Zuschläge sollen die Landflucht der Ärzte stoppen
Die Pläne der Bundesregierung zur Bekämpfung des Landärztemangels sind im Bundestag heftig umstritten. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) warb in der ersten Lesung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (17/6906) am Freitag, 23. September 2011, um Zustimmung. „Wir wollen, dass der Landarzt für die Menschen nicht nur in einer idyllischen Vorabendserie kommt“, sagte Bahr. Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Prof. Dr. Karl Lauterbach, äußerte hingegen die Erwartung, dass sich mit dem Gesetz an Versorgungsproblemen nichts ändern werde. In erster Linie beglücke die Regierung die kassenärztlichen Vereinigungen und „ein paar Ärzte“, kritisierte Lauterbach.
Bahr betonte, es bringe nichts, „den drohenden Ärztemangel zu leugnen“, wie dies SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke lange getan hätten. Viele Haus- und Fachärzte außerhalb der großen Ballungsräume hätten heute Schwierigkeiten, einen Nachfolger zu finden. Die Regierung wolle deshalb Anreize setzen, um Ärzte zu motivieren, sich in unterversorgten ländlichen Regionen niederzulassen.
Neues Gesetz soll Landflucht stoppen
Abgeschafft werde daher die geltende Mengenabstaffelung, die dazu führe, „dass ein Arzt bei immer mehr Patienten weniger Geld bekommt“. Zu den geplanten Maßnahmen zählten auch „Zuschläge für junge Mediziner“. Bahr betonte, er halte nichts davon, Ärzte in überversorgten städtischen Gebieten mit Honorarkürzungen „zu demotivieren“. Der Gesundheitsminister unterstrich: „Wir beglücken mit diesem Gesetz die Patientinnen und Patienten“, denn diese bekämen eine bessere Versorgung.
Der stellvertretende Vorsitzende der Unionfraktion Johannes Singhammer (CDU/CSU) lobte in der Debatte, der Gesetzentwurf der Regierung sei „darauf ausgerichtet, die Landflucht zu stoppen“. Er verwies darauf, dass die Länder bei der Bedarfsplanung „mehr Mitwirkungsrechte“ erhielten und damit regionale Besonderheiten besser berücksichtigt werden könnten. Außerdem bekämen Ärzte, die bereit sind, sich in ländlichen Regionen niederzulassen, einen „Blumenstrauß von auch finanziellen Anreizen“.
FDP will Residenzpflicht lockern
Sie könnten beispielsweise „Preiszuschläge für ihre Leistungen“ erhalten. Außerdem würden junge Landärzte bei der Nachbesetzung von Arztsitzen in Ballungsräumen bevorzugt. „Damit soll auch erreicht werden, dass die erstmalige Niederlassung eines jungen Arztes in einer ländlichen Region nicht zu einer Lebensentscheidung wird“, von der er befürchten müsse, diese nicht mehr revidieren zu können.
Die FDP-Abgeordnete Christine Aschenberg-Dugnus zeigte sich überzeugt davon, dass das geplante Gesetz „die zentralen Probleme in der gesundheitlichen Versorgung lösen wird“. Neben finanziellen Anreizen kümmere sich die Regierungskoalition auch um das Umfeld der Ärzte. So sei vorgesehen, die Residenzpflicht zu lockern. Künftig könnten Ärzte in der Stadt wohnen und auf dem Land praktizieren.
SPD: Ein Geschenk für ein paar Ärzte
Die Opposition hält das Regierungsvorhaben dagegen für völlig unzureichend. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach bemängelte, das Gesetz stelle „ein Geschenk für ein paar Ärzte“ dar, ohne dass sich die Versorgung für die Patienten verbessere. Lauterbach bezog sich auf Pläne zu einer spezialärztlichen Versorgung. Dazu sollen die Möglichkeiten von Kliniken, Patienten mit komplexen Krankheiten wie Krebs, Aids oder Multipler Sklerose auch ambulant zu behandeln, erweitert werden.
Krankenhausärzte sowie niedergelassene Fachärzte sollen unter gleichen Qualifikationsvoraussetzungen und einheitlichen Bedingungen Patienten mit seltenen Krankheiten oder besonderen Krankheitsverläufen versorgen, heißt es im Gesetzentwurf. Lauterbach kritisierte, damit erbrächten „mehr Leistungserbringer die gleichen Leistungen“, was zu höheren Kosten bei den Krankenkassen führe.
Linke kritisiert „vollmundige Ankündigungen“
Die Gesundheitsexpertin der Linksfraktion, Dr. Martina Bunge, sagte, „vollmundigen Ankündigungen“ der Regierung folgten „keine oder falsche oder halbherzige Taten“. Die Regierung habe „bis heute nicht verstanden“, dass der Ärztemangel auf dem Land in erster Linie auf „ein Verteilungsproblem“ zurückgehe. Es sei „ein Unding“, dass das meiste Geld dahin fließe, wo die meisten Ärzte niedergelassen seien, und nicht dahin, wo Ärzte dringend gebraucht würden.
Bunge empfahl der Koalition, den von ihrer Fraktion vorgelegten Antrag mit dem Titel „Wirksamere Bedarfsplanung zur Sicherung einer wohnortnahen und bedarfsgerechten gesundheitlichen Versorgung“ (17/3215) zu berücksichtigen.
Grüne: Polititische Bankrotterklärung
Die gesundheitspolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen, Birgitt Bender, warf der Regierung vor, sich in dem Gesetzentwurf ausschließlich auf die Berufsgruppe der Ärztinnen und Ärzte zu konzentrieren. Für diese werde „der Geldhahn“ aufgedreht.
Die Politik des Bundesgesundheitsministers schaue nur nach einer vermeintlichen FDP-Klientel. Das sei eine „politische Bankrotterklärung“. (mpi)