Stellung der Staatsanwaltschaft umstritten
Berlin: (hib/MWO) Die Stellung der Staatsanwaltschaft ist am Mittwoch Thema einer Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz gewesen. Den sieben Sachverständigen lagen ein Gesetzentwurf der FDP-Fraktion zur Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft (19/11095) und ein Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor, der auf eine rechtsstaatliche Reform der Stellung der Staatsanwaltschaft abzielt (19/13516). Die Experten kamen in ihren Stellungnahmen zu unterschiedlichen Bewertungen.
Gegen eine Reform sprach sich George Andoor, Regierungsrat aus Frankfurt am Main, aus. Beide Vorlagen sähen die Einführung einer unabhängigen Staatsanwaltschaft vor und seien auf die Abschaffung der ministeriellen Einzelweisungsbefugnis gerichtet. Andoor hält dies nicht für angezeigt. Die Staatsanwaltschaft als Exekutivbehörde unterscheide sich nicht so wesentlich von anderen Behörden, als dass nachzuvollziehen wäre, warum ausgerechnet bei ihr das Minus an parlamentarischer Kontrolle, das mit einer Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft einherginge, gerechtfertigt sein soll. Die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) letztendlich nur geforderte Ausstellung des Europäischen Haftbefehls durch eine unabhängige Stelle sei bereits möglich, sodass allenfalls eine klarstellende Gesetzesänderung angezeigt sei.
Der Kölner Generalstaatsanwalt Thomas Harden hält sowohl das EuGH-Urteil vom Mai 2019 als auch den Gesetzentwurf der FDP nicht für überzeugend. Dem Urteil zufolge erfüllten deutsche Staatsanwaltschaften wegen der Möglichkeit des ministeriellen Weisungsrechts die Anforderungen an eine Justizbehörde im Sinne des Rahmenbeschlusses zum Europäischen Haftbefehl nicht. Aus Sicht Hardens kommt es bei dem Urteil zu einer Überbetonung des Erfordernisses völliger Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft auf der zweiten Stufe gegenüber der richterlichen Kontrollfunktion auf der ersten Stufe. Zudem gehe es an der deutschen Rechtswirklichkeit vorbei. Zur geforderten Abschaffung des Status' des Generalbundesanwalts als politischer Beamter erklärte Harden, in Rechtspolitik und Schrifttum bestehe weitestgehend Übereinstimmung, dass eine Reform überfällig sei. Entsprechend dem Antrag der Grünen empfehle es sich, den Status des Generalbundesanwalts als politischer Beamter abzuschaffen.
Der Münchener Generalstaatsanwalt Reinhard Röttle, der krankheitsbedingt nicht an der Anhörung teilnehmen konnte, votiert in seiner schriftlich vorliegenden Stellungnahme explizit gegen eine Abschaffung des externen Weisungsrechts in Einzelfällen. Die Verfassung sehe aus guten Gründen eine richterliche Unabhängigkeit, jedoch keine staatsanwaltschaftliche Unabhängigkeit vor. Aufgabe und Stellung der Staatsanwaltschaft erforderten vielmehr eine demokratische Legitimation, die durch das externe Weisungsrecht vermittelt werde und erst damit in eine parlamentarische Kontrolle und politische Verantwortung münde.
Klaus Ferdinand Gärditz, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht der Universität Bonn, erklärte, der EuGH verlange mit seiner Entscheidung keine Staatsanwaltschaft als unabhängige Justizbehörde, sondern habe lediglich festgestellt, dass eine Justizbehörde im Sinne des europäischen Haftbefehlsrahmenbeschlusses voraussetzt, dass diese Stelle unabhängig von äußeren Weisungen ist. Damit bleibe die Frage, wie die Staatsanwaltschaft organisiert wird, weiter in der Justizautonomie der Bundesrepublik Deutschland. Es gehe in der Sache eigentlich um ein viel kleineres Problem, dass kein Anlass sei, umfassend die institutionelle Stellung der Staatsanwaltschaft zu reformieren. Der EuGH habe klargestellt, so Gärditz, dass auch eine weisungsabhängige Staatsanwaltschaft den Anforderungen an eine Justizbehörde genüge, wenn ein unabhängiges Gericht den europäischen Haftbefehl genehmigen muss. Das wäre eine denkbare Lösung, die zur Verfügung stünde. Auch Gärditz hält eine unabhängige Stellung der Staatsanwaltschaft für unvereinbar mit dem Demokratieprinzip. Gerade in Einzelfällen müsse jemand demokratisch verantwortlich für eine ordnungsgemäße Strafverfolgungspraxis sin Deutschland sein.
Auch die Hamburger Rechtsanwältin Gül Pinar bewertete den Gesetzentwurf der FDP als verfassungsrechtlich problematisch. Das Strafprozessrecht kenne keine pauschalierende Unabhängigkeit der Justiz, sagte sie. Pinar warnte davor, das System der Gewaltenteilung ins Wanken zu bringen. Unabhängige Staatsanwaltschaften könnten beispielsweise vorbringen, dass eine Maßnahme keiner richterlichen Kontrolle bedürfe. Auf europäischer Ebene müsse zunächst das Strafrechtssystem und das Strafprozessrecht der Länder angeglichen werden, bevor man über die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft rede.
Unterstützung für die Vorlagen kam von Klaus Michael Böhm, Richter am Oberlandesgericht Karlsruhe. In seiner Stellungnahme ging er auf die weitreichenden und seiner Meinung nach bislang nicht hinreichend beachteten Folgen des EuGH-Urteils ein, mit denen der deutschen Staatsanwaltschaft die Unabhängigkeit abgesprochen worden sei. Er bat die Abgeordneten bei der Beratung und Entscheidung über die Vorschläge von FDP und Grünen die Rechtsprechung des EuGH zu bedenken und Vorsorge für den Fall zu treffen, dass der Gerichtshof der deutschen Staatsanwaltschaft bezüglich der Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union insgesamt die Unabhängigkeit abspricht. Damit würde Deutschland immenser außenpolitischer Schaden drohen.
Auch der Deutsche Richterbund (DRB) hält die Abschaffung des ministeriellen Einzelweisungsrechts für unabdingbar. Dessen Vertreter Dieter Killmer, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, erklärte, damit zwangsläufig verbunden sei, den Status des politischen Beamten für den Generalbundesanwalt aufzuheben. Vor diesem Hintergrund begrüße der DRB ausdrücklich die durch den Gesetzentwurf und den Antrag erneut in Gang gesetzte Diskussion. Deutschen Staatsanwaltschaften müsse eine größere Unabhängigkeit eingeräumt werden, erklärte Killmer, damit sie nicht von wesentlichen Instrumenten der grenzüberschreitenden europäischen Zusammenarbeit ausgeschlossen werden und sie auch innerstaatlich als objektive, allein Recht und Gesetz verantwortliche Strafverfolgungsbehörden wahrgenommen werden.
Die Berliner Generalstaatsanwältin Margarete Koppers hält es für dringend erforderlich, die Rolle der Staatsanwaltschaften im deutschen Rechtssystem dauerhaft sicherzustellen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH und der sich daraus ergebenden Haltung europäischer Institutionen sei es dafür zwingend erforderlich, die entsprechenden Regelungen des Gerichtsverfassungsgesetzes so anzupassen, dass ein externes Weisungsrecht jedenfalls im Einzelfall ausgeschlossen ist. Wenn das Parlament jetzt nicht im Sinne des Gesetzesantrags der Fraktion der FDP reagiere, so Koppers, werde Deutschland von der europäischen Entwicklung überholt werden und könne andere EU-Mitgliedstaaten nicht glaubwürdig dafür kritisieren, politischen Einfluss auf die Justiz zu nehmen, wenn die Rechtslage in Deutschland diesen ebenfalls zulasse.
Hintergrund des Vorstoßes der FDP-Fraktion ist dem Entwurf zufolge die Möglichkeit des Justizministers, Einzelverfahren zu steuern. Dazu heißt es, schon die bloße Existenz dieser Einzelweisungsbefugnis könne den Eindruck vermitteln, staatsanwaltschaftliches Handeln könne außerhalb der Bindung an Recht und Gesetz durch politische Einflussnahme bestimmt werden. Das Weisungsrecht in Einzelfällen beschädige das Vertrauen in die Unabhängigkeit von Staatsanwaltschaft und Justiz. Das sogenannte externe Weisungsrecht des Justizministers in Einzelfällen sei daher abzuschaffen. Dagegen sei das allgemeine Weisungsrecht beizubehalten, da hier die Gefahr eines Missbrauchs oder auch nur des Anscheins des sachwidrigen Einflusses gering sei.
Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen sieht vor, dass der Bundestag die Bundesregierung auffordert, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem unter anderem die Zuständigkeit der Gerichte für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls bestimmt wird. Die Stellung der Staatsanwaltschaft bedürfe angesichts einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur deutschen Staatsanwaltschaft grundsätzlicher Debatte und Klärung, heißt es darin. Ferner soll das Parlament die Regierung auffordern, den gegenwärtigen Status des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof als politischer Beamter, der jederzeit in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden kann, zu überprüfen.