„Noch keine Entwarnung“
Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) sieht die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland positiv: Laut dem aktuellen Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung für das Jahr 2010, den er am Donnerstag, 28. Januar 2010, im Bundestag vorstellte, rechnet die Bundesregierung in diesem Jahr mit 1,4 Prozent Wachstum. „Die Prognose fällt nicht mehr so düster aus“, sagte Brüderle. Noch „fahre man zwar auf Sicht“, doch Deutschland habe „die Kraft, gestärkt aus der Krise hervorzugehen“ - wenn es sein Wachstumspotenzial ausschöpfe. Die Opposition jedoch kritisierte sowohl den Bericht als auch den wirtschaftspolitischen Kurs der Bundesregierung scharf: Ihr fehlten die richtigen Konzepte und Ideen, monierten Redner von SPD, Die Linke und Bündnis 90/ Die Grünen.
Im Zentrum der der zweistündigen Debatte im Plenum standen neben dem Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung 2010 (17/500) auch das Jahresgutachten des Sachverständigenrates 2009/2010 (17/44) sowie zwei Anträge von SPD (17/521) und Linksfraktion (17/470), die im Anschluss zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen wurden.
„Mit dem Kompass der Sozialen Marktwirtschaft“
Brüderle (FDP) zeigte sich trotz der positivem Signale aus der Wirtschaft vorsichtig: Zwar fielen die Prognosen mit einem zu erwartenden Wachstum des Bruttoinlandsproduktes von 1,4 Prozent deutlich besser aus als noch zum Ende des vergangenen Jahres. Entwarnung geben könne er aber nicht.
„Wir fahren noch auf Sicht, aber wir haben einen Kompass“, betonte der Minister. Dieser Kompass sei die soziale Marktwirtschaft. Deutschland müsse aber nun unbedingt sein Potenzial für Wachstum nutzen. Daher werde die Bundesregierung unter anderem die Investitionen in Bildung und Forschung auf zwölf Milliarden Euro erhöhen, mit einem neuen Entflechtungsgesetz für mehr Wettbewerb sorgen und die Bürger steuerlich entlasten, um den schwächelnden privaten Konsum wieder anzukurbeln.
„Wir bekennen uns dazu genauso wie zum Ziel der Haushaltskonsolidierung ab 2011“, erklärte Brüderle. Insgesamt gebe der Jahreswirtschaftsbericht den Weg zur wirtschaftlichen Erneuerung vor.
„Ein Armutszeugnis für die Politik der Regierung“
Das sah Hubertus Heil (SPD), stellvertretender Vorsitzender seiner Fraktion für Arbeit und Soziales, völlig anders: Mit keinem Wort habe der Bundeswirtschaftsminister in seiner Rede das Gutachten des Sachverständigenrates erwähnt, kritisierte er. „Aber es ist ja auch peinlich, was die Gutachter der Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben haben!“
Deutschland drohe seine Zukunft zu verspielen, wenn nicht in diesem Jahr die richtigen Weichen gestellt würden, zitierte Heil. Insbesondere das Wachstumsbeschleunigungsgesetz sei nicht geeignet, um „wirklich Wachstum zu generieren“. Das Urteil der Sachverständigen sei ein „Armutszeugnis“ für die Bundesregierung, resümierte der Sozialdemokrat. Sie habe keine Ideen, kein Konzept für ein nachhaltiges Wachstum.
Das sei besonders problematisch, weil die jetzigen Wachstumszahlen die Nichtauslastung der Unternehmen nicht ausgleichen könnten, so Heil. „Die Arbeitslosigkeit wird steigen - und trotzdem tun sie nichts für die Binnennachfrage!“ Gleichzeitig verunsichere die Bundesregierung die Menschen, weil sie nicht sage, wo sie in Zukunft kürzen werde. „Das ist wirtschaftspolitisch kontraproduktiv!“
„Für einen tragfähigen Aufschwung“
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU), verteidigte die Politik der Bundesregierung. Deutschland sei im Vergleich zu vielen anderen Staaten besser durch die Krise gekommen als erwartet. „Das war das Ergebnis kluger Politik“, betonte der Unionsabgeordnete.
Er pflichtete aber auch dem Wirtschaftsminister bei, dass die positiveren Wirtschaftszahlen kein Anlass für „Friede, Freude, Eierkuchen“ seien - zumal diese auch durch einen statistischen Effekt bedingt und durch die Wirkung der Konjunkturpakete beeinflusst seien.
Mit einem „Mix politischer Maßnahmen“ ziele die Politik Bundesregierung nun aber auf einen dauerhaften und tragfähigen Wirtschaftsaufschwung. „Nur so schaffen wir den Weg aus der Krise - und unsere Konsolidierungsaufgaben“, sagte Pfeiffer mit Nachdruck. Schließlich bedeute „jedes Prozent Wachstum fünf Milliarden mehr“ für den Bundeshaushalt.
„Crash-Kurs in die nächste Krise“
Sahra Wagenknecht, wirtschaftspolitische Sprecherin der Linksfraktion, griff dagegen die Politik der Bundesregierung in ihrer Rede zum Jahreswirtschaftsbericht scharf an: „Tricksen, täuschen, verschleppen, betrügen - das ist Ihre Strategie. So lange Sie aber diese Politik machen, wird die Hoffnung vieler Menschen auf einen Aufschwung ein frommer Wunsch bleiben!“
Wie vor der Wirtschafts- und Finanzkrise baue die Bundesregierung erneut auf Außenwirtschaft und Export anstatt die Binnennachfrage anzukurbeln, kritisierte Wagenknecht. Deutschland habe aber vor allem ein „Nachfrageproblem“, weil Millionen Menschen nicht das Geld hätten, das zu kaufen, was sie benötigten. Dies sei Ergebnis einer Politik der sinkenden Löhne, der Rentenkürzungen und des Sozialabbaus, so die Abgeordnete.
Zudem sei die Bundesregierung auch noch „wild entschlossen, die öffentlichen Haushalte in den Ruin zu treiben“. Wagenknecht forderte die Regierung zum Umdenken auf: „Nehmen Sie die barbarischen Gesetze zurück, die Menschen in Leiharbeit oder Hungerlohnjobs zwingen!“ Der jetzige Kurs sei nichts anderes als ein „Crash-Kurs, der in die nächste Krise“ führen werde.
„Auf nachhaltiges Wachstum kommt es an!“
Fritz Kuhn, stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/ Die Grünen, übte harsche Kritik an dem vorgelegten Wirtschaftsbericht: Eigentlich solle dieser einen Überblick über die Vorhaben der Bundesregierung geben, doch auch er kläre nicht die offenen Fragen. Etwa, wie Regierung ihre Wachstumsziele und ihre Konsolidierungsziele ab 2011 erreichen wolle.
„Wenn Sie schon keine mittelfristige Finanzplanung hinbekommen, dann sollten Sie wenigstens hier sagen, wo sie in Zukunft sparen wollen“, forderte Kuhn. Grundsätzliche Zweifel äußerte der Grüne auch an den ausgegebenen Wachstumszielen der Regierung: „Wachstum - das ist Ihre einzige Botschaft. Dieser Begriff ist für Sie wie eine Droge“, warf Kuhn Minister Brüderle vor.
„Sie verlieren aber die Realität aus dem Blick!“ Außerdem sei Wachstum nicht gleich Wachstum, so Abgeordnete. Ein Kohlekraftwerk zu bauen schaffe zwar Wachstum, aber keine nachhaltiges. Langfristig schwäche man so die Wohlfahrt. Zustimmung signalisierte Kuhn allerdings für ein Entflechtungsgesetz: „Dann werden wir aber auch über mehr Wettbewerb auf dem Energiemarkt reden!“
„Balance zwischen Staat und privatem Sektor finden“
Der neue Generalsekretär der FDP, Christian Lindner, wollte Kuhns Vorwürfe nicht gelten lassen: Das Ziel Wachstum sei kein „Fetisch“. FDP und Union setzten deshalb auf darauf, weil Wachstum den Menschen einen Aufstieg erleichtere. „Wachstum und Arbeit sind ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit“, betonte Lindner.
Mit ihrem Jahreswirtschaftsbericht habe die Bundesregierung zudem einen ordnungspolitischen Rahmen vorgelegt. Mit Instrumenten wie dem Entflechtungsgesetz oder einer starken Finanzmarktaufsicht werde die Rolle des Staates gestärkt, sagte Lindner und versuchte damit früher geäußerte Kritik zu entkräften, die Politik der FDP ziele auf eine Schwächung des Staates.
Dennoch müsse es auch darum gehen, nach der Krise wieder eine Balance zwischen Staat und privatem Sektor zu finden. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz verteidigte Lindner ausdrücklich: „In ihrer Kritik haben Sie sich von den Sorgen der Menschen abgekoppelt, die durch kalte Progression und Inflation einen Einkommensverlust hinnehmen mussten“, sagte Lindner in Richtung der SPD gewandt. Das Gesetz sei richtig, weil es Familien entlaste und die Binnennachfrage stärke.