„Begeisterung lässt sich nicht konservieren“
Mauerfall, deutsche Einheit, die Hoffnung auf Freiheit und Wohlstand: Es war eine kleine Zeitreise, auf die Irene Anastassopoulou, Moderatorin des griechischen Parlaments- fernsehens, Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) im Interview am 3. September 2010 einlud. Und der erinnerte sich gerne: „Es wird Sie nicht überraschen, dass ich mich gefreut habe am 9. November 1989.“ Der Bundestagspräsident hat den Abend in lebhafter Erinnerung. Er sei an diesem Tag nicht in Bonn im Bundestag gewesen, sondern mit dem damaligen Arbeitsminister Norbert Blüm bei einer Veranstaltung in Essen.
Anschließend hätten sie gemeinsam in seiner Wohnung gesessen und irgendwann den Fernseher eingeschaltet. „Ich wollte mal sehen, ob es an dem Tag etwas Besonderes gab“, erinnerte sich Lammert. „Und es gab etwas Besonderes. Wir haben die ganze Nacht vor dem Fernseher gesessen.“ Ob die Freude heute noch da sei, will Anastassopoulou wissen. „Begeisterung“, so Lammert, „lässt sich schwer in Konserven füllen.“ Es sei ein Unterschied, ob man etwas erlebe oder sich daran erinnere. Gerade die Erinnerung sei aber wichtig: „Wir müssen uns erinnern, sonst gehen Emotionen verloren.“
„Grandiose Veränderungen“
Die Veränderungen, die Deutschland in den letzten Jahren geprägt haben, bezeichnete Lammert als spektakulär und grandios. Den Eindruck der griechischen Journalistin, dass es keine „blühenden Landschaften“, wie vom damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) vorausgesagt, gebe, teilt Lammert nicht: „Wenn Sie die Zeit hätten, könnte ich Ihnen wochenlang Beispiele dafür zeigen.“ Dass sich vielleicht alles nicht so schnell verändert habe wie gewünscht, sei aber leicht nachvollziehbar. „Ich bin überzeugt, dass 99 von 100 Ihrer Zuschauer die großen Veränderungen auch gar nicht mehr wahrnehmen“, sagte Lammert und ergänzte: „Seit fünf Jahren steht an der Spitze des vereinten Deutschland eine Ossi.“
Hilfe für Griechenland
Neben der Reise in die deutsche Vergangenheit ging es in dem rund einstündigen Gespräch, das am 3. Oktober im griechischen Parlamentsfernsehen ausgestrahlt werden soll, aber auch um die europäische Gegenwart und Zukunft. Anastassopoulou, die auch für die Deutsche Welle in Bonn arbeitet, erkundigte sich bei Lammert nach den Gründen dafür, warum sich Deutschland mit einer Hilfszusage für Griechenland so schwer getan habe, als es zu Beginn des Jahres kurz vor dem Staatsbankrott gestanden hatte. „Ich kann nicht erkennen, dass die EU im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen sich nicht solidarisch verhalten hätten“, entgegnete der Bundestagspräsident. „Zu den Wahrheiten gehört auch, dass der Beitritt Griechenlands zur Eurozone unter fragwürdigen Bedingungen stattgefunden hat.“ Dass es keine sofortige Solidaritätsaktion gegeben hätte und das deutsche Parlament und Kanzlerin Merkel erst die Bedingungen der Hilfe hätten klären wollen, müsse man verstehen.
Dank an Lammert für Solidarität
Anastassopoulou dankte Lammert im Namen des griechischen Parlamentspräsidenten für seine Solidarität und seinen Besuch in Athen im Juni 2010. Lammert sagte, er habe zeigen wollen, wie wichtig ihm die Freundschaft beider Länder sei: „Ich freue mich, dass wir eine enge und freundschaftliche Verbindung haben.“ Auch zukünftig hoffe er auf eine gute Zusammenarbeit beider Parlamente. (nt)