„Wir müssen Zugriff auf alle Akten haben“
„Wir müssen Zugriff auf alle Akten haben, auch aus den Ländern“: Im Interview erwartet Hartfrid Wolff (FDP) on der Innenministerkonferenz am 22. März ein „Signal für eine enge Kooperation“ mit dem Untersuchungsausschuss, der die Hintergründe der dem sogenannten „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zugerechneten Mordserie erhellen soll. Aus Sicht des FDP-Obmanns zeigt das jahrelange Untertauchen des NSU, dass es an der nötigen Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden mangelt. Wolff fordert, Schutzlücken im Sicherheitssystem zu schließen, die Taten wie diese Mordserie begünstigen. Das Interview im Wortlaut:
Untersuchungsausschüsse im Bundestag sowie in Sachsen und Thüringen, dazu die Bund-Länder-Kommission. Diese Gremien versuchen zwar, ihre Arbeit zu verzahnen, aber ist nicht doch zu befürchten, dass man sich in der Praxis verzettelt und in die Quere kommt?
Ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird. Die Aufgabenstellungen der Gremien sind im Prinzip klar definiert. Die Abgeordneten in Thüringen und Sachsen befassen sich mit Ereignissen und Problemen in ihren Ländern. Der Bundestagsausschuss hat ein Gesamtbild über die Geschehnisse rund um die Mordserie zu erstellen. Und die Bund-Länder-Kommission soll auf der Basis der in den Ausschüssen gewonnenen Erkenntnisse Empfehlungen für die Regierung erarbeiten, ohne selbst Recherchen vorzunehmen. Die Abstimmungsgespräche mit den Kollegen in Erfurt und mit der Bund-Länder-Kommission verliefen sehr konstruktiv. Deutlich kritischer sehe ich indes die Zusammenarbeit mit dem sächsischen Ausschuss: Dort sitzt die NPD mit am Tisch, und diese Situation muss genau geprüft werden.
Der Untersuchungsausschuss des Bundestages setzt die Länder unter Druck, alle Akten im Zusammenhang mit der dem NSU angelasteten Mordserie zur Verfügung zu stellen. Ist aber ernsthaft mit Blockaden seitens der Länder zu rechnen? Werden sich Ausschuss und Länderinnenminister vor Gericht über die Öffnung der Akten streiten?
Ich hoffe nicht, dass dies passieren wird. Wir im Untersuchungsausschuss müssen Zugriff auf alle Akten haben, auch aus den Ländern. Von der Innenministerkonferenz am 22. März erwarte ich ein entsprechendes Signal für eine enge Kooperation. Nach meinem Eindruck stehen einige Länder einer Zusammenarbeit mit unserem Ausschuss sehr offen gegenüber, während sich andere noch in Zurückhaltung üben.
Zu den großen Rätseln gehört, wieso sich der NSU über 15 Jahre derart geschickt abzuschotten vermochte. Welche konkreten Fragen stellen sich für die Recherchen im Ausschuss?
Man muss Folgendes sehen: Die kriminalistisch-juristische Aufarbeitung der Mordserie obliegt der Generalbundesanwaltschaft, während wir uns um die politische Aufklärung bemühen. Da ist etwa zu fragen, ob polizeiliche und geheimdienstliche Pannen das Untertauchen des NSU ermöglichten. Warum schlugen Fahndungsaktionen fehl? Gab es Überwachungsaktionen, die erfolglos blieben? Wenn ja, warum? Wieso hat der Informationsaustausch zwischen den Behörden der Länder sowie zwischen der Landes- und Bundesebene nicht adäquat funktioniert? Konnte sich der NSU Kompetenzstreitereien im föderalistischen System zunutze machen? Auf den Ausschuss wartet viel Arbeit.
Herausfinden will man auch, warum bei den zehn Morden nicht auch in Richtung militanter Rechtsextremismus ermittelt wurde. Haben Sie Anhaltspunkte?
Die Frage, warum nicht oder zu wenig in Richtung Rechtsextremismus ermittelt wurde, ist eines der Hauptthemen des Ausschusses. Immerhin existierten ja bei der SoKo Bosporus, die zu den in Bayern verübten Morden ermittelt hat, Hinweise von Profilern, wonach auch Rechtsextremisten als Täter in Frage kommen könnten. Bei den Zeugenvernehmungen im Ausschuss beginnen wir nicht von ungefähr mit der Befragung von Vertretern der Soko Bosporus. Als erstes wollen wir wissen, warum Rechtsextremisten nicht als Verantwortliche in Betracht gezogen wurden.
Zuletzt soll der Ausschuss Vorschläge für Änderungen bei der Sicherheitsarchitektur entwickeln. Welche Defizite, welche Probleme zeichnen sich denn ab?
Reformen müssen Schutzlücken im Sicherheitssystem, die Taten wie diese Mordserie begünstigen, in Zukunft schließen. Ein zentrales Problem ist offenbar, dass es an der nötigen Kooperation zwischen Länderbehörden einerseits sowie zwischen Ländern und Bund andererseits mangelt. Warum hat man nicht enger kooperiert, obwohl bei den zehn Morden, die in verschiedenen Ländern verübt wurden, unter anderem stets die gleiche Tatwaffe benutzt wurde? Wir werden auch überlegen müssen, ob Änderungen in der Struktur der Sicherheitsbehörden geboten sind. Vielleicht sollten das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz künftig leichter und umfassender Informationen von den Ländern anfordern können. Es stellt sich zudem die Frage, ob wir tatsächlich 17 Landesämter für Verfassungsschutz benötigen. Braucht das kleine Bremen eine solche Einrichtung? Bei einer kleineren Zahl dieser Behörden könnte die Zusammenarbeit besser klappen.
Bislang ziehen im Ausschuss die fünf Fraktionen ohne parteipolitisches Gerangel an einem Strang. Wird das so bleiben? Oder ist mit dem Näherrücken der Bundestagswahl mit Konflikten zu rechnen?
Erfreulicherweise sind alle Fraktionen einvernehmlich bemüht, gemeinsam für Aufklärung zu sorgen, Verantwortliche für Fehler zu benennen und Konsequenzen zu ziehen. Ob das auf Dauer so bleibt, muss sich zeigen. Wir von der FDP hoffen dies jedenfalls.
(kos)