Appell an Aufbau sozialer Sicherungssysteme
Berlin: (hib/JOH) Soziale Sicherungssysteme sind nach Ansicht von Michael Cichon, Autor und Entwickler des Social Protection Floor Index (SPFI), für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung aller Länder unverzichtbar. Es gebe kein effizienteres und schneller wirksames Politikinstrument, mit dem Menschen aus Armut und Perspektivlosigkeit befreit und Barrieren für Wachstum abgebaut werden könnten, betonte er am Mittwochmorgen im Entwicklungsausschuss. Gerade angesichts der Auswirkungen der Corona-Pandemie könne kein Land darauf verzichten. Es habe sich in akuten Krisen wie dieser aber gezeigt, dass die Reaktionszeit zu lang sei, wenn nicht schon zuvor Grundlagen für eine soziale Grundsicherung geschaffen worden seien.
Cichon verwies auf den im Jahr 2012 von den Mitgliedstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) gefassten Beschluss, universelle und rechtsbasierte soziale Basisschutzsysteme (Social Protection Floors) innerhalb des nächsten Jahrzehnts einzuführen. Laut Untersuchungen des SPFI seien die meisten Länder dazu fähig, soziale Basisschutzsysteme zu etablieren. Nur für etwa ein Dutzend Länder sei dies nicht ausschließlich mit nationalen Ressourcen zu erreichen. Für sie sollten internationale Hilfen zur Verfügung gestellt werden. „Das ist auch gar nicht sehr teuer“, sagte Cichon. In Anlehnung an den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria, der jährlich etwa vier Milliarden US-Dollar ausschütte, könnte in ähnlicher Größenordnung ein Globaler Fonds für Soziale Sicherung geschaffen werden, schlug er vor.
Nach Angaben der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), Maria Flachsbarth (CSU), liege die Notwendigkeit für den Aufbau sozialer Sicherungssysteme in Entwicklungs- und Schwellenländern auf der Hand. Bislang seien weltweit 71 Prozent der Menschen nur unzureichend abgesichert, 55 Prozent hätten gar keinen Schutz. Infolge der Corona-Pandemie würden allein in diesem Jahr 115 Millionen Menschen neu in extreme Armut stürzen.
Das BMZ fördere schon seit vielen Jahren den Aufbau sozialer Sicherungssysteme in den Partnerstaaten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit, erklärte Flachsbarth. Zugleich hätten sich gerade in den ärmsten Staaten auch Bardgeldtransfers („Cash Transfers“) an bedürftige Zielgruppen als wirksames Mittel zur Verhinderung chronischer Armut erwiesen. Ihr Vorteil sei es, dass die Empfänger flexibel und eigenverantwortlich über die Nutzung der Mittel entscheiden könnten. Idealerweise seien Bargeldtransfers Teil eines umfassenden und durch Eigenmittel der Partnerländer mitfinanzierten sozialen Sicherungssystems, betonte sie.