„Das Markenzeichen Europas ist die Religionsfreiheit“
Bei EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei muss nach Meinung von Tom Königs die Religionsfreiheit einbezogen werden. Darauf hat Königs, der nach der Bundestagswahl 2009 für Bündnis 90/Die Grünen ins Parlament einzog und den Vorsitz des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe übernahm, in einem am Montag, 12. Juli 2010, erschienenen Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ hingewiesen. Der EU-Beitritt der Türkei sei so wichtig, weil man es hier mit einem säkularen Staat von Muslimen zu tun habe, der auch als Beispiel für andere islamische Staaten gelten könnte. Das Interview im Wortlaut:
In rund 64 Ländern ist die Religionsfreiheit entweder stark eingeschränkt oder schlichtweg nicht existent. Welche Staaten stehen ganz oben auf der Sünderkartei?
Es sind wahrscheinlich mehr Länder, in denen die Religionsfreiheit eingeschränkt wird. Und es ist umgekehrt ein Privileg, in Europa zu leben, wo die Menschenrechte in so hohem Maße respektiert und Menschenrechtsinstitutionen so weit entwickelt sind. Am problematischsten sind die fundamentalistisch-islamistisch regierten Länder wie der Iran und die autoritär regierten Länder wie etwa China. Am wenigsten problematisch sind die liberal und demokratisch regierten Länder, obwohl auch in diesen zum Teil fundamentale Tendenzen in der öffentlichen Diskussion zu vernehmen sind.
Wie sieht die Einschränkung der Religionsfreiheit konkret aus?
In Ländern wie China werden bestimmte Religionsausübungen und Bekenntnisse scharf bestraft. Die Falun Gong zum Beispiel ist eine Religionsgruppe, die in der Öffentlichkeit durch gemeinsame gymnastische Übungen auf sich aufmerksam macht, die aber einen Kanon von Überzeugungen vertritt, die systematisch bekämpft werden.
Was bedeutet „scharf bestraft“ konkret für die Mitglieder der Falun Gong?
Sie werden zu Hunderten und Tausenden für viele Jahre in Arbeitslager oder Gefängnisse gesteckt. Und dort versucht man sie umzuerziehen. Selbst die Exilbewegungen im Ausland werden durch den chinesischen Geheimdienst oder durch Repressalien gegen die Angehörigen in der Heimat systematisch bekämpft.
Wie ist die Situation in den islamischen Ländern?
Islamische Länder verbieten meistens den Wechsel der Religion. Geahndet wird dies jedoch sehr unterschiedlich.Wir haben Prozesse wegen Religionswechsel in Afghanistan erlebt, die Verurteilten wurden jedoch begnadigt. Solche Prozesse kennen wir aber auch aus Ägypten, und ihre Zahl nimmt anscheinend zu. Im Iran gehören wiederum die Bahai zu der am stärksten verfolgten religiösen Minderheit, weil sie als besonders kritische „Abweichler“ vom Islam betrachtet werden. Und im Irak kommt es zwischen den Muslimen zu Verfolgungen aufgrund der Zugehörigkeit zu den Sunniten oder Schiiten. Auf der anderen Seite gibt es Staaten in Europa, wie etwa die Schweiz, die bestimmte religiöse Ausdrucksformen behindern wollen. Jeder Christ weiß, dass zu einer Kirche ein Kirchturm gehört. Aber das Minarett soll nicht mehr zur Moschee gehören.
Sie haben die Volksabstimmung in der Schweiz angesprochen über das Verbot von Minaretten. Und in den Niederlanden gehen die Rechtspopulisten um Geert Wilders bei Wahlen erfolgreich auf Stimmenfang mit ihren Antiislam-Parolen. Droht in Europa eine Eskalation in der Auseinandersetzung mit dem Islam?
Ein Markenzeichen Europas ist die Religionsfreiheit. Das habe ich im außereuropäischen Ausland gelernt. Wenn die Menschen dort auf Europa blicken, dann sehen sie die Freiheit. Im Iran oder den Ländern Zentralasiens ist damit sehr oft die Religionsfreiheit gemeint. Für die Menschen dort ist das ein sehr hohes Gut. Das geht einher mit der freien Meinungsäußerung und dem Diskriminierungsverbot. Die Religionsfreiheit gehört zur europäischen Identität und muss zur Identität der Europäer gehören. Diese europäische Identität darf nicht verwässert und muss verteidigt werden - auch gegen die Vorstellung von einem christlich-jüdischen Abendland.
Was stört Sie an der Vorstellung vom christlich-jüdischen Abendland?
Diese Vorstellung ist zu eng. Der Islam ist in Deutschland inzwischen die zweitgrößte Religion. All zu oft herrscht die Meinung vor, dass christlich-jüdische Abendland ende dort, wo die Burka beginnt. Oder Europa sei nicht das Europa der vielen Religionen, einschließlich der Atheisten, sondern sei paternalistisch zu verwalten wie der Vatikanstaat. Die Debatten über den Islam in Frankreich, den Niederlanden oder der Schweiz haben immer eine antiliberale, nationalistische und antieuropäische Konnotation. Das gilt auch für die Diskussion über die Burka.
Das heißt, das Tragen der Burka gehört für Sie auch zur Religionsfreiheit?
Ja. Das ist der nach außen gewandte Ausdruck einer bestimmten religiösen Vorstellung. Und diesen Teil der Religionsfreiheit könnte man auch nur einschränken, wenn er gegen die Menschenrechte anderer verstieße. Das ist aber nach europäischem Recht nicht der Fall.
Auch dann nicht, wenn Frauen gezwungen werden, die Burka zu tragen?
Doch natürlich. Denn dann ist ihr Menschenrecht, gerade ihr Menschenrecht auf Religionsfreiheit, betroffen. Wenn eine Frau klagt, sie werde zum Tragen der Burka gezwungen, dann wird sie Recht bekommen. Der Staat kann ihr aber nicht per se die Burka verbieten. Das geht nur, wenn sie im Staatsdienst arbeitet, etwa als Polizistin oder Lehrerin. Aber der Bürgerin auf der Straße kann ich keine Bekleidungsvorschriften machen. Ich bin mir auch sicher, dass der Europäische Menschenrechtsgerichtshof das Minarett-Verbot einkassieren wird.
Wenn das Burka-Verbot gegen die Religionsfreiheit verstößt, dann wird es aber schwer für die Europäische Union, wenn sie umgekehrt in den Beitrittverhandlungen mit der Türkei auf der Einhaltung der Religionsfreiheit besteht...
Die Türkei ist in ihren Gesetzen ja viel säkularer ausgerichtet als Deutschland. Auch wenn das in der gelebten Praxis oft anders aussieht. Der Einwand ist aber richtig. Bei den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei muss die Religionsfreiheit einbezogen werden. Der EU-Beitritt der Türkei ist so wichtig für uns, weil wir es hier mit einem säkularen Staat von Muslimen zu tun haben, der auch als Beispiel für andere islamische Staaten gelten könnte. Gleichzeitig hätten die Menschenrechte in Ungarn und Rumänien bei den Beitrittsverhandlungen aber viel höher gehalten werden müssen.
CDU/CSU und FDP haben einen Antrag zum Schutz der Religionsfreiheit vorgelegt. Warum hat sich Bündnis 90/Die Grünen diesem Antrag nicht angeschlossen, sondern einen eigenen vorgelegt?
Wir haben in der Debatte am 8. Juli darüber diskutiert, ob wir einen gemeinsamen Antrag ausarbeiten können. Aber der Unionsfraktionsvorsitzende Volker Kauder hat klar gesagt, dass dieser Antrag einen Schwerpunkt auf die Verfolgung der Christen legen muss. Diesen Schwerpunkt wollen wir aber nicht. Der Antrag der Koalition richtet sich vor allem auf die Situation im außereuropäischen Ausland. Es ist sicherlich nötig, aber auch einfach, die Christenverfolgung in Indien anzuprangern. Es wird jedoch geringe Wirkung haben. Es mag dem ein oder anderen schwerer fallen, sich mit den Zuständen in Europa auseinanderzusetzen. Aber in diesen Ländern haben wir über die Gesetzgebung und die Rechtsprechung deutlich mehr Einflussmöglichkeiten. In Indien und anderen Ländern bleiben wir letztlich Mahner.
Wie groß sind denn die Chancen auf einen gemeinsamen Antrag?
Wir werden versuchen, einen überfraktionellen Antrag zu formulieren. Es gibt auch viele Übereinstimmungen in den Anträgen. Vielleicht liegen am Ende ein gemeinsamer Antrag und zusätzlich zwei weitere Anträge vor, über die dann abgestimmt werden kann. Ich fand es jedenfalls wichtig und gut, dass wir im Bundestag eine Debatte über die Menschenrechte einmal vor 22 Uhr unter Beteiligung der gesamten Regierungsbank geführt haben. Das Thema Religionsfreiheit halten alle Fraktionen für wichtig.