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27. September 2019 Presse

„Sonst rummst es in der Gesellschaft gewaltig“
Matthias Miersch (SPD) im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“

Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 30. September 2019)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -

Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch hat das Klimapaket der Bundesregierung gegen Kritik verteidigt. Man stehe vor der Herkulesaufgabe, einen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu organisieren und anzuerkennen, dass man mit der Natur nicht verhandeln könne, sagte Miersch im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 30. September). „Dem Klima ist auch nicht geholfen, wenn es die Gesellschaft völlig zerlegt.“ Wer einzig auf den Markt setze, riskiere eine weitere Spaltung des Landes.

Bei einem höheren Preis für Kohlendioxid mit Lenkungswirkung beispielsweise müsse auch die gesellschaftliche Dimension bedacht werden, so Miersch: „Wenn wir damit einsteigen, ohne gleichzeitig Alternativen zur Verfügung zu stellen, dann rummst es möglicherweise in der Gesellschaft gewaltig – das kann keiner wollen.“

Zugleich bekannte Miersch, dass der gefundene Kompromiss zwischen den Regierungsfraktionen auch ihn an mancher Stelle schmerze – er hätte zum Beispiel gern früher mit der Bepreisung von Kohlendioxid angefangen. Weh tue auch, dass Bayern weiterhin einen Sonderweg bei den Abstandsregelungen für Windkraftanlagen gehen darf. „Ich hätte mir gewünscht, dass sich ein Markus Söder, der sich zuletzt als grüner CSU-Mensch zu profilieren versucht hat, zur Energiewende und damit auch dem Ausbau von Windenergie bekennt.“ Miersch sagte, er habe zu akzeptieren, dass dies nicht zu machen war.
 

Das Interview im Wortlaut:

Herr Miersch, es hagelt von allen Seiten Kritik am Klimapaket – nicht nur von der Opposition, auch aus der Wissenschaft und von Umweltverbänden. Sie sind selbst Mitglied im NABU, saßen im Kuratorium der Deutschen Umweltstiftung – wie erklären Sie den Menschen dort diesen Kompromiss?
Mir war auch vorher schon klar, dass wir das Klima nicht im Verlauf einer Nacht retten können. Wir haben eine gesellschaftliche Herkulesaufgabe vor uns: Wir müssen einen gesellschaftlichen Zusammenhalt organisieren und wir müssen anerkennen, dass wir mit der Natur nicht verhandeln können. Vor diesem Hintergrund haben wir ein Paket zusammengestellt mit Maßnahmen, die wirken können. Wir haben uns auf den richtigen Pfad begeben, und alle, die das kritisieren, die müssen sagen, was sie an der Stelle anders wollen.

Der Verzicht auf welche Forderungen schmerzt besonders?
Ich war immer dafür den Preis für CO2 als Signal einzuführen: dass Umwelt und Klima einen Preis bekommen. Deswegen hätte ich mir gewünscht, dass wir 2020 damit beginnen. Aber da sind zwei Denkschulen aufeinandergeprallt, die von Union und SPD – und daraus ist jetzt dieser Kompromiss mit zunächst zu vergebenden Festpreiszertifikaten geworden. Ich hätte mir gewünscht, dass wir früher mit der CO2-Bepreisung anfangen.

In der Schweiz kostet eine Tonne Kohlendioxid 96 Franken, auf EU-Ebene wird über 23 Euro nachgedacht, Sie schlagen nun 10 Euro vor. Ist das Ihr Ernst?
Allen, die einen Preis mit Lenkungswirkung fordern, müssen wissen: Wenn wir damit einsteigen, ohne gleichzeitig Alternativen zur Verfügung zu stellen, dann rummst es möglicherweise in der Gesellschaft gewaltig – das kann keiner wollen.

 Warum setzen Sie nicht mehr auf den Markt?
Rein marktwirtschaftliche Instrumente werden zur Spaltung der Gesellschaft beitragen und das Klima nicht retten. Unser Ansatz setzt auf einen starken Staat: Wir haben milliardenschwere Investitionsprogramme in die Bahn und den öffentlichen Nahverkehr, in den Wohnungsbestand vorgesehen und wir brauchen dafür einen ordnungspolitischen Rahmen – zum Beispiel, dass ab 2026 keine neuen Ölheizungen mehr eingebaut werden. Wir haben zum ersten Mal ein Klimaschutzgesetz mit einem Instrumentenmix, der jeden Minister und jede Ministerin dazu verpflichtet, Ziele einzuhalten. Gelingt das nicht, muss er oder sie innerhalb von drei Monaten sagen, wie das Rad gedreht werden soll, damit die Ziele erreicht werden. Solche Maßnahmen tragen viel mehr dazu bei, Klima zu schützen als ein rein marktwirtschaftlich definierter Preis.

Bei Solar soll kräftig ausgebaut werden, bei Wind wird die Abstandsregelung als Bremse wirken. Kommt Deutschland damit bei der Energiewende voran?
Der Behalt des bayrischen Sonderwegs bei den Abstandsregelungen für Windkraftanlagen schmerzt mich aber trotzdem sehr. Ich hätte mir gewünscht, dass sich ein Markus Söder, der sich zuletzt als grüner CSU-Mensch zu profilieren versucht hat, zur Energiewende und damit auch dem Ausbau von Windenergie bekennt. Das war nicht zu machen, das habe ich zu akzeptieren. Eine große Errungenschaft ist der Wegfall des Förderdeckels beim Photovoltaikausbau, dafür hat die SPD viele Jahre gekämpft. Das wird uns voran bringen. Auch die Anhebung des Ausbauziels von Windenergie auf See von 15 GW auf 20 GW bedeutet den faktischen Wegfall eines Ausbau-Deckels, weil mehr sowieso nicht zu schaffen ist.

An Windenergieanlagen auf Land scheiden sich derweil immer noch nicht die Geister.
Wir haben ein Problem was die Akzeptanz von Windrädern angeht. Das wird in der Bevölkerung massiv kontrovers diskutiert, auch in meinem Wahlkreis gibt es Bürgerinitiativen dagegen. Daher starten wir jetzt den Versuch eines Instrumentenmixes, um dem Thema neuen Schub zu geben. Die CDU wollte die bayrischen Abstandsregeln bundesweit, wir wollten keine bundesweit einheitlichen Abstände, geeinigt haben wir uns auf 1.000 Meter. Länder und Kommunen können für kürzere Abstandsregeln sorgen, sie erhalten dafür noch einen finanziellen Anreiz. Einmal generell, wenn sie sich für Windkraft entscheiden, und dann zusätzlich, wenn sie die 1.000 Meter unterschreiten. So hoffen wir, die Akzeptanz in der Gesellschaft zu steigern.

Reicht das, um die Klimaziele für 2030 zu erreichen?
Wir werden das jedes Jahr neu justieren müssen, denn ohne den Ausbau der Erneuerbaren Energien können wir uns den Ausstieg aus der Kohle nicht leisten Wir brauchen dafür die gesamte Bevölkerung. Wer aus allem raus will, Kohle, Kernkraft, aber so weiter leben wie bisher – das wird nicht funktionieren. Man muss Rücksicht nehmen auf Bedenken, aber auch irgendwann sagen, etwa bei Windenergie: Das ist ein angemessener Abstand, das ist eine Entlohnung dafür, dass ihr Energieträger für die Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Was nicht geht, ist, einfach auf der Landkarte irgendetwas festzulegen. Dem Klima ist auch nicht geholfen, wenn es die Gesellschaft völlig zerlegt.

Wie viel wäre ohne den Druck von der Straße passiert?
Wir haben bereits in den Koalitionsvertrag von 2018 reinverhandelt, dass wir ein Klimaschutzgesetz in 2019 verabschieden, aus der Kohle aussteigen und die Erneuerbaren Energien bis 2030 auf 65 Prozent erhöhen. Die Umsetzung wäre sicher noch viel schwerer gefallen, wenn Fridays for Future nicht dazugekommen wären. Insofern bin ich den Jugendlichen absolut dankbar. Meine Hoffnung ist, dass sich diese gesellschaftliche Diskussion bis in alle Kommunen, in die Räte vor Ort fortsetzt.

Wie bewertet ein Umweltpolitiker der SPD das Verhandlungsangebot der Grünen?
Bis 2050 können und werden andere Parteien auf Bundesebene in die Verantwortung kommen, die klimapolitischen Ziele zu erreichen. Insofern sind wir gut darin beraten, einen breiten Konsens in zentralen Fragen herzustellen. Wenn wir den Fehler machen, mit der Brechstange etwas durchzusetzen, kann es zu Planungsunsicherheit und milliardenschweren Schadenersatzzahlungen führen – das haben wir beim Atomausstieg gesehen, als eine schwarz-gelb wichtige Beschlüsse der rot-grünen Regierung rückgängig machte.

Das gleiche gilt für den Kohleausstieg beziehungsweise den Strukturwandel in den betroffenen Regionen. Wie bewerten Sie diesen Kompromiss?
Es geht um die Frage, ob Regionen im Stich gelassen werden. Mein Ansatz ist auch hier, nicht den freien Markt entscheiden zu lassen, sondern mit Investitionen in Infrastruktur und Forschung langfristige Perspektiven zu ermöglichen oder alternative Energieerzeugung anzustoßen. Wir sehen an der Lausitz, dass es noch nicht gelungen ist, Vertrauen aufzubauen. Die Leute haben Angst vor der Zukunft. Dem kann man nur begegnen, wenn man auf Vertrauensbildung durch einen starken handlungsfähigen Staat setzt. Wir brauchen eine Renaissance des Politischen und des Staatlich-Gestalterischen.

Was machen Sie, wenn Sie als SPD trotzdem weiter an Zustimmung verlieren?
Ich mache keine Politik aus taktischen Erwägungen. Das was ich tun kann für die Menschheitsaufgabe Klimawandel, versuche ich als Parlamentarier nach meinen Überzeugungen umzusetzen.

Das Gespräch führte Kristina Pezzei.

Dr. Matthias Miersch (50) ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD.