Johannes Vogel, arbeitsmarktpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, fordert eine zielgenaue statt eine pauschale Erhöhung des Kurzarbeitergeldes
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 27. April 2020)
– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –
Johannes Vogel, der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, bezeichnet eine pauschale Erhöhung des Kurzarbeitergeldes ohne verlässliche Datengrundlage als unseriös. Zunächst müsse man wissen, in welchen Branchen Kurzarbeit in welchem Ausmaß genutzt werde, um zielgenau dort helfen zu können, wo die Not groß sei, sagte Vogel im Interview mit der Wochenzeitig „Das Parlament“. Bei einer pauschalen Erhöhung des Kurzarbeitergeldes bestehe die Gefahr, dass die Arbeitgeber in Zukunft nicht mehr freiwillig diesen staatlichen Zuschuss aufstocken, wie es aktuell in vielen Betrieben der Fall sei.
Von einem Corona-Aufschlag in der Grundsicherung hält Vogel ebenfalls nicht viel. Man könne schon heute über die Mehrbedarfsregelung gezielt auf bestimmten Problemlagen reagieren und müsse dafür noch nicht einmal die Gesetze ändern, so der Liberale.
Er plädiert außerdem dafür, die Regelungen für Selbständige noch einmal nachzubessern und einen modernen Rechtsrahmen für mobiles Arbeiten einzuführen, der mehr Wahlfreiheit und Selbstbestimmung ermöglicht.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Vogel, oft wird in der aktuellen Krise darauf verwiesen, dass das Instrument der Kurzarbeit Deutschland in der Finanzkrise 2008 so glimpflich davonkommen ließ. Ist das Kurzarbeitergeld tatsächlich so ein Segen?
Ja. Das Kurzarbeitergeld ist ein bewährtes Erfolgsmodell zur Sicherung von Arbeitsplätzen. Wir halten solche Staatsintervention in Krisen für absolut sinnvoll und notwendig und haben deshalb auch dem Sozialschutzpaket im März aus voller Überzeugung zugestimmt, ohne die Opposition wäre das Schnellverfahren auch gar nicht möglich gewesen.
Ein entscheidender Unterschied zu 2008 ist, dass sich Kurzarbeit durch alle Branchen zieht, auch durch den Dienstleistungssektor mit verbreitet geringen Löhnen. Muss man dieses Instrument deshalb nicht stärker ausdifferenzieren?
Das ist in der Tat ein Unterschied, auf den man eingehen muss. Es sollte dann aber um zielgenaue Hilfen gehen, die übrigens auch aus anderen Finanzquellen, aus Steuermitteln zum Beispiel, kommen könnten. Wir müssen genau schauen, wo kommen volle oder viel Kurzarbeit und niedrige Löhne zusammen und in welchen Branchen sehen wir zudem, dass das auch noch einige Zeit so weitergeht.
Was sagen Sie zu dem Beschluss der Koalition, das Kurzarbeitergeld pauschal zu erhöhen?
Ich fände es unseriös, über eine pauschale Erhöhung des Kurzarbeitergeldes zu diskutieren, bevor genaue Daten darüber vorliegen, in welchen Branchen Kurzarbeit in welchem Umfang genutzt wird. Bis zur Beratung der Koalitionsbeschlüsse im Bundestag werden wir diese aber voraussichtlich haben. Bei einer pauschalen Erhöhung des Kurzarbeitergeldes bestünde die Gefahr, dass auch Kosten übernommen werden, die die Arbeitgeber heute schon freiwillig erbringen, indem sie per Tarifvertrag das Kurzarbeitergeld aus Eigenmitteln aufstocken. Übernimmt der Staat diese Kosten pauschal, wird kein Arbeitgeber in Zukunft mehr freiwillig das Kurzarbeitergeld aufstocken und die Rücklagen der Bundesagentur für Arbeit würden schmelzen wie Schnee in der Sonne. Das darf auf keinen Fall passieren.
Etwas mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Kurzarbeit arbeitet aber in Betrieben, die das Kurzarbeitergeld nicht aufstocken.
Wir brauchen auf jeden Fall zielgenaue Hilfen. Die Beschlüsse der Koalition sehen jetzt, anders als zuerst diskutiert, auch eine Differenzierung vor: Nur bei Beschäftigten mit umfassender Kurzarbeit, bei längerer Kurzarbeit, es gibt eine zeitliche Staffelung und Befristung. Das werden wir uns nun im Detail anschauen, wie es finanziert und umgesetzt werden soll.
Um Menschen mit geringem Einkommen zu entlasten, fordern die Grünen in einem aktuellen Antrag einen Corona-Aufschlag für das Arbeitslosengeld II.
Die generelle Kritik der Grünen an den Regelsätzen überzeugt mich nicht. Aber es gibt auch heute schon in der Grundsicherung eine Mehrbedarfsregelung, die ohne Veränderung der Regelsätze funktioniert und die ohne Gesetzesänderungen auf Problemlagen in der jetzigen Situation angewendet werden könnte.
Wie zum Beispiel durch höhere Kosten für Familien, deren Kindern normalerweise in der Schule ein Mittagessen bekommen?
Man muss wirklich schauen: Was verändert sich durch Corona. Aber das wäre zum Beispiel ein solcher Fall, wo es nachvollziehbar wäre, die Regelung anzuwenden.
In Spanien sind die wirtschaftlichen Verwerfungen durch Corona so groß, dass ab Mai ein Grundeinkommen eingeführt wird. Was müsste in Deutschland passieren, damit die FDP einen solchen Vorstoß unterstützt?
Wer genauer hinschaut, sieht, dass das eigentlich sehr dem deutschen Grundsicherungssystem entspricht. Ein bedingungsloses Grundeinkommen überzeugt mich dagegen nicht. Aber wir sind generell der Meinung, dass wir in Deutschland einen großen Reformbedarf bei der Grundsicherung haben. Sie muss unbürokratischer, würdevoller und, mit besseren Hinzuverdienstgrenzen, auch aufstiegsorientierter werden. Unser „liberales Bürgergeld“ wäre so ein Modell.
Kurzarbeit nutzt bekanntermaßen nicht den Selbständigen. Reicht das im März verabschiedete Sozialschutzpaket Ihrer Ansicht nach aus?
Die Freelancer werden in den sozialpolitischen Debatten zu oft vergessen. Das Sozialschutzpaket ist grundsätzlich eine richtige Sache. Aber es gibt dabei ein großes Problem: Denn die Soforthilfen dürfen nur für die Betriebskosten verwendet werden, nicht aber für den Lebensunterhalt. Das verkennt ganz entscheidend das Wesen vieler Selbständigen und Freelancer, die in der digitalen Arbeitswelt oft gar nicht die klassischen Betriebskosten wie Ladenmieten haben, sondern deren Geschäft sie selbst sind, ihr Kopf, ihre Tätigkeit sozusagen.
Neben der Kurzarbeit ist das Homeoffice derzeit das Gebot der Stunde. Ist es jetzt Zeit für ein Recht auf Homeoffice?
Wir brauchen einen modernen Rechtsrahmen für mobiles Arbeiten für mehr Wahlfreiheit und Selbstbestimmung. Ich glaube, wir werden auch nach der Krise nicht mehr in den Status quo ante zurückkommen. Wir brauchen erstens ein flexibleres Arbeitszeitgesetz mit einer freieren Einteilung der Zeit unter der Woche. Zweitens sollten Arbeitgeber sich nicht mehr weigern dürfen, die Frage mit den Beschäftigten zu diskutieren, aber natürlich gibt es Berufe, wo man nicht im Homeoffice arbeiten kann. Drittens sollte die Arbeitsstättenverordnung so verändert werden, dass Beschäftigte ihren Arbeitsplatz zu Hause selbst einrichten und verantworten können.
Die Summen der Hilfspakete, die die Regierung auf den Weg gebracht hat, sind gigantisch. Auch deshalb werden Forderungen wieder lauter, die Einführung der Grundrente zu verschieben. Was halten Sie davon?
Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie mit Blick auf die völlig unabsehbare weitere Finanzplanung durch Corona ein solches Projekt nur durchbringt, wenn sie ein gültiges Finanzierungskonzept hat. Das Problem bei der Grundrente war aber schon im vergangenen Jahr, dass das in den Sternen steht. Natürlich müssen wir gezielt etwas gegen Altersarmut tun. Uns hat nur von Anfang an das Modell der Grundrente nicht überzeugt.
Warum ist das liberale Modell der „Basisrente“ so viel besser?
Auch wir schicken die Leute nicht aufs Sozialamt, sondern wollen die Basisrente über die Rentenversicherung auszahlen lassen. Aber unser Modell stellt sicher, dass alle, die gearbeitet haben, im Alter mehr Geld zur Verfügung haben als in der Grundsicherung. Denn wir orientieren uns nicht an einer strikten Grenze von beispielsweise 33 Jahren, sondern wollen ein gleitendes Modell: Je mehr Ansprüche jemand in der Rentenversicherung erworben hat, desto mehr soll er auch im Alter haben. Das ist fair, zielgenau und finanzierbar.
In Zeiten wie diesen hat es die Opposition tendenziell schwer, sich Gehör zu verschaffen. Ist das problematisch?
Aufgabe der Opposition ist es auch jetzt, einerseits die Regierung zu kontrollieren. Also immer wieder zu hinterfragen, ob zum Beispiel Einschränkungen der Grundrechte wirklich gerechtfertigt sind. Zum Beispiel wurde kürzlich auf Initiative der FDP die Nutzung der Handydaten aus der Novelle des Infektionsschutzgesetzes wieder entfernt. Zu unserer Verantwortung gehört aber auch, nicht aus Prinzip wichtige Vorhaben zu blockieren.