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Kultur und Geschichte

„Entscheidend ist die Vorstellung der Mehrheit“

Mathias Kepplinger, Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse

(© DBT/Melde)

Wie funktioniert ein Skandal? Warum gehen einige daran öffentlich unter – und andere nicht? „Das ist eine spannende Frage“, sagte Bundestagsvizepräsident Dr. Wolfgang Thierse (SPD) in seiner Eröffnungsrede zur Autorenlesung von Prof. Dr. Mathias Kepplinger. Der emeritierte Mainzer Kommunikationsforscher las am Donnerstag, 10. Mai, 2012, in der Bibliothek des Bundestages aus seinem Buch „Die Mechanismen der Skandalisierung“. Kepplinger hat eine Vielzahl von bundesdeutschen Skandalen untersucht: von zu Guttenberg über Kachelmann bis Sarrazin.

„Die Sucht nach Hysterisierung“

Thierse zeigte sich gespannt, passe die Diskussion doch gut in unsere Zeit. Schließlich ist „die Sucht nach Skandalen und die Hysterisierung der Kommunikation ein Kennzeichen unserer heutigen Demokratie“.

Wann also kommt es zu einem Skandal? „Wenn die eindeutige Mehrheit der Bevölkerung mit Empörung auf einen Missstand reagiert und Konzequenzen fordert“, sagt Autor Kepplinger. Dabei sei es unerheblich, ob der Missstand tatsächlich besteht. „Entscheidend ist die Vorstellung der Mehrheit“, führt Kepplinger fort. Bezeichnend sei, dass im Skandal alle Beteiligten — Beobachter wie Akteure — überzeugt seien, sie wüssten genau Bescheid, obwohl sie meist wenig Ahnung hätten.

„Nicht jeder Missstand wird zum Skandal“

Jedoch nicht alle Missstände würden zu Skandalen führen. Als Beispiel nennt Kepplinger die Umweltprobleme in Westdeutschland, die in den 1960er-Jahren viel gravierender waren als in den 1980er-Jahren. Zum Skandal sei das damals nicht geworden. „Die Perspektive ist entscheidend“, sagt der Autor. Sei 1960 das oberste Ziel noch der wirtschaftliche Aufstieg gewesen, würde mit zunehmendem Wohlstand die Toleranz für Risiken sinken. Die Perspektive verenge sich.

„Wo es die meisten Missstände gibt, gibt es die wenigsten Skandale. Die Länder mit den geringsten Missständen haben die meisten Skandale“, brachte Kepplinger seine These auf den Punkt und sorgte damit für Heiterkeit im Publikum.

„Skandale kann man nicht aufdecken“

Es sei ein Trugschluss zu glauben, die Medien würde Skandale aufdecken, sagte Kepplinger. „Skandale kann man nicht aufdecken, sie sind die Folge der öffentlichen Empörung, wenn über einen Missstand berichtet wird.“ Ein typischer Mechanismus eines Skandals sei es, dass sich die Täter als Opfer fühlen. Sie empfänden die Berichterstattung als ungerecht. Zwar würden sie irgendwann nicht mehr die Vorwürfe an sich bestreiten. Aus ihrer Sicht jedoch würden die Umstände, aus denen heraus sie gehandelt haben, falsch dargestellt.

„Sie empfinden die Berichte als verletzend“, sagt Kepplinger, daher würden die Täter „gereizt bis aggressiv reagieren“. Dies führe nur zu einem Rückkopplungseffekt, in dem sich die Berichterstatter solidarisieren.

„Das Motiv ist Eigennutz“

Das Motiv im Skandal sei Eigennutz. Aus niederen Motiven hätte der skandalisierte Akteur sich über bestehende Regeln hinweggesetzt. Daher verleihe es Journalisten das Gefühl, die Moral zu wahren, wenn sie einen Skandal anprangerten.

Die größte Chance einen Skandal zu überleben habe man, wenn man schnell „eine plausible Erklärung präsentiert“, sagt der Kommunikationsforscher. Für einen skandalisierten Akteur sei es am wichtigsten, die Glaubwürdigkeit zu bewahren. Es sei ein Grundfehler, mehrfach zu sagen „das stimmt nicht“. Damit begebe man sich nur in eine Position, der Lüge überführt zu werden und Glaubwürdigkeit zu verlieren.

Gar nichts zu sagen, sei die schlechteste Lösung, führte Kepplinger fort. Ob man einen Skandal öffentlich überlebe oder nicht, hänge allerdings auch von persönlichen Empfindungen der Berichterstatter ab. Eine Studie Kepplingers habe gezeigt, das zwei Drittel der befragten Journalisten dazu neigten, eine skandalträchtige Information ohne Recherche zu veröffentlichen, wenn die betreffende Person ihnen unsympathisch sei. (mla)

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