Trittin: Syrien-Einsatz erschwert politische Lösung / Interview mit der Zeitung „Das Parlament“
Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 7. Dezember 2015)
- bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung-
Der Außenpolitiker der Grünen, Jürgen Trittin, fürchtet, dass die Ausweitung der Bombardements in Syrien und die deutsche Beteiligung eine politische Lösung des Konflikts erschweren. „Dennoch muss man alles dafür tun, um sie zu finden“, sagte Trittin mit Blick auf die Wiener Syrien-Gespräche im Interview der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Montagausgabe). Eine politische Lösung sei die wichtigste Voraussetzung, um die Terrormiliz IS zurück zu drängen.
Trittin führte aus, dass man für eine Befriedung des Landes zu einem „inklusiven Regierungshandeln“ kommen müsse. Das bedeute, dass die alawitische Minderheit, der Machthaber Assad angehört, nicht weiter die sunnitische Mehrheit unterjochen dürfe. Umgekehrt gelte: „Es wird eine Lösung in Syrien nur geben, wenn auch die Teile der Bevölkerung, die zur Zeit Assad unterstützen, eine Chance auf Teilhabe haben, zusammen mit den anderen, die bisher keine hatten.“ Der Fehler im Irak sei es gewesen, die sunnitische Minderheit, die dort unter Saddam Hussein geherrscht hatte, nach dessen Sturz auszugrenzen. „Das hat zu einer Verbrüderung zwischen der IS und den erfahrenen militärischen Kadern der alten irakischen Armee geführt. Erst wenn es uns gelingt, das wieder aufzubrechen, und die Sunniten in Syrien wie im Irak bereit sind, selber mit dem IS zu brechen, erst dann wird man es schaffen, ihn zu isolieren“, sagte Trittin.
Das Interview im Wortlaut:
Herr Trinttin, die französische Regierung hat nach den Anschlägen von Paris Deutschland um Unterstützung bei ihrem Militäreinsatz in Syrien gebeten. Kann man eine solche Bitte ablehnen?
Ich würde zunächst den ersten Wunsch der Franzosen erfüllen, den Premier Valls geäußert hat, nämlich dass Frankreich nicht über 30.000 Soldaten demobilisieren muss, um die europäischen Stabilitätsziele einzuhalten. In dieser Situation muss es Frankreich möglich sein, seine militärische Stärke aufrecht zu erhalten, auch um den Preis von Schulden. Das ist Solidarität. Ich halte es weiter für richtig, dass wir Frankreich im Norden Malis entlasten. Dieser Einsatz hat all das, was der jetzt beschlossenen Syrien-Mission fehlt: Es gibt ein klares Mandat der Vereinten Nationen, es geschieht unter ihrem Oberkommando, unter Beteiligung lokaler Kräfte vor Ort und in unmittelbarem Zusammenhang mit einem inner-malischen Friedensprozess.
Die USA haben nach dem 11. September den Nato-Verteidigungsfall erklärt. Frankreich dagegen beruft sich nun auf die EU-Beistandsklausel. Wie bewerten Sie diesen Schritt?
Ich begrüße das, weil Frankreich damit erstens sagt, dass es an den Europäern ist, angesichts der terroristischen Bedrohung zusammenzustehen. Zweitens bedeutet ihr Bezug auf den Lissabon-Vertrag, dass sie vor allem politische Solidarität einklagen und die Antwort auf den Terrorismus nicht auf das Militärische verkürzen. Das ist bei der Sachlage, wie sie sich jetzt darstellt, auch überzeugend: Französische und belgische Staatsbürger, die in diesen Ländern aufgewachsen sind, haben mit Waffen, die sie in Baden-Württemberg gekauft haben sollen, in Paris über 130 Menschen abgeschlachtet. Das heißt, dieser Angriff ist viel mehr aus der Mitte der Gesellschaft gekommen als von außen. Deshalb ist diese Berufung auf den europäischen Bündnisfall, der keine militärische Beistandsklausel ist, die richtige Antwort.
Heißt das auch, dass die Berufung auf eine kollektive Selbstverteidigung in Ihren Augen falsch ist?
Frankreich fühlt sich selbstverständlich angegriffen. Die kollektive Selbstverteidigung ist ein Prinzip des Völkerrechts. Auch nichtstaatliche Akteure können ein solches Selbstverteidigungsrecht auslösen, wenn ihr bewaffneter Angriff mit dem eines Staates vergleichbar ist. Wenn man das in diesem Fall bejaht, bleibt aber die entscheidende Frage: Kann man unter Berufung auf dieses Selbstverteidigungsrecht die Souveränitätsrechte anderer Staaten aushebeln, wenn der Sicherheitsrat ein Mandat verweigert? Es war bisher gefestigte Rechtsmeinung der Bundesrepublik Deutschland, vom Afghanistan-Einsatz bis in die jüngste Vergangenheit, dass eine Intervention nur möglich ist, wenn es eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat gibt. Die gibt es nicht, im Gegenteil. Resolution 2249 des Sicherheitsrates wurde unmittelbar vor der Entscheidung der Bundesregierung verabschiedet. Sie ruft die Mitglieder der UNO zwar dazu auf, alles gegen den IS zu tun „auf der Basis der Charta der VN“. Aber sie ermächtigt eben nicht zu militärischen Maßnahmen im Sinne eines Mandats.
Wenn man sich nun an dieser Bekundung des höchsten rechtsetzenden Organs der Weltgemeinschaft vorbeischleicht, ist das eine dramatische Wende in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik. Die Begründung ist die gleiche, mit der George W. Bush seinen Angriff auf den Irak gerechtfertigt hat, nämlich: Im Kampf gegen den Terror hat das Völkerrecht zurückzustehen. Damals haben Sozialdemokraten und Grüne dem klar widersprochen, heute macht sich die Große Koalition diese Umgehung des Völkerrechts zu eigen.
Sie sprechen hier von der Souveränität Syriens. Nun erkennt aber Deutschland die Regierung Assad nicht mehr an. Spielt das in diesem Zusammenhang eine Rolle?
Wir finden aus guten Gründen das Regime Assad nicht legitim. Die meisten von uns würden es begrüßen, wenn Assad vor dem Internationalen Strafgerichtshof landen würde für die von ihm zu verantwortenden Taten. Das ändert aber nichts daran, dass Syrien nach den Regeln der Vereinten Nationen ein souveräner Staat ist, und bis vor wenigen Wochen hat die Bundesregierung das auch genau so gesehen.
Eine ganz grundsätzliche Frage: Wir haben ja mit dem Sturz von Tyrannen in jüngerer Zeit nicht die besten Erfahrungen gemacht, wenn man auf den Irak sieht, wenn man auf Libyen sieht. Welche Lehren müsste man Ihrer Meinung nach für Syrien daraus ziehen?
Es hat 2012 einen ernstzunehmenden Versuch des finnischen Spitzendiplomaten Martti Ahtisaari gegeben, in Syrien eine Verständigung zwischen der Opposition und der Regierung herbeizuführen. Diese Verständigung war nahezu erreicht. Sie wurde dann aber, auch von Europa und den USA, nicht weiter vorangetrieben, weil man den baldigen Sturz Assads erwartete und darauf hingearbeitet hat. Das Problem ist, dass wir dabei auf die Golfstaaten und Saudi-Arabien gesetzt haben und damit indirekt Kräfte stark gemacht haben, die selbst hoch problematisch sind. Deswegen müssen wir zu einer konsistenteren Politik kommen. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass es in den betreffenden Staaten inklusives Regierungshandeln gibt. Das bedeutet: Wenn dort Alawiten, Christen und mehrheitlich Sunniten gemeinsam leben, darf nicht die alawitische Minderheit die übrigen beiden Gruppen unterjochen. Es geht um Teilhabe, und der müssen wir uns mehr verpflichtet fühlen als einer vermeintlichen Stabilität. Der Fall Assad hat gezeigt, wie kurzsichtig es ist, auf diktatorische Stabilitätsversprechen zu bauen. Assad war für den Westen nicht immer der Feind. Die USA haben ihn sogar benutzt, um nach 9/11 unliebsame Gefangene nach Syrien abzuschieben und dort foltern zu lassen. Wir müssen aufhören, solche Regimes zu stärken. Denn der islamische Terrorismus ist auch eine Antwort auf die Doppelmoral des Westens, der von Menschenrechten redet, aber Diktatoren im eigenen Interesse stützt. Gegen diesen Mangel an westlicher Glaubwürdigkeit erscheint der Islamismus manchen als einzig authentische Kraft. Wir müssen unsere eigene Politik hinterfragen. Das ist die Lehre.
Die Auflösung der irakischen Armee 2003 durch US-Verwalter Brehmer gilt als wesentliche Ursache für die jetzige Lage in der Region. Ist es vor diesem Hintergrund richtig, die Armee und Teile des Assad-Regimes in eine Friedensordnung einzubinden?
Es wird eine Lösung in Syrien nur geben, wenn auch die Teile der Bevölkerung, die zur Zeit Assad unterstützen, eine Chance auf Teilhabe bekommen, zusammen mit den Bevölkerungsgruppen, die bisher ausgeschlossen waren. Der Fehler im Irak ist gewesen, dass man die Zusammenarbeit mit den sunnitischen Stämmen erst kurz vor Abzug der Amerikaner begonnen hat. Und zwar im Rahmen des sogenannten „Surge“ von General Petraeus. Diese Politik wurde nicht institutionalisiert, und nach dem Abzug hat die schiitische Mehrheit den Schritt umgehend rückgängig gemacht. Das hat zu einer Verbrüderung zwischen dem IS und den erfahrenen militärischen Kadern der alten irakischen Armee geführt. Erst wenn es uns gelingt, diese problematische Allianz aufzubrechen, und die Sunniten in Syrien wie im Irak selbst bereit sind, sich gegen den IS zu stellen, erst dann wird man die Terrororganisation isolieren können.
In Wien wird weiter nach einer politischen Lösung für Syrien gesucht. Wie optimistisch sind Sie, dass sie gefunden wird?
Ich glaube, dass eine größere Anzahl an Luftschlägen und die deutsche Intervention eine solche Einigung nicht leichter machen. Dennoch muss man alles dafür tun, eine politische Lösung zu finden. Denn langfristig kann der IS nur besiegt werden, wenn die militärische Strategie in einen erfolgversprechenden politischen Prozess eingebettet ist.