Bundestag zieht Bilanz des Aufbaus Ost nach 22 Jahren
In seiner letzten Plenarsitzung vor der parlamentarischen Weihnachtspause debattiert der Bundestag am Freitag, 16. Dezember 2011, etwa ab 12.20 Uhr über den Stand der Deutschen Einheit. Grundlage der auf gut eine Dreiviertelstunde veranschlagten Aussprache ist der Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2011 (17/7711). Danach sieht die Bundesregierung 22 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer im Aufbau Ost „ein Zeichen für den Erfolg des Zusammenwachsens von Ost und West“. Die Bilanzen zum 20. Jubiläum der deutschen Einheit im vergangenen Jahr hätten deutlich gemacht, dass der Einigungsprozess „an einer neuen Wegmarke angekommen ist“, heißt es in der Vorlage.
„Aufbau der Infrastruktur fast abgeschlossen“
Die Innenstädte hätten sich erneuert und es gebe wieder eine intakte Umwelt. Das ostdeutsche Bruttoinlandsprodukt je Einwohner sei inzwischen von ursprünglich 43 auf 73 Prozent des westdeutschen Niveaus gestiegen und es würden mehr als 80 Prozent des westdeutschen Produktivitätsniveaus erreicht.
Auch sei der in den vergangenen Jahren im Fokus stehende Aufbau der Infrastruktur fast abgeschlossen. Noch vorhandene Rückstände beruhten weniger auf Infrastrukturdefiziten, sondern auf strukturellen Faktoren wie der kleinteiligeren Wirtschaftsstruktur, schreibt die Regierung. Die damit verbundenen Herausforderungen stelle sie in den Mittelpunkt ihrer Förderstrategie.
„Vorreiterrolle in zahlreichen Feldern“
Vorliegende Evaluierungen zeigten, „dass die Programme der Bundesregierung zur Wirtschafts-, Investitions- und Innovationsförderung erfolgreich sind und die Wettbewerbsfähigkeit der ostdeutschen Unternehmen verbessern“.
Dem Bericht zufolge haben die Bilanzen zudem gezeigt, dass die ostdeutschen Länder „in zahlreichen für die Lebensqualität wie auch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung wichtigen Feldern eine Vorreiterrolle einnehmen“. Beispiele dafür seien die „gut ausgebauten Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder und die gute Ganztagsbetreuung bei Schülern sowie die Vorreiterrolle bei erneuerbaren Energien und die höhere Energieeffizienz im Gebäudebereich“.
„Schrittmacher für ganz Deutschland“
Dies fordert nach Ansicht der Bundesregierung „dazu auf, die für die Bewertung der Entwicklung der ostdeutschen Länder vorherrschende ,Angleichungs- und Einholperspektive' Ost an West durch eine differenziertere Betrachtungsweise“ zu ersetzen.
Der „Blick nach vorne“ könne „zunehmend auf eigene Stärken gestützt werden“ und sei immer weniger auf einen „Nachbau West“ ausgerichtet. Dies eröffne den neuen Ländern die Chance, „auf zukunftsweisenden Gebieten auch zum Schrittmacher für ganz Deutschland zu werden.“
Solidarpakt II als finanzielle Grundlage
Die noch bestehenden gesamtwirtschaftlichen Unterschiede bei der Wirtschaftskraft und am Arbeitsmarkt erfordern dem Bericht zufolge auch in den nächsten Jahren eine überproportionale Beteiligung des Bundes an Maßnahmen der Struktur- und Wirtschaftsförderung in den ostdeutschen Ländern. Der bis 2019 laufende Solidarpakt II sei dafür die finanzielle Grundlage, betont die Regierung.
Zugleich verweist sie darauf, dass die neuen Länder nach 2013 voraussichtlich aus der Höchstförderung der EU-Strukturfonds ausscheiden würden. Um die erreichten Fortschritte zu konsolidieren und auszubauen, setze sie sich dafür ein, „dass sie auch nach 2013 eine angemessene und zielgerichtete Förderung durch den Europäischen Strukturfonds im Rahmen von Übergangsregelungen erhalten“.
„Alterungsprozess wird sich beschleunigen“
Mit Blick auf den demografischen Wandel betont die Regierung ferner, dass die Bevölkerungszahl sowohl in West- als auch in Ostdeutschland weiter zurückgehen werde. Zudem werde sich der Alterungsprozess beschleunigen. Diese Prozesse verliefen im Osten schneller und tiefgreifender: „Bis 2030 werden die neuen Länder ein Drittel, bis 2050 die Hälfte ihrer Bevölkerungszahl von 1991 verloren haben.“
Damit seien zum Beispiel Herausforderungen bei der Sicherung wohnortnaher Angebote der Daseinsvorsorge von den Kitas über Schulen bis zur Gesundheitsversorgung und Pflege verbunden. Die neuen Länder könnten daher eine „innovative Werkstatt für Antworten auf den demografischen Wandel werden“.
Linke will einen „Staatsminister für Ostdeutschland“
Den Abgeordneten liegt zu der Debatte zugleich ein Antrag der Fraktion Die Linke (17/5522) vor, die Funktion des Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer in Staatsminister für Ostdeutschland umzubenennen und als Staatsminister des Bundeskanzleramts zu bestellen.
Ferner wird in der Vorlage verlangt, die Geschäftsordnung der Bundesregierung dahingehend zu ändern, dass der Staatsminister für Ostdeutschland an den Sitzungen der Regierung teilnehmen kann. Der Innenausschuss plädiert indes in seiner Beschlussempfehlung (17/6242) zu dem Antrag, den Vorstoß der Linksfraktion abzulehnen. (sto)