Experten kritisieren hohe Flächenverluste
Berlin: (hib/HAU) Um das ursprünglich für 2020 vorgesehene und inzwischen auf 2030 verschobene Ziel zu erreichen, das Wachstum der Siedlungs- und Verkehrsflächen auf 30 Hektar pro Tag zu begrenzen, braucht es verstärkte Anstrengungen. Das machten die zu einem öffentlichen Fachgespräch des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung zum Thema „Flächeninanspruchnahme - Flächen nachhaltig nutzen“ geladenen Experten am Mittwochabend deutlich. Notwendig sei ein stärkerer Fokus auf kompaktere Siedlungsformen beziehungsweise auf den Vorrang der Innen- vor der Außenentwicklung, sagte Professor Dirk Löhr von der Hochschule Trier. Thomas Preuss vom Deutschen Institut für Urbanistik forderte, ökonomische Fehlanreize abzubauen. Stefan Petzold vom NABU-Bundesverband betonte, Ziel müsse sein, so schnell wie möglich zu einem Netto-Null-Flächenverbrauch zu gelangen.
Der Flächenverlust liege derzeit bei 60 Hektar pro Tag, was jährlich der Fläche von Frankfurt am Main entspreche, sagte Petzold und forderte, Flächen besser vor Bebauung zu schützen. Er verwies auf die Bodenschutzklausel in Paragraf 1a des Baugesetzbuches, „die gelebt werden muss“. Darin heißt es: „Mit Grund und Boden soll sparsam und schonend umgegangen werden; dabei sind zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Entwicklung der Gemeinde insbesondere durch Wiedernutzbarmachung von Flächen, Nachverdichtung und andere Maßnahmen zur Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen.“
Der Boden, so der Nabu-Vertreter habe mehrere Funktionen. Es sei beispielsweise nach den Ozeanen der zweitgrößte Kohlenstoffspeicher. „Effektiver Bodenschutz ist also auch Klimaschutz“, sagte Petzold. Der Flächenverbrauch habe aber auch ökonomische Auswirkungen, wie etwa hohe Infrastrukturkosten für Neubauprojekte. Zudem erschwere er die Verkehrswende. Statt immer mehr in die Fläche zu bauen, müsse es gelingen, durch Umnutzung und Aufstockung von Büro-, Industrie-, Bestandswohngebäuden und Infrastruktur Wohn- und anderen Nutzraum zu schaffen, verlangte Petzold.
Die Hauptursache des anhaltend hohen Flächenverbrauchs findet sich laut Thomas Preuss nicht im Baurecht an sich, „auch wenn Ansatzpunkte für erforderliche Ergänzungen und Weiterentwicklungen bestehen und stärker auf eine an Nachhaltigkeitszielen ausgerichtete Anwendung des Baurechts hingewirkt werden sollte“. Vor allem das Instrumentarium für die Innenentwicklung, insbesondere für die Mobilisierung von Flächen, müsse geschärft werden, forderte er. Auch wirkten einige fiskalische Rahmenbedingungen zum Teil kontraproduktiv auf die flächenpolitischen Ziele. Verschiedene Aspekte seien also ursächlich für ein Scheitern flächenpolitischer Ansätze. „Daher ist eine isolierte Debatte um einzelne Instrumente nicht zielführend“, betonte der Teamleiter Ressourcen und Immissionsschutz beim Deutschen Institut für Urbanistik.
Bund und Ländern, so seine Forderung, müssten ökonomische Fehlanreize abbauen. Es gelte, alle relevanten Förderprogramme systematisch auf ihre Vereinbarkeit mit flächenpolitischen Zielstellungen zu überprüfen. Noch immer würden mit Mitteln aus der „Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ neue Industrie- und Gewerbegebiete auf der „grünen Wiese“ subventioniert. Hier sei - gerade in den strukturschwachen Gebieten - ein grundsätzliches Umdenken erforderlich.
Professor Dirk Löhr sagte, es könne nur gesteuert werden, „was auch gemessen wird“. Daher seien verbindliche, auf die verschiedenen staatlichen Ebenen heruntergebrochene Flächenverbrauchsziele erforderlich. Gute Steuerungsmöglichkeiten bestünden vor allem auf der Angebotsseite für Bauland. Vor Vornahme von Baulandausweisungen sollten verpflichtende Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen vorgenommen werden, die auch die Folgekosten berücksichtigen, regte er an.
In den letzten Jahren, so Löhr, sei das Thema Flächensparen hinter die Diskussion der Rolle des Bodens als Engpassfaktor für bezahlbaren Wohnraum zurückgetreten. Da die Baulandneuausweisungen aber in der Regel dort stattfänden, wo sie am wenigsten benötigt würden, „handelt es sich dabei nur bedingt um einen Zielkonflikt“, sagte der Wirtschaftswissenschaftler.