Lage der Menschenrechte in Indien
Berlin: (hib/SAS) Die Bundesregierung beobachtet mit Sorge die Entwicklungen im früheren indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir. Die Aufhebung des in der indischen Verfassung garantierten Sonderstatus und die Aufspaltung in zwei Unionsterritorien im August 2019 sei mit „massiven Einschränkungen von bürgerlichen Freiheiten“ einhergegangen, sagte ein Vertreter der Bundesregierung am Mittwoch im Rahmen einer Unterrichtung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Tausende Menschen seien inhaftiert worden, darunter auch Politiker. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International werteten den Ausfall der Kommunikation, darunter auch die Abschaltung Internets, als Versuch, unabhängige Berichterstattung und Dokumentation der Lage durch Journalisten und Menschenrechtsaktivisten zu unterbinden. Inzwischen seien viele der Restriktionen zwar aufgehoben worden, so der Regierungsvertreter. Trotzdem sei die Situation von Normalität noch weit entfernt.
Ebenfalls kritisch betrachtet die Bundesregierung die im Dezember 2019 verabschiedete Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes. Der Citizenship Amendment Act (CAA) soll Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus den Erwerb der indischen Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung und Registrierung ermöglichen. Allerdings gelte die Regelung nur für Hindus, Sikhs, Buddhisten, Jains, Parsen und Christen aus Afghanistan, Bangladesch und Pakistan, die am oder vor dem 31. Dezember 2014 nach Indien eingereist sind.
Menschen muslimischen Glaubens seien von der Regelung ausgenommen. Dies sei klar eine „Diskriminierung“, so der Vertreter des Auswärtigen Amtes. Aus diesem Grund werde das umstrittene Gesetz auch gerichtlich angefochten. Aus Sicht der Kritiker verstoße es gegen die indische Verfassung, die eine Diskriminierung aufgrund von Religion ausschließe. Eine Entscheidung des indischen Supreme Courts stehe aus. In Kraft getreten sei das Gesetz daher noch nicht.
Trotz ethnisch-religiöser Spannungen sei Indien aber alles andere „als ein autokratischer, diktatorischer Staat, der die Menschenrechte mit Füßen tritt“, betonte der Regierungsvertreter. Es gebe soziale Diskriminierungen und große soziale Unterschiede auch aufgrund des indische Kastensystems. Jedoch garantiere der Rechtsstaat weitreichende Freiheiten. Trotz der Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts sei die „Religionsausübung noch nahezu uneingeschränkt möglich.“
Der Beauftragte der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit, Markus Grübel, der die Abgeordneten insbesondere über die aktuelle Situation religiöser Minderheiten informierte, äußerte sich skeptischer: Deren Lage sei seit dem Amtsantritt des indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi 2014 doch insgesamt „schwieriger“ geworden, gab er zu bedenken. Gerade Muslime seien „gesellschaftlich stark benachteiligt“. Ähnliches gelte auch für die Christen, die darüber hinaus auch dadurch diskriminiert würden, dass sie oft zu den Katenlosen „Dalits“ zählten, sagte Grübel.
Indien sei aber nichtsdestotrotz eine Demokratie und ein Rechtsstaat, sagte der Beauftragte für Religionsfreiheit: „Gegen Diskriminierungen kann man sich in Indien wehren.“ Deshalb sei ein Vergleich mit China, wie ihn etwa die US-Kommission für die globale Lage der Religionsfreiheit (USCIRF) in ihrem jüngsten Bericht gezogen habe, „fehl am Platz“. Die Ende April veröffentlichte USCIRF-Länderstatistik bescheinigt Indien erstmals seit 2004 eine „besorgniserregende Lage“ hinsichtlich der Religionsfreiheit - so wie auch 13 anderen Staaten, darunter China, Nordkorea und Saudi-Arabien.
In der anschließenden Diskussion zeigten sich Vertreter sowohl der Koalition- als auch der Oppositionsfraktionen insbesondere beunruhigt über das Erstarken des Hindunationalismus in Indien und die wachsende Diskriminierung von religiösen Minderheiten. Fragen der Abgeordneten zielten zudem unter anderem auf die Einführung eines nationalen Bürgerregisters, die Entstehung von Haftanstalten für „illegalisierte“ Menschen sowie Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus in Indien.