„Debatte nicht mit Glücksforschung überfrachten“
Verteilungsgerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Zugang für alle zu einem guten Bildungs- und Gesundheitssystem, Generationengerechtigkeit: Nicht zuletzt solche Faktoren machen für Stefanie Vogelsang neben ökonomischen Wachstumsraten das gesellschaftliche Wohlergehen aus. Die CDU-Bundestagsabgeordnete leitet in der Enquete-Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ die Projektgruppe II, die sich mit der Frage eines ganzheitlichen Wohlstands- und Fortschrittsindikators befasst. Die Kommission soll das allein ökonomisch und quantitativ ausgerichtete Bruttoinlandsprodukt (BIP) als Messgröße für gesellschaftliche Lebensqualität weiterentwickeln. Im Interview nimmt Stefanie Vogelsang zur Arbeit der Projektgruppe Stellung:
Ihre Projektgruppe soll der Frage eines ganzheitlichen Wohlstands- beziehungsweise Fortschrittsindikators nachgehen. Was heißt das konkret?
Wir wollen prüfen, ob es sinnvoll ist, eine solche Kategorie zu entwickeln, und ob so etwas machbar ist. Das ist ein anspruchsvolles Anliegen. Ein Schwerpunkt ist dabei der Blick auf die internationale Diskussion. Weltweit existieren fast hundert unterschiedliche Denkansätze. Wir haben die zehn wichtigsten Indikatoren herausgearbeitet und setzen uns nun damit näher auseinander. Alle Debatten kreisen um die Frage, ob man Wohlstand alleine über das Wachstum definieren kann oder ob man zusätzlich andere Kategorien zu Hilfe nehmen soll. Die Projektgruppe und auch die Enquete-Kommission als Ganzes werden dann Handlungsempfehlungen verabschieden, aus denen der nächste Deutsche Bundestag möglicherweise Konsequenzen entwickeln kann.
Was ist daran so schlecht, Wachstum und Wohlstand mit dem BIP zu ermitteln? Zwei oder drei Prozent mehr oder weniger Wachstum bringen die Wirtschaftsentwicklung doch präzise auf den Punkt.
Das BIP misst nur die reinen Wachstumsquoten. Bisher wurden diese Raten mit der Wohlstandsentwicklung gleichgesetzt – nach dem Motto, dass ein Zuwachs an Wachstum automatisch mehr Wohlstand bedeutet. Ein solcher Blickwinkel erscheint allein nicht mehr zukunftstauglich zu sein. Ausgeblendet werden etwa der Zustand der Umwelt, die Qualität des Gesundheitswesens oder die Frage der gerechten Verteilung des Einkommens. In der Vergangenheit bis in die Gegenwart hinein war politische Steuerung in der Hauptsache ausgerichtet am BIP und an der Erwerbslosenquote.
In welche Grundrichtung soll denn ein neuer, umfassender Begriff von Fortschritt und Lebensqualität zielen?
Es geht um die Frage, was Wohlstand neben den ökonomischen Wachstumsraten ausmacht. Gradmessung für den Wohlstand einer Gesellschaft müssen zum Beispiel auch Fragen des Zugangs zur gesundheitlichen Versorgung, zu Bildung, zur gerechten Einkommensverteilung oder zur ökologischen Lebensqualität sein.
Umweltzerstörungen und ihre Folgen wie etwa die japanische Erdbeben- und Atomkatastrophe oder die Explosion einer Ölplattform im Meer reduzieren ohne Zweifel den gesellschaftlichen Reichtum. Ist es sinnvoll, solche Schäden aus dem BIP herauszurechnen?
Davon halte ich nichts. Man sollte die einzelnen Kategorien nicht miteinander vermengen, das muss methodisch sauber getrennt werden. Das BIP als Messgröße für Wachstumsraten ist ein wesentlicher Indikator, der Blick etwa auf die ökologische Qualität oder das Niveau medizinischer Versorgung etwas anderes. Aus meiner Sicht kann es nicht „eine“ einheitliche Zahl zur Beschreibung des Wohlstands geben.
Zur Debatte über die Ermittlung von Lebensqualität gehört auch die Forderung, „Glück“ oder einen „Happiness-Faktor“ zu messen und zu gewichten. Lässt sich etwas derart Subjektives aber überhaupt objektiv errechnen?
Da habe ich meine Zweifel. Man sollte die Debatte in der Enquete-Kommission nicht auch noch mit so etwas wie Glücksforschung überfrachten. Unter Glück versteht jeder etwas anderes, für die einen sind Kinder wichtig, für andere bedeutet die Lektüre guter Bücher viel. Es bringt nichts, auch noch einen Glücksfaktor herausarbeiten zu wollen. Wir sollten uns auf Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität konzentrieren.
Hat die Enquete-Kommission nicht generell mit dem Problem zu kämpfen, dass bei Begriffen wie Wohlergehen oder Lebensqualität immer viel Subjektives mitschwingt, was sich einem objektiven Zugriff entzieht?
Solche Schwierigkeiten vermeidet man, wenn man sich bei der Beschreibung von Wohlstand neben ökonomischen Wachstumsquoten an handfesten Aspekten orientiert, die objektiv zu fassen und für alle nachvollziehbar sind. Ich plädiere dafür, sich dabei auf einige zentrale Punkte zu konzentrieren: etwa auf den Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung, auf Verteilungsgerechtigkeit, auf ökologische Nachhaltigkeit oder auf Generationengerechtigkeit auch in Bezug auf Verschuldung.
Die Enquete-Kommission soll letztlich klären, was unter qualitativem Wachstum zu verstehen und wie dies zu erreichen ist. Wird sich das Gremium einigen können?
Das wird sich zeigen, wenn wir die Frage des qualitativen Wachstums zum Finale unserer Arbeit diskutieren werden. Ich denke schon, dass wir zu einem Ergebnis kommen werden, wobei es angesichts der politischen Gegensätze zwischen den Kommissionsmitgliedern auch zu Mehrheits- und Minderheitsvoten kommen kann. Letztlich wird aus meiner Sicht ein Bündel von Indikatoren das qualitative Wachstum beschreiben.
(kos)