Frauenanteil in der Wissenschaft reicht noch nicht aus
Die Gleichstellung von Frauen und Männern im Wissenschaftsbetrieb ist zwar vorangekommen, aber bei weitem nicht ausreichend: Je höher die Hierarchiestufe, desto geringer der Frauenanteil. Das ist das Fazit einer öfentlichen Anhörung „Frauen in Wissenschaft und Forschung“ des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Montag, 11. Juni 2012. „Überall da, wo entschieden wird, sind kaum Frauen“, sagte die Ausschussvorsitzende Ulla Burchardt (SPD) in ihrem Eingangsstatement. Dem Fachgespräch liegt eine Antwort der Bundesregierung (17/7756) auf eine Große Anfrage der Fraktionen SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen zur „Geschlechtergerechtigkeit in Wissenschaft und Forschung“ (17/5541) als Vorlage zugrunde.
Frauenanteil bei Professuren 19 Prozent
Jutta Dalhoff vom GESIS, Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften Köln, forderte, die vorhandenen Programme weiterzuentwickeln. Viele Instrumente wie die forschungsorientierten Gleichstellungsstandards der Deutschen Forschungsgemeinschaft aus dem Jahr 2008 hätten eine „positive gleichstellungspolitische Dynamik“ entfaltet.
Der Frauenanteil der Professuren in Deutschland habe sich über alle Fächer hinweg von 10,6 Prozent im Jahr 2000 auf 19 Prozent im Jahr 2010 entwickelt.
Für eine fach- und einrichtungsspezifische Quote
Dr. Edit Kirsch-Auwärter, Gleichstellungsbeauftrage an der Universität Göttingen, machte sich für eine fach- und einrichtungsspezifische Quote stark, da Appelle nicht reichen und sich mitunter sogar negativ auf das Fortkommen der Frauen auswirken würden. Es entstehe der Eindruck, für die Gleichstellung werde schon etwas getan.
Kirsch-Auwärter fand deutliche Worte für die derzeitige Lage: „Bleibt die Personalstruktur so wie sie ist, ist das eine Aufforderung an Wissenschaftlerinnen, das Wissenschaftssystem wieder zu verlassen. Das nenne ich einen perversen Ansatz.“
„Kritische Masse von 30 bis 40 Prozent Frauenanteil“
Der Präsident der Justus-Liebig-Universität Gießen, Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, nannte zur Veranschaulichung Zahlen. Obwohl die Uni Gießen zwei Drittel Studentinnen habe, liege der Anteil der männlichen Professoren bei 82 Prozent. Er plädierte dafür, dort, wo neue Stellenbesetzungen anstehen, diese wenn irgend möglich mit Frauen zu besetzen. Auf allen Hierarchiestufen müsste die „kritische Masse“ von 30 bis 40 Prozent Frauenanteil erreicht werden, damit die Frauen „ganz selbstverständlich agieren“ könnten und nicht als Alibifrau gälten.
Er sprach sich für eine Quote aus, die gemeinschaftlich verabredet ist und zudem die spezifischen Bedingungen an der jeweiligen Hochschule berücksichtigt. Sie müsste durch Maßnahmen flankiert werden, die auf einen Mentalitätswandel zielen.
„Ambitionierte, aber realistische Zielquoten“
Auch Prof. Dr. Wolfgang Marquardt, Vorsitzender des Wissenschaftsrates, forderte eine Zielquote. Sie solle flexibel sein und an das Kaskadenmodell gekoppelt werden.
Das bedeutet, dass der Frauenanteil auf einer Qualifikationsstufe mindestens so hoch sein muss, wie der Anteil auf der jeweils niedrigeren Stufe. Marquardt sagte: „Die Zielquoten sollen ambitioniert, aber realistisch sein.“
„Für die Organisation mit Vorteilen verbunden“
Auf einen anderen Punkt wies Martina Schraudner von der Technischen Universität München hin: „Die Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen in der Wissenschaft ist keine Frage der Gerechtigkeit, sondern für die Organisation mit Vorteilen verbunden.“Talente könnten aus einer größeren Grundgesamtheit geschöpft und es könnten andere Akzente gesetzt werden. Denn Frauen würden andere Forschungsthemen auf die Agenda setzen als Männer.
Dagmar Simon vom Wissenschaftszentrum Berlin sagte an ihr Vorrednerin anknüpfend: „Einen Großteil von qualifizierten Wissenschaftlerinnen auszuschließen, ist nicht effizient.“ (rol)
Liste der Sachverständigen
- Jutta Dalhoff, Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung (CEWS) am GESIS, Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften Köln
- Dr. Edit Kirsch-Auwärter, Universität Göttingen, Bundeskonferenz der Frauenbeauftragten und Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen (BuKoF)
- Prof. Dr. Wolfgang Marquardt, Wissenschaftsrat Köln
- Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, Justus-Liebig-Universität Gießen
- Prof. Dr. Martina Schraudner, Technische Universität Berlin, Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V., München
- Dr. Dagmar Simon, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung