„Das Neue nicht verbieten“
Um Grundsätzliches ging es bei der ersten Vortragsveranstaltung der Reihe W-Forum der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages in diesem Jahr: „Darf der Mensch alles, was er kann? Oder: Darf er nichts, was er kann?“ fragte Prof. Dr. Jochen Taupitz, Rechtswissenschaftler und Medizinethiker an der Universität Mannheim und Mitglied des Deutschen Ethikrates am Donnerstag, 15. April 2010, zum Thema „Grenzverschiebungen im Bereich der Biotechnologie“.
„Keine Festlegungen für alle Zeiten“
In seinem Vortrag zum Spannungsfeld von Forschung, rechtlichen Regelungen und ethischen Bedenken machte Taupitz deutlich, dass nicht festgelegt werden sollte, was im Bereich der Forschung für alle Zeiten zu gelten habe. „Im Licht der Verantwortung für zukünftige Generationen sind Handeln und Unterlassen zu bewerten und Risiken und Chancen gegeneinander abzuwägen“, sagte Taupitz und warnte: „Der Versuch, ein für allemal festzuschreiben, was erlaubt ist, was moralisch ist, und was nicht, und eine Verschiebung moralischer Grenzen ihrerseits als unmoralisch abzuqualifizieren, läuft auf Moralimperialismus hinaus.“ Auffassungen zum Stellenwert von Rechtspositionen und Werten wandelten sich.
Als Beispiel nannte er etwa die Skepsis innerhalb der Gesellschaft vor der ersten Herztransplantation. Hätten sich damals die Bedenken und die Annahme, dass im Herzen die Seele des Menschen zu verorten sei, durchgesetzt, so Taupitz, wären Herztransplantationen heute nicht etwas Selbstverständliches. „Wir profitieren heute von Grenzverschiebungen, die frühere Generationen nicht verboten haben.“ Neue Erkenntnisse und Fortschritte, die durch die Forschung möglich werden, forderten zu neuem Nachdenken auf. „Und neues Nachdenken muss Konsequenzen haben können“, forderte Taupitz. „Das Neue erschreckt uns, aber es darf nicht Grund für das Verbot von Neuem sein.“ Gleichwohl müssten die Ursachen für die abwehrende Haltung ernstgenommen werden.
„Wissenschaft muss erklären, was sie tut“
Vorangehen müsse deshalb immer ein gesellschaftlicher Diskurs, in dem die Wissenschaft eine Bringschuld habe. „Sie muss erklären, was sie tut.“ Die Forschungsfreiheit an sich dürfe das aber nicht betreffen. Als Forschungs- und Problemfelder der Biotechnologie nannte Taupitz beispielsweise die Keimbahntherapie, mit der durch Eingriffe an Ei- und Samenzellen Erbkrankheiten verhindert werden sollen, das Klonen und die Chimärenbildung, also die Herstellung von Entitäten mit menschlichen und tierischen Zellen.
Im Zuge dieser Forschungsmöglichkeiten sei es notwendig, sich mit Fragen zu beschäftigen wie: Sind wir mit der Keimbahntherapie auf dem Weg zum Designermenschen? Wird der Mensch durch das Klonen instrumentalisiert, als Rohstoff behandelt? Stellt die Chimärenbildung eine unzulässige Überschreitung oder Vermischung von Artgrenzen dar?
„Gesetzgeber muss Antworten finden“
Auch wenn es immer gelte, die Vor- und Nachteile neuer Forschungsergebnisse und -möglichkeiten abzuwägen, kritisierte Taupitz die immer wieder angeführten „Dammbruch“-Argumente. „Solche Argumente verkennen das Differenzierungsvermögen einer Gesellschaft“, ist der Forscher überzeugt. Dass der Gesetzgeber mit der Abtreibung die Tötung ungeborenen Lebens in bestimmten Fällen nicht unter Strafe stelle, führe nicht dazu, dass die Tötung von Menschen akzeptiert werde.
Letztlich, so Taupitz, müsse der Gesetzgeber Antworten finden. Seinen Vortrag schloss er mit der Losung: In dubio pro libertate im Zweifel für die Freiheit, dieFreiheit der Forschung. „Wenn in der Abwägung gute Argumente für beide Seiten sprechen, sollte sich der Verfassungsstaat für die Freiheit entscheiden.“