“. Andreae verlangte außerdem, den Verbraucherschutz als Schutzzweck in das Gesetz aufzunehmen.
Ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für mehr Verbraucherschutz und Nachhaltigkeit im Wettbewerbsrecht (17/9956) wurde an die Ausschüsse überwiesen. Abgelehnt wurde mit der Mehrheit von CDU/CSU und FDP ein Antrag der SPD-Fraktion (17/4874, 17/5824), die eine umfassende Untersuchung der Einkaufspraktiken des Lebensmitteleinzelhandels verlangt hatte. Nach ihrer Ansicht entwickelt sich der Preiskampf in der Lebensmittelbranche zum Schaden der Arbeitnehmer und Verbraucher. (hle)