Chefs der Nachrichtendienste in Anhörung
Berlin: (hib/HAU) Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) des Bundestages hat am Montag zum vierten Mal in seiner Geschichte die Spitzen der Nachrichtendienste des Bundes in einer öffentlichen Anhörung gehört. Bei der jährlichen Veranstaltung stellten sich die Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, und des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, sowie des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (MAD), Christof Gramm, den Fragen der Abgeordneten.
BfV-Präsident Haldenwang machte während der Sitzung deutlich, dass in allen Extremismusbereichen eine gestiegene Gewaltbereitschaft festzustellen sei. Als „größte Bedrohung für die Sicherheit und die Demokratie in Deutschland“ benannte er den Rechtsextremismus und den Rechtsterrorismus. Eine hohe Gewaltbereitschaft, regelmäßige Waffenfunde und Tötungsdelikte seien die Belege für die hohe Gefährdungsbewertung. Haldenwang sprach von einem Personenpotential, das im vergangenen Jahr um 33 Prozent auf rund 32.000 Personen gestiegen sei. „Neben dem Anstieg der gewaltorientierten Personen auf 13.000 beobachten wir auch einen auffälligen Anstieg antisemitisch motivierter Gewalt und Straftaten von Rechtsextremisten von jeweils etwa 17 Prozent.“
Auch im Linksextremismus, so BfV-Präsident Haldenwang weiter, sei eine deutliche Steigerung der Militanz und eine neue Qualität bei Gewaltdelikten gegen Personen festzustellen. 4,7 Prozent betrage der Anstieg des Personenpotentials, der bei 33.500 liege. Davon bewerte das BfV 9.200 Personen als gewaltorientiert. Der „scheinintellektuelle Duktus“, in den sich linksextremistische Theoretiker gerne kleideten, könne nicht darüber hinweg täuschen, „dass auch hier Hass und Hetze gegen Menschen gepredigt werden“. Linksextremistische Straftaten hätten in 2019 um fast 40 Prozent zugenommen, sagte Haldenwang.
Im islamistischen Terrorismus könne das Bundesamt für Verfassungsschutz ebenso wenig Entwarnung geben wie bei den sicherheitsgefährdenden Aktivitäten fremder Mächte, „die an Brisanz zugenommen haben“, sagte der BfV-Präsident. Wie in den vergangenen 70 Jahren trete das Amt diesen Gefahren „aktiv und entschlossen entgegen“.
MAD-Präsident Christof Gramm sagte vor den Abgeordneten: „Auch wenn die ganz große Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten verfassungstreu ist und Rechtsextremismus in der Gesellschaft und in der Bundeswehr kein neues Phänomen bildet, haben wir eine neue Dimension festgestellt.“ So seien die Verdachtsfälle innerhalb der Bundeswehr in den Bereichen Rechtsextremismus und Reichsbürger erkennbar angestiegen. Beginnend seit 2019 würden systematisch sowohl Extremisten als auch Personen mit fehlender Verfassungstreue erfasst, sagte Gramm. Verfassungstreue sei für Soldaten und für Beamte gleichermaßen Berufspflicht, betonte der MAD-Präsident. Fehlende Verfassungstreue sei oft genug lediglich die Vorstufe zum Extremismus.
Einen Schwerpunkt bei der Extremismusabwehr bildet seiner Aussage nach das Kommando Spezialkräfte (KSK), „wo wir weiterhin rund 20 Personen bearbeiten“. Durch stille Operationen sei es gelungen, „mehr Licht ins Dunkel zu bringen“. Gramm erinnerte an den Munitions- und Waffenfund bei einem KSK-Angehörigen vor einigen Wochen. Zu klären sei die Frage, „ob es Mitwisser oder gar Mittäter gab“.
Gramms Einschätzung nach könne von einer Untergrundarmee bislang nicht gesprochen werden. „Aber Beziehungsgeflechte - oder wenn sie so wollen Netzwerke sowie Strukturen - mit unterschiedlicher Qualität finden wir sehr wohl“, sagte er. Was die Weitergabe von Informationen aus dem MAD an KSK-Angehörige angeht, so stellte Gramm klar, dass dies in einem Falle geschehen sei. Der betroffene MAD-Mitarbeiter sei inzwischen entlassen worden.
BND-Präsident Kahl bezeichnete während der Anhörung die COVID-19-Pandemie als einen „Stresstest für unsere Weltordnung“. Autoritäre Staaten versuchten, im Schatten der Corona-Krise ihre Einflusssphären auszubauen. Dabei würden sie die Schwächen anderer internationaler Akteure ausnutzen, Lücken besetzen und hybride Maßnahmen intensivieren. „In dieser besonderen und angespannten Situation, die vor wenigen Monaten noch niemand auf dem Schirm hatte und die die gesamte Welt noch lange in Atem halten wird, muss der BND handlungsfähig sein“, betonte Kahl.
Es sei deshalb zu begrüßen, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem jüngsten Urteil die überragende Bedeutung der Strategischen Fernmeldeaufklärung des BND für die Sicherheit Deutschlands betont habe. Dies werde nun vor allem mit dem Schutz der Grundrechte auf Telekommunikations- und Pressefreiheit in Einklang zu bringen sein, sagte der BND-Präsident.
Der BND, so sein Präsident, spioniere, „weil andere Staaten dies genauso tun“. Würde der deutsche Staat aus noch so hehren moralischen Motiven auf das Mittel verzichten, im Ausland zu spionieren, „so würden wir damit nichts gewinnen, sondern uns einfach nur schlechter stellen“, sagte Kahl und forderte : „Wir dürfen uns nicht künstlich blind und taub machen, nur weil das auf den ersten Blick einfacher, sympathischer und ehrlicher erscheint.“