Keine Detailangaben zu Zinswetten von Kommunen
Banken und Bankenverbände können keine detaillierten Angaben zum Umfang von so genannten Zinssicherungs- oder Zinsoptimierungsgeschäften deutscher Städte und Gemeinden machen. In einer öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses unter Vorsitz von Dr. Volker Wissing (FDP) am Mittwoch, 6. April 2011, erklärte ein Vertreter des Zentralen Kreditausschusses, des Zusammenschlusses der deutschen Bankenverbände, Zahlen über diese „Zins-Swap-Geschäfte“ lägen den Bankenverbänden nicht vor.
„40 Prozent aller Kommunen nutzen Zinsderivate“
Hubert Beckmann,Vorstandsmitglied der Westdeutschen Landesbank, sprach von einer dreistelligen Zahl von Kunden seines Instituts im kommunalen Bereich. Beckmann und auch die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände zitierten eine Untersuchung des Bundes der Steuerzahler, wonach in Nordrhein-Westfalen 40 Prozent aller Kommunen Zinsderivate nutzen würden, „und zwar ganz überwiegend mit positivem Effekt“, wie die Spitzenvereinigung angab.
Mit „Zins-Swap-Geschäften“ versuchen Unternehmen und Kommunen, die Belastung durch Schuldzinsen für aufgenommene Kredite zu reduzieren. Nach Angaben der Finanz- und Wirtschaftsberatung Dr. Frank Winkler kann eine Kommune etwa eine variable Zinszahlung auf Kredite gegen eine feste Zinszahlung tauschen. Das sei sinnvoll, wenn steigende Zinsen zu erwarten seien und man sich dagegen absichern wolle.
„Für Gemeinden und Mittelständler ungeeignet“
Winkler berichtete in seiner Stellungnahme, den Kommunen seien von Banken weitergehende Instrumente wie „Spread-Ladder-Swaps“ angeboten worden. Dieser Swap werfe Überschüsse ab, wenn die Differenz zwischen langfristigen und kurzfristigen Zinsen groß sei.
Dabei handele es sich jedoch um Spekulationsinstrumente, die für Gemeinden und mittelständische Unternehmen völlig ungeeignet seien, „weil damit nicht kalkulierbare Risiken eingegangen werden“. Es handele sich um „spekulative Wetten ohne jegliche Wertschöpfung“.
„Jährlicher Zinssatz von 120 Prozent möglich“
Nach Angaben von Sven Petersen vom „Sachsen Asset Management“ kann bei dieser Art Finanzgeschäfte ein jährlicher Zinssatz von 120 Prozent für die Kommunen entstehen.
Der Oberbürgermeister der Stadt Pforzheim, Gert Hager, berichtete in der Anhörung, seine Stadt habe versucht, die angesichts eines Schuldenstandes von 128 Millionen Euro erhebliche Zinsbelastung durch den Einsatz derivater Geschäfte wie Zins-Swaps zu optimieren. Nachdem die Deutsche Bank erhebliche Zinsausgleichszahlungen gefordert habe, habe die Stadt versucht, das Risiko zu reduzieren, indem man mit der Bank J.P. Morgan Chase, „Spiegelswaps“ abgeschlossen habe, die die Entwicklung der Swaps der Deutschen Bank spiegelbildlich abbildeten.
„Pforzheim verlor 56 Millionen Euro“
In diesem Zusammenhang sei es aber zu weiteren Derivate-Geschäften mit J.P. Morgan Chase gekommen. Mittlerweile seien die Geschäfte mit beiden Banken beendet: „Der Stadt Pforzheim entstand hieraus ein Verlust von rund 56 Millionen Euro“, stellte Hager fest.
Nach Angaben von Jürgen Fitschen, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank, sind zwei Drittel aller Geschäfte auf Veranlassung der Kommunen zustande gekommen. Viele Kommunen hätten Gewinne durch diese Geschäfte gemacht.
„Banken kommen auf die Kommunen zu“
Er warnte vor der Annahme, dass Verluste der Gemeinden automatisch Gewinne der Banken seien. Alle Kommunen seien intensiv beraten worden. Man sei sich bewusst, dass Kommunen keine Spekulationsgeschäfte abschließen dürfen.
Dr. Jochen Weck von der Anwaltskanzlei Rösner aus München berichtete dagegen, dass nach seinen Erfahrungen die Banken mit derartigen Angeboten auf die Kommunen zukommen würden. Man spreche von „Zinsoptimierung“, obwohl es sich in Wirklichkeit um Spekulationsobjekte handele.
„Der Kunde wettet gegen seine Bank“
In der schriftlichen Stellungnahme von Weck heißt es, der Verkauf derartiger Produkte habe nur einen Nutzen für die Bank, die synthetische Risiken strukturiere und diese mit hohen realen und teilweise sogar unbegrenzten Verlustrisiken an ihre Kunden gebe: „Vereinfacht ausgedrückt 'wettet‘ der Kunde gegen seine Bank“, so Weck.
Dagegen wies Fitscher mehrfach Vorwürfe, die Kunden nicht ausführlich genug über die Risiken informiert zu haben, zurück. Andererseits gehöre es auch zum Wirtschaften, dass jemand Risiken übernimmt.
Kein allgemeines Spekulationsverbot
Die Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände erklärte in ihrer Stellungnahme, ungesicherte „Spread-Ladder-Swaps“ seien „eher als Einzelfälle in den kommunalen Haushalten zu finden“. Ein generelles Verbot von Derivaten im kommunalen Zins- und Schuldenmanagement lehnte die Bundesvereinigung jedoch ab. Das würde „den sinnvollen Einsatz von Zinssicherungsderivaten unterbinden“.
Prof. Dr. Matthias Lehmann von der Universität Halle-Wittenberg wies darauf hin, dass im Grundgesetz und in Landesverfassungen kein allgemeines Spekulationsverbot enthalten sei. Auch die Gemeindeordnungen würden nur eine Bindung an die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit vorsehen.
„Zwei Seiten derselben Medaille“
Zudem sei der Begriff der Spekulation äußerst vage. Die meisten Instrumente des Kapitalmarktes könnten sowohl zur Spekulation als auch zur Absicherung eingesetzt werden. „Beides sind zwei Seiten derselben Medaille“, so Lehmann in seiner Stellungnahme.
Er wies aber andererseits auch darauf hin, dass das Bundesfinanzministerium Finanztermingeschäfte verbieten oder beschränken könne, „soweit dies zum Schutz der Anleger erforderlich ist“. (hle)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Prof. Dr. Liane Buchholz, Sparkassenakademie Bonn
- Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände
- Deutsche Bank
- Deutsche Bundesbank
- Deutscher Industrie- und Handelskammertag
- Gert Hager, Oberbürgermeister von Pforzheim
- Wolf-Dieter Ihle, Sachsen Asset Management
- Prof. Dr. Matthias Lehmann
- Klaus Nieding
- Prof. Dr. Janbernd Oebbecke
- Dr. Georg Schwarz, Ministerium der Finanzen Rheinland-Pfalz
- Dr. Weck Rössner Rechtsanwälte, München
- Westdeutsche Landesbank
- Dr. Frank Winkler
- Zentraler Kreditausschuss