„Nicht zu viel erwarten“
Die Grünen-Abgeordnete Bärbel Höhn im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 27. Juli 2015)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung -
Nach Ansicht der Vorsitzenden des Umweltausschusses des Deutschen Bundestages, Bärbel Höhn (Bündnis 90/Die Grünen), wird der UN-Klimagipfel Ende des Jahres in Paris keinen Durchbruch im Kampf gegen den Klimawandel bringen. „Wir dürfen von Paris nicht zu viel erwarten, denn wir sind noch weit von einer Lösung entfernt“, sagte sie im Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag der Themenausgabe „Klimaschutz“:
27. Juli). „Die CO2-Reduktionsziele, die alle Staaten jetzt auf den Tisch legen müssen, werden nicht ausreichen, um die Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen“, warnte Höhn. Außerdem sei die Finanzierung des Grünen Klimafonds, der den Entwicklungsländern bei der Bewältigung des Klimawandels helfen soll, bislang „völlig unklar“. Die Grünen-Politikerin forderte die Staatengemeinschaft auf, in Paris „so viel wie möglich verbindlich festzulegen, insbesondere das Zwei-Grad-Ziel“.
Höhn kritisierte im Interview außerdem den Verzicht der Bundesregierung auf die geplante Klimaabgabe für alte Kohlekraftwerke. „Die Kohle-Lobby hat sich leider durchgesetzt“, bedauerte sie und zeigte sich skeptisch, „ob die Bundesregierung ihr Ziel, bis zum Jahr 2020 40 Prozent der CO2-Emissionen einzusparen, erreichen wird.“ Die Entscheidung des Bundeskabinetts, stattdessen Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von insgesamt 2,7 Gigawatt schrittweise vom Netz zu nehmen und die Konzerne dafür zu entschädigen, verurteilte Höhn scharf: „Statt in Klimaschutz und Strukturwandel zu investieren, wirft die Koalition Energiekonzernen wie RWE und Vattenfall Milliarden hinterher für Methusalem-Kraftwerke, die die Konzerne selbst längst stilllegen wollten.“
Das Interview im Wortlaut:
Frau Höhn, spätestens seit Anfang der 1990er-Jahre wollen eigentlich alle das Klima retten. Doch unzählige Klimakonferenzen später sind die weltweiten CO2-Emissionen nicht etwa gesunken, sondern sogar um 60 Prozent gestiegen. Was ist schief gelaufen?
Wir brauchen dringend einen Erfolg, weil die Auswirkungen des Klimawandels, wie zum Beispiel Extremwetterlagen, immer häufiger und teurer werden. Aber die Weltgemeinschaft ist wie ein großer Tanker – es braucht viel Zeit, um ihren Kurs zu verändern. Wir, die Industrienationen, haben das fossile Zeitalter vor circa 150 Jahren eröffnet und unseren Reichtum auf Grundlage einer guten Energieversorgung erwirtschaftet. Das wollen uns andere Länder nun natürlich nachmachen. Die Folge ist, dass der CO2-Ausstoß in anderen Regionen der Welt beträchtlich steigt. In China etwa liegt er pro Person und Jahr inzwischen bei sechs Tonnen. In Deutschland sind es gut neun Tonnen – die Chinesen holen mächtig auf. Es ist noch viel zu tun.
Wie optimistisch sind Sie, dass das gelingt?
Optimistischer als noch vor ein paar Jahren. Denn mit den erneuerbaren Energien steht uns heute eine gute und klimaschonende Alternative zu den fossilen Energieträgern zur Verfügung. Energie aus Wind, Wasser und Sonne ist zudem inzwischen billiger als Kohle oder Atomstrom. Es sind auch immer mehr Staaten, darunter große Emittenten wie China und die USA, bereit, sich an Lösung des Problems zu beteiligen.
Das Weltklima-Abkommen, das die Staaten im Dezember in Paris beschließen wollen, soll erstmals auch die Entwicklungs- und Schwellenländer zur Senkung ihrer CO2-Emissionen verpflichten. Diese fürchten aber um ihre wirtschaftliche Entwicklung. Was können wir von diesen Ländern erwarten?
Wir, die Industrieländer haben den Klimawandel verursacht und tragen deshalb die größte Verantwortung. Wenn wir wollen, dass auch die ärmeren Länder in den Klimaschutz investieren, müssen wir ihnen zeigen: Es ist möglich, die CO2-Emissionen auf maximal zwei bis vier Tonnen pro Person und Jahr zu senken – und zwar ohne Wohlstandsverluste. Das geht nur mit einer weitgehenden Dekarbonisierung bis 2050 und dem weiteren Ausbau der Erneuerbaren. Deutschland ist ein gutes Beispiel: Unsere Wirtschaft funktioniert – trotz oder gerade wegen umfangreicher Klimaschutzmaßnahmen. Von unserem Wissen und unseren Technologien können andere Länder profitieren.
Vier Monate vor Beginn der Klimakonferenz ist die künftige Rolle der Entwicklungs- und Schwellenländer aber noch immer sehr umstritten. Werden sich die Staaten tatsächlich auf einen Klimavertrag einigen können?
Wir dürfen von Paris nicht zu viel erwarten, denn wir sind noch weit von einer Lösung entfernt. Völlig unklar ist zum Beispiel die Finanzierung des Grünen Klimafonds, der die Entwicklungsländer bei der Bewältigung des Klimawandels unterstützen soll. Ab 2020 sollen sie 100 Milliarden Dollar jährlich erhalten – doch bisher haben die Staaten nur zehn Milliarden zugesagt. Auch werden die CO2-Reduktionsziele, die alle Staaten vor Paris auf den Tisch legen müssen, nicht ausreichen, um die Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen.
Zumal die Zusagen freiwillig sind – Länder, die nicht so viel CO2 einsparen wie versprochen, müssen keine Sanktionen fürchten. Ist das Abkommen am Ende das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt ist?
Sanktionen wären wünschenswert, sind aber oft nicht durchsetzbar. Das hat das Kyoto-Abkommen von 1997 gezeigt. Den Klimawandel werden wir in Paris nicht aufhalten, aber es gilt so viel wie möglich verbindlich festzulegen, insbesondere das Zwei-Grad-Ziel. Dann könnte man in einem nächsten Schritt genau auszurechnen, wie viel CO2 jedes Land einsparen muss, um das Ziel zu erreichen.
In Deutschland hat die Bundesregierung gerade die von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) vorgeschlagene Klimaabgabe für alte, besonders klimaschädliche Kohlekraftwerke gekippt. Stattdessen sollen nun bis 2020 Braunkohlekraftwerke mit einer Leistung von insgesamt 2,7 Gigawatt vom Netz genommen werden. Was halten Sie von dieser Lösung?
Die Kohle-Lobby hat sich leider durchgesetzt. Minister Gabriels ursprüngliche Abgabe für Kohlekraftwerke war schon windelweich und sollte nur 22 Millionen Tonnen statt der erforderlichen 70 Millionen Tonnen CO2-Einsparung im Stromsektor erbringen. Ich bin skeptisch, ob die Bundesregierung ihr Ziel, bis zum Jahr 2020 40 Prozent der CO2-Emissionen einzusparen, erreichen wird.
Für die Stilllegung der Kraftwerke sollen die Unternehmen eine finanzielle Entschädigung erhalten. Wird die Kohleabgabe durch eine Prämie ersetzt?
Das Ganze kostet den Steuerzahler jedenfalls viel Geld. Bis 2020 werden rund zehn Milliarden Euro fällig – das sind völlig überzogene Subventionen für die Kohle. Zudem lässt sich noch nicht abschätzen, ob damit wirklich etwas bewirkt wird. Statt in Klimaschutz und Strukturwandel zu investieren, wirft die Koalition Energiekonzernen wie RWE und Vattenfall Milliarden hinterher für Methusalem-Kraftwerke, die die Konzerne selbst längst stilllegen wollten.
Nicht nur Kraftwerksbetreiber und Gewerkschaften haben – unter anderem aus Sorge vor Arbeitsplatzverlusten – gegen die Kohleabgabe aufbegehrt, sondern auch das Braunkohle-Land Nordrhein-Westfalen (NRW). Dort regiert die SPD zusammen mit den Grünen. Misst Ihre Partei in der Kohle-Frage mit zweierlei Maß?
Die Grünen können als kleiner Koalitionspartner ihre Vorstellungen leider nicht zu hundert Prozent durchsetzen. Ich meine: Wir müssen den Menschen ehrlich sagen, dass diese oft 40 Jahre alten Braunkohlekraftwerke abgeschaltet werden müssen. Schließlich stoßen sie im Vergleich zu einem Gaskraftwerk die vierfache Menge CO2 pro Kilowattstunde aus.
Die Erneuerbaren decken den deutschen Strombedarf bisher aber nur zu rund 26 Prozent. Sind wir nicht weiter auf Kohlekraft angewiesen?
Niemand in Deutschland fordert den sofortigen Ausstieg aus der Kohlekraft. Für unsere Volkswirtschaft muss der Strom selbstverständlich ständig fließen. Aber wir müssen parallel zum Ausbau der Erneuerbaren endlich anfangen mit einem Kohleausstieg – und der sollte bei den besonders dreckigen Kraftwerken beginnen.
Die Bundesregierung hat im Dezember 2014 das „Klimaschutzaktionsprogramm 2020“ verabschiedet, um das 40-Prozent-Ziel einhalten zu können. Ihre Partei fordert aber ein Klimaschutzgesetz. Warum ist das notwendig?
Das Problem mit Klimazielen ist doch, dass sie immer weit in der Zukunft liegen. Fünf Jahre vor Ablauf der Frist heißt es dann plötzlich: Da fehlen ja noch 15 von 40 Prozent – wie sollen wir das schaffen? Und dann muss die Umweltministerin eiligst einen Aktionsplan ausarbeiten. Um das zu verhindern, sollten Klimaziele Gesetz werden. Dann müsste regelmäßig überprüft werden, ob sie erreicht werden können oder weitere Maßnahmen notwendig sind. Länder wie Großbritannien und die Niederlande haben damit schon sehr gute Erfahrungen gemacht. Leider ist ein solches Gesetz zurzeit in Deutschland politisch nicht durchsetzbar.