Erste Rundfunkübertragung einer Reichstagsrede
„Am 25. Februar wurde zum ersten Male eine im Reichstag gehaltene Rede des Reichskanzlers durch Rundfunk übertragen“, schrieb am Freitag, dem 4. März 1932, der Hörfunksender „Funk-Stunde Berlin“ in seiner gleichnamigen Programmzeitschrift und berichtete weiter über das Ereignis: „Die Rede wurde nicht im Original gesendet, sondern von der Schallplatte.“
Die achtzigminütige Rede des Reichskanzlers Heinrich Brüning (Deutsche Zentrumspartei) wurde zwar nicht live aber am selben Tag übertragen. Ein „besonderes Verfahren“ mit „besonderen Abnahmedosen“ ermöglichte das Abspielen der Rede, erklärt die „Funk-Stunde“ den Vorgang. Auf 19 Schallplatten war die Kanzlerrede im „Haus des Rundfunks“ in Berlin aufgezeichnet worden.
Durch eine Leitung waren Reichstag und Funkhaus miteinander verbunden. Im Reichstag waren drei Mikrofone angeschlossen, eins für den Reichstagspräsidenten Paul Löbe (SPD), eins für den Reichskanzler und eins für Zwischenrufe der Abgeordneten.
Reichstagspräsident will mit Regierung gleichziehen
Ein Schallplattenaufnahmeverstärker und zwei Aufnahmemaschinen sorgten für eine unterbrechungsfreie Aufzeichnung der Rede auf sogenannten Wachsplatten, die nacheinander „vollgeschnitten“ wurden. Im Sendegebiet des Berliner Hörfunksenders konnten ungefähr eine Million Teilnehmer die Ausstrahlung der Rede empfangen. Die Funk-Stunde sendete im norddeutschen Sendebezirk mit damals rund 8,8 Millionen Einwohnern.
Bereits 1931 hatte die Berliner Funk-Stunde damit begonnen, Reichstagssitzungen zu Archivierungszwecken im am 22. Januar desselben Jahres eröffneten Haus des Rundfunks in der Berliner Masurenallee mitzuschneiden und Ausschnitte in ihrer Sendung „Rückblick auf Schallplatte“ zu verwenden. Ermöglicht hatte dies der damalige Reichstagspräsident Paul Löbe.
Angesichts der Ausstrahlung zahlreicher Ministerreden im Rundfunk „bei anderen Gelegenheiten, bei irgendwelchen Anlässen, bei Empfängen, bei der Presse oder sonst wo“ und weil er darin einen Nachteil für den Reichstag sah, hatte er sich in seiner Rundfunkansprache am 12. Juni 1930 „zunächst für die gelegentliche Übertragung besonders wichtiger Sitzungen aus dem Reichstagsgebäude“ ausgesprochen.
Ältestenrat befürchtet Verletzung des Neutralitätsprinzips
Wiederholte Anträge der Berliner Funk-Stunde, Reichstagsdebatten übertragen oder ausschnittsweise verwenden zu dürfen, waren vom Ältestenrat des Reichstages immer abgelehnt worden, da er durch die notwendige Auswahl der zu sendenden Redebeiträge das Neutralitätsprinzip verletzt sah und die Ausstrahlung einer gesamten Reichstagssitzung für den Rundfunkanbieter nicht infrage kam.
Auch der Überwachungsausschuss der Berliner Funk-Stunde hatte vor der Übertragung der Brüning-Rede darüber debattiert, ob die Ausstrahlung der Rede gegen die Überparteilichkeit des Rundfunks verstoße.
Ende Juni 1929 war schon einmal die Rundfunkübertragung einer Rede aus dem Reichstag geplant und angekündigt worden. Aufgrund von Protesten dreier Parteien musste die Übertragung der Rede des damaligen Reichsaußenministers Gustav Stresemanns (Deutsche Volkspartei) kurzfristig abgesagt werden. Ab 1930 hatte der Ältestenrat Aufzeichnungen zu Archivzwecken und die Verwendung von Ausschnitten für Sendungen wie „Rückblick auf Schallplatte“ erlaubt, aber sich weiterhin gegen Übertragungen ausgesprochen.
Paul Löbe genehmigt Ausstrahlung der Rede
Mit Hilfe der genehmigten Schallplattenaufzeichnung für Archivzwecke und durch die alleinige Genehmigung des Reichstagspräsidenten Paul Löbe, ohne Wissen des Parlaments, wurde die Brüning-Rede ausgestrahlt.
Die Ausstrahlung der Rede führte in der folgenden 60. Reichstagssitzung am 26. Februar 1932 zu einer heftigen Debatte über den Missbrauch des Rundfunks durch die Reichsregierung. Die Rede Brünings vom Vortag blieb die einzige vollständig übertragene Rede einer Reichstagssitzung.
Die Aufzeichung bricht kurz vor dem Ende der Rede ab. Die komplette Rede kann unter folgendem Link in den Protokollen des Deutschen Reichstages nachgelesen werden. (klz)