Kritik am Entwurf der Restschuldbefreiung
Berlin: (hib/MWO) Kritik am Regierungsentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens (19/21981) äußerten die Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch. Zwar wurde die geplante Verkürzung des Verfahrens von sechs auf drei Jahre für alle natürlichen Personen sowie die zügige Umsetzung zum 1. Oktober 2020 begrüßt, abgelehnt wurde jedoch vor allem die im Regierungsentwurf vorgesehene unterschiedliche Behandlung von Privatpersonen und Unternehmern sowie die lange Speicherung von Insolvenzdaten bei Auskunfteien. Die meisten der geladenen Rechtswissenschaftler und Praktiker bedauerten, dass der Regierungsentwurf an diesen maßgeblichen Stellen deutlich vom Referentenentwurf abweiche.
Marion Kemper verwies in der Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände (AG SBV) darauf, dass namhafte Richter, Rechtswissenschaftler, Insolvenzverwalter und Schuldnerberater ihre Kritik am Regierungsentwurf bereits prägnant in einem Aufruf formuliert hätten. Dieser Kritik schließe sich die Arbeitsgemeinschaft an und fordere, die Bedenken der Fachpraktiker im weiteren parlamentarischen Verfahren zu berücksichtigen. Insbesondere wende sich die Arbeitsgemeinschaft gegen alle geplanten Vorschriften im Entwurf, die nicht den wirtschaftlichen Neuanfang der überschuldeten Menschen im Fokus haben. Kemper wandte sich explizit gegen das dem Regierungsentwurf zugrunde liegende Schuldnerbild. Er sei von einem Missbrauchsgedanken durchzogen.
Christoph Niering, Vorsitzender des Verbandes Insolvenzverwalter Deutschlands (VID), kritisierte, dass der Regierungsentwurf keine Möglichkeit für eine schnelle Wiederaufnahme beziehungsweise Fortsetzung der selbständigen Tätigkeit biete. Damit werde die Chance vertan, den durch die Corona-Krise besonders getroffenen Freiberuflern, Einzelkaufleuten und Solo-Selbständigen einen Neustart unter einer gesicherten Fortsetzung der selbständigen Tätigkeit zu ermöglichen. Für bedenklich hält Niering wie die anderen Experten auch die Differenzierung zwischen unternehmerischen und nicht unternehmerisch tätigen Schuldnern.
Deutliche Nachbesserungen am Entwurf forderte Martin Ahrens von der Georg-August-Universität Göttingen. Als Konsequenz der im Regierungsentwurf vorgesehenen Regelung, wonach die für nicht selbständig wirtschaftlich tätige Schuldner auf drei Jahre verkürzte Verfahrensdauer anders als im Referentenentwurf nur bis 2025 gelten solle, werde eine gespaltene Rechtslage eintreten, erklärte Ahrens. Diese Differenzierung führe zu unterschiedlichen Abtretungsfristen zwischen Unternehmern und nicht unternehmerisch tätigen Personen. Dies schaffe nicht nur eine unnötige Komplexität, sondern auch erhebliche systematische und praktische Probleme.
Gerhard Pape, Richter am Bundesgerichtshof a.D., sagte, gleichgelagerte Sachverhalte dürften ab 2025 nicht unterschiedlich behandelt werden, indem für Verbraucher die Rückkehr zu einer sechsjährigen Entschuldungsfrist vorgesehen sei, während Selbstständige und ehemals selbstständige Schuldner ihre Entschuldung binnen drei Jahren erreichten.
Hugo Grote von der Hochschule Koblenz erklärte in seiner Stellungnahme, der Regierungsentwurf bedürfe dringend der Überarbeitung, wobei im Referentenentwurf bereits zahlreiche interessengerechte Lösungen vorhanden seien, auf die zurückgegriffen werden könne. Wie Ahrens sprach sich Grote dafür aus, die im Referentenentwurf vorgesehene Verkürzung der Speicherfrist von Insolvenzdaten nach der Restschuldbefreiung auf ein Jahr wieder in das Gesetz aufzunehmen. Dies sei interessengerecht und fördere den wirtschaftlichen Restart von Unternehmern und Verbrauchern.
Hans-Ulrich Heyer, Richter am Amtsgericht Oldenburg, schloss sich der Kritik an. Die Restschuldbefreiung sei die notwendige Restrukturierungsmöglichkeit für alle natürlichen Personen, ob sie wirtschaftlich selbständig tätig seien oder nicht. Dem nachhaltigen Erfolg einer Entschuldung und einem damit bezweckten wirtschaftlichen Neustart laufe eine überlange Speicherung von Insolvenzdaten zuwider.
Das sah auch Hans Haarmeyer, emeritierter Professor aus Bonn, so. Im Vergleich zwischen dem Referenten- und dem Regierungsentwurf sei festzustellen, erklärte Haarmeyer, dass einzig die sofortige Verkürzung des Verfahrens auf drei Jahre positiv bewertet werden könne. Alle weiteren Änderungen seien entweder sinnfrei oder kontraproduktiv und entsprächen keinesfalls der Intention der EU-Richtlinie. Der Gesetzgeber wäre gut beraten, aus dem Regierungsentwurf lediglich die sofortige Umsetzung zu übernehmen und es ansonsten bei den allseits begrüßten Regelungen des Referentenentwurfs zu belassen.
Die Frankfurter Rechtsanwältin Cristina Weidner schlug vor, Unternehmer und Verbraucher zusammenzufassen. Eine unterschiedliche Behandlung erscheine vor dem Hintergrund einer sozialen Ungleichbehandlung verschiedener Privatpersonen und damit einhergehenden Gefährdung der gesellschaftlichen Akzeptanz des Gesetzes nicht geboten. Die Expertin für Restrukturierungs- und Insolvenzrecht erklärte, die Erfahrung der vergangenen Jahre zeige, dass die Dauer der Restschuldbefreiung nicht proportional mit steigenden Einnahmen zu verbinden sei. Im Gegenteil führe eine lange Verfahrensdauer meist nur zu einem erhöhten Aufwand für alle Beteiligten, während aus Sicht der Schuldner faktisch und mangels bestehender Anreize die Rückkehr in das normalisierte Wirtschaftsleben erschwert werde.
Hintergrund des Gesetzentwurfs der Bundesregierung ist die EU-Richtlinie 2019/1023 zur Steigerung der Effizienz von Restrukturierungs-, Insolvenz- und Entschuldungsverfahren. Auf der Tagesordnung der Anhörung stand auch ein Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur insolvenzrechtlichen Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie (19/18681). Der darin enthaltene Vorschlag einer virtuellen Gläubigerversammlung sei eine gute Sache, sagte der Oldenburger Richter Heyer.