„Islam und Demokratie sind vereinbar“
Mit dem Ende des Mubarak-Regimes in Ägypten endet das Oppositionsmonopol der Muslimbruderschaft: „Vor islamistischen Kräften muss sich nicht gesorgt werden, wenn der politische Wettbewerb offen ist“, sagte Dr. Muriel Asseburg im Rahmen der Veranstaltungsreihe „W-Forum“ der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages zum Thema „Zwischen Revolte und Revolution. Die arabische Welt im Wandel“am Donnerstag, 31. März 2011.
Islamisten sind keine dominante Kraft
Muriel Asseburg, Leiterin der Forschungsgruppe „Naher/Mittlerer Osten und Afrika“ der Stiftung Wissenschaft und Politik, entkräftete die vor allem im „Westen“ gehegten Befürchtungen, dass ein mit dem politischen Umsturz im Nahen Osten und in Nordafrika entstehendes politisches Vakuum mit radikalen islamistischen Bewegungen oder Parteien gefüllt wird.
„Die Muslimbrüder werden nicht die dominante Kraft in absehbarer Zeit sein“, erklärte sie am Beispiel Ägyptens. Denn ihrer Ansicht nach sind Abspaltungen zu erwarten. Es werde andere islamistische Parteien geben - manche moderat, andere extrem. „Wenn sie die gesellschaftliche Transformation der jeweiligen Länder mitentwickeln, sind sie zu akzeptieren.“
So würden in Zukunft die Muslimbrüder in Ägypten keine zu vernachlässigende Rolle in der politischen Entwicklung des Landes spielen, „aber sie haben die Revolution nicht in Gang gebracht“ und hätten lange gezögert, bis sie sich auf die Seite der Demonstranten schlugen.
Eine selbstbewusste Bevölkerung
In der bisher stärksten oppositionellen Kraft des Landes hätten sich mittlerweile unterschiedliche Flügel ausgebildet.
Der Vorteil, einen höheren Organisationsgrad als andere Gruppen zu besitzen, werde mit der Zeit schwinden. Schwerer hingegen wiege, dass die Bevölkerung stolz darauf ist, ihre Rechte eingefordert zu haben. Dieses neue Selbstbewusstsein bringe hohe Erwartungen mit sich und „wird es zukünftigen Regierungen nicht leicht machen“, sie zu erfüllen.
Über Ägypten hinaus trifft Asseburg die Feststellung: „Islam und Demokratie sind vereinbar.“ Denn die revoltierenden Bevölkerungen der Krisenstaaten hätten den Respekt vor den Regierungen und die Angst vor Repressionen verloren.
Teilhabe jahrzehntelang diskreditiert
Wahlen und Parlamente seien von den Herrschenden jahrzehntelang diskreditiert worden. Den Menschen sei keine politische Teilhabe in Aussicht gestellt worden. „Diese Staaten dienten nur den Eliten, sie sind Kleptokratien “, sagte Asseburg. Regime, die sich auf Kosten der Bevölkerung bereichern.
Die Revolte habe sich langsam vorbereitet. „Das Protestpotenzial war vorher da“, sagte die Wissenschaftlerin. So habe es bereits in Ägypten „Brotunruhen“ gegeben. Steigende soziale Ungleichheit, extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit und hohe Nahrungsmittelpreise hätten die Lebensbedingungen stetig verschärft.
Fernsehen als große Triebkraft
Den entscheidenden Antrieb, sich gegen die Regime aufzulehnen, sieht Muriel Asseburg im immer freier werdenden und unkontrollierbaren Zugang zu Informationen. Doch weniger dem Internet als dem Fernsehen schreibt sie die entscheidende Triebkraft zu.
Große arabische Satellitensender wie Al Jazeera und kostengünstige Handys hätten Live-Bilder vor Ort in die Öffentlichkeit getragen - „und auch in Syrien die Zensur durchbrochen“. Dass die Wissenschaft von der Revolution überrascht worden sei, stieß auf Widerspruch bei der Referentin: „Die Forschung hat lange gesagt, dass die Region nicht stabil ist.“
Der Zeitpunkt und die Art und Weise hätten jedoch überrascht. Sie sieht das Problem in der Ausstattung und Finanzierung der Nahostwissenschaften. „Es sind zu wenige Forscher lange genug vor Ort, um mit den Menschen zu sprechen.“ (eis)