Zusatzbeiträge stoßen auf geteiltes Echo
Die Pläne der Koalitionsfraktionen zur Einführung einkommensunabhängiger Zusatzbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stoßen auf ein geteiltes Echo. Während die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) dies am Montag, 25. Oktober 2010, in einer Anhörung des Gesundheitsausschusses unter Vorsitz von Dr. Carola Reimann (SPD) zum GKV-Finanzierungsgesetz (17/3040) als wichtigen Schritt zur Stärkung des Wettbewerbs kennzeichneten, lehnten Gewerkschaften und Sozialverbände Zusatzbeiträge strikt ab.
Auf eine Frage der CDU/CSU-Fraktion betonte Heinrich Höfer vom BDI, die Zusatzbeiträge seien ein „entscheidender Baustein“ für mehr Wettbewerb im Gesundheitssystem, nicht nur unter den Krankenkassen, sondern auch unter den Leistungserbringern.
„Zusatzbeiträge wichtig für den Wettbewerb“
Der BDA-Versicherungsexperte Volker Hansen bestätigte, dass einkommensunabhängige Zusatzbeiträge „wichtig für den Wettbewerb“ seien. Er bedauerte aber, dass diese erst vom Jahr 2012 an erhoben würden. Eine echte Entkopplung der Krankheitskosten von den Löhnen bleibe aus.
Die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Annelie Buntenbach, bemängelte, mit dem Einfrieren des Arbeitgeberbeitragssatzes würden sämtliche Kostensteigerungen in Zukunft „bei den Versicherten abgeladen“.
„Nicht gerecht“
Für den Sozialverband Deutschland (SoVD) kritisierte Fabian Sèkely auf Nachfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Zusatzbeiträge als „nicht gerecht“.
In einem ersten Block der Anhörung standen die geplante Beitragserhöhung von 14,9 auf 15,5 Prozent zum Jahresbeginn sowie die geplanten Zusatzbeiträge und ihr Sozialausgleich auf der Agenda der Anhörung. Die Koalition will den Beitragssatz der Arbeitgeber bei 7,3 Prozent einfrieren.
„Zuwachs an Bürokratiekosten“
Steigende Gesundheitskosten sollen die Versicherten in Zukunft allein über nach oben offene Zusatzbeiträge finanzieren. Übersteigt der durchschnittlich von allen Kassen benötigte Zusatzbeitrag zwei Prozent des Einkommens eines Kassenmitglieds, soll es die Differenz durch einen Sozialausgleich zurückbekommen.
Auf Nachfragen von SPD und Linksfraktion bemängelten sowohl Arbeitgeber, Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) und Bundesagentur für Arbeit (BA), mit dem geplanten Sozialausgleich sei ein Zuwachs an Bürokratiekosten verbunden. Der BDA-Vertreter Hansen plädierte dafür, den Sozialausgleich über die Kassen abzuwickeln. Ansonsten würden alle 3,5 Millionen Betriebe in Deutschland belastet.
„Verwaltungsaufwand nicht unterschätzen“
Für die Bundesagentur für Arbeit unterstrich Manfred Schnitzler ebenfalls, dass die GKV den Aufwand des Sozialausgleichs tragen solle. Wolfgang Binne von der Deutschen Rentenversicherung Bund warnte die Politik vor einer „deutlichen Unterschätzung des Verwaltungsaufwandes“.
Die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, bestätigte auf Nachfragen der Unions- und der FDP-Fraktion zwar, dass mit dem GKV-Finanzierungsgesetz ein flächendeckender Zusatzbeitrag bereits im kommenden Jahr sowie die Insolvenz einzelner Krankenkassen vermieden werden könnten.
„Erhöhung hätte geringer ausfallen können“
Zugleich betonte Pfeiffer jedoch, dass die Beitragssatzerhöhung geringer hätte ausfallen können, wenn auf der Ausgabenseite mehr getan worden wäre. Arbeitgeber und Arbeitnehmer würden durch die Anhebung des allgemeinen Beitragssatzes von 14,9 auf 15,5 Prozent im kommenden Jahr mit rund 6,3 Milliarden Euro belastet.
Die Honorar- und Einnahmenzuwächse der Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser würden hingegen lediglich marginal begrenzt.
Kassen fordern konsequentere Sparpolitik
Eine konsequentere Sparpolitik bei den Gesundheitsausgaben forderten die gesetzlichen Krankenkassen. Die im Koalitionsentwurf enthaltenen Honorar- und Einnahmezuwächse bei den Leistungserbringern reichten nicht aus, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Johann-Magnus von Stackelberg, im zweiten Teil der Anhörung.
Er fügte hinzu: „Wir hätten uns gewünscht, dass es eine Nullrunde bei den Ärzten gibt.“ Der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), den kommunalen Spitzenverbänden und den Ärzteverbänden gehen die geplanten Kostendämpfungen dagegen zu weit.
Einsparungen von 7,5 Milliarden Euro 2011 und 2012
Vorgesehen sind in dem Gesetzentwurf für das kommende Jahr Einsparungen in Höhe von 3,5 Milliarden Euro und im Jahr 2012 in Höhe von vier Milliarden Euro. Darin enthalten sind auch die erwarteten Ausgabensenkungen aufgrund des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (17/2413) in Höhe von knapp zwei Milliarden Euro, das ebenfalls zum 1. Januar 2011 in Kraft treten soll.
Hausärzte sollen 500 Millionen Euro und Kliniken 450 Millionen Euro einsparen. Nach Vorstellungen der Regierung müssen Zahnärzte im kommenden Jahr auf 20 Millionen Euro und im Jahr 2012 auf 40 Millionen Euro verzichten. Die Regierung plant weiterhin, dass die Verwaltungskosten der Krankenkassen in den Jahren 2011 und 2012 im Vergleich zu diesem Jahr nicht steigen. Das soll Einsparungen von pro Jahr 300 Millionen Euro bringen.
Verdi warnt vor Personalabbau in Kliniken
DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum appellierte an die Abgeordneten, das Sparvolumen aus der Grundlohnratenbegrenzung im kommenden Jahr auf 150 Millionen Euro zu begrenzen und einen Ausnahmetatbestand für tariflich bedingte Personalkostensteigerungen aufzunehmen. Der Experte der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, Herbert Weisbrod-Frei, warnte vor einem Personalabbau in den Kliniken, sollte es nicht zu einer Änderung der Pläne kommen.
Für Städte, Kreise und Kommunen machte Jörg Freese deutlich, dass mit höheren Tarifabschlüssen zu rechnen sei. Es bestehe die Gefahr, dass das immer weiter steigende Defizit zwischen Einnahmen und Ausgaben der Krankenhäuser zum Personalabbau führt, unterstrich Freese. Damit einher gehe eine „schleichende Erosion“ der Qualität, warnte der Einzelsachverständige Erwin Jordan. (mpi)
Liste der Einzelsachverständigen
- Dr. Thomas Drabinski, Institut für Mikrodaten-Analyse, Kiel
- Prof. Ferdinand M. Gerlach, Institut für Allgemeinmedizin, Universität Frankfurt am Main
- Prof. Thomas Gerlinger, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, Universität Bielefeld
- Prof. Stefan Greß, Versorgungsforschung und Gesundheitsökonomie, Fachhochschule Fulda
- Prof. Klaus-Dirk Henke, Finanzwissenschaft und Gesundheitsökonomie, Technische Universität Berlin
- Dr. Christopher Hermann, AOK Baden-Württemberg
- Wilfried Jacobs, AOK Rheinland/Hamburg
- Erwin Jordan, Dezernat Soziale Infrastruktur Region Hannover
- Ingo Kailuweit, KKH-Allianz, Hannover
- Dr. Markus Lüngen, Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie, Uniklinik Köln