Bagatellgrenzen bei Hartz IV
Berlin: (hib/HAU) Die Forderung aus einem Antrag der FDP-Fraktion (19/10619) nach Einführung einer Bagatellgrenze für die Rückforderungen der Jobcenter gegenüber Hartz IV-Leistungsempfängern ist während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montagnachmittag bei den geladenen Experten überwiegend auf Zustimmung gestoßen. Der in einem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/15975) angeregte Rechtsanspruch für Arbeitslose auf Qualifizierung fand bei der Veranstaltung ebenfalls Fürsprecher und Widersacher.
Die Grünen verlangen von der Bundesregierung, einen Gesetzentwurf vorzulegen, der unter anderem regeln soll, dass Jobcenter mehr Freiheiten in der Betreuung und Budgetverfügung erhalten. Außerdem sollen der Vorrang der Vermittlung vor allen anderen Leistungen abgeschafft werden und Arbeitslose einen Rechtsanspruch auf Qualifizierung erhalten. Freiwilligkeit soll zum Ausgangspunkt der Unterstützungsleistungen gemacht werden, fordern die Grünen.
Die Liberalen fordern neben der Einführung einer Bagatellgrenze von 25 Euro für Aufhebungs- und Erstattungsverfahren von Jobcentern, dass die Agenturen für Arbeit die Betreuung und Arbeitsvermittlung von sozialversicherungspflichtig beschäftigten ALG-II-Beziehern übernehmen. Außerdem wollen sie die Übermittlung von Einkommensnachweisen vereinfachen und die temporäre Bedarfsgemeinschaft durch einen pauschalierten Mehrbedarf ersetzen.
Matthias Schäffer von der Bundesagentur für Arbeit (BA) rechnete vor, dass bei einer Bagatellgrenze von 25 Euro den sieben Millionen Euro an Kosten - durch nicht zurückgeforderte Leistungen - Einsparungen in Höhe von 52 Millionen Euro an Verwaltungskosten gegenüber stehen würden. Kommunalvertreter teilten die Einschätzung der BA. Pro Fall seien 60 bis 70 Euro einsparbar, sagte Nikolas Schelling vom Deutschen Städtetag. Markus Mempel vom Deutschen Landkreistag ergänzte, Ziel müsse es sein, dass die Sachbearbeiter in diesen Fällen keine Bescheide versenden müssten, was eine Arbeitsersparnis von bis zu 1,5 Stunden pro Fall schaffe.
Einen generellen Rechtsanspruch auf Weiterbildung hält hingegen die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) für„nicht zielführend“, wie BDA-Vertreterin Anna Robra sagte. Er führe zu einer Qualifizierung „ins Blaue hinein“. Nicht immer sei aber die Qualifizierung das richtige Mittel zur Überwindung der Hilfebedürftigkeit, gab sie zu bedenken. Dieser Einschätzung schloss sich auch BA-Vertreter Schäffer an.
Der Wirtschaftsrechtler Michele Dilenge lehnte einen solchen Rechtsanspruch ebenfalls ab. Er sieht darin sogar einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 Grundgesetz, wenn ein bestimmter Personenkreis Anspruch auf Weiterbildungsgeld erhält, der anderen Personen vorenthalten werde. Skeptisch zeigte er sich auch hinsichtlich der geforderten Bagatellgrenze, mit der „falsche Signale“ gesendet würden.
Martin Künkler vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) befand einen solchen Rechtsanspruch als sinnvoll, wenn definiert werde, dass die Weiterbildung „Ergebnis eines Beratungsprozesses und arbeitspolitisch zweckmäßig“ sein muss. Umstritten zwischen DGB und BDA war die Bewertung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz IV-Sanktionen. BDA-Vertreterin Robra machte deutlich, dass im Interesse der Mitwirkungspflicht der Leistungsempfänger unter bestimmten Bedingungen nach wie vor auch eine Totalsanktionierung möglich sei. Für DGB-Vertreter Künkler ist hingegen „Geist und Tenor des Urteils“ anders. Das Gericht habe deutlich gemacht, dass alle Leistungskürzungen über 30 Prozent hinaus „hochproblematisch sind“, sagte er.
Kritik übte Künkler auch an den Eingliederungsvereinbarungen zwischen Jobcentern und Leistungsempfängern. Es gebe hier eine deutliche Machtasymmetrie zugunsten der Jobcenter.
Peter Kupka vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) forderte mehr Transparenz im Zusammenhang mit den Eingliederungsvereinbarungen. Viele Betroffene wüssten nicht, dass mit den Eingliederungsvereinbarungen auch Sanktionierungen begründet werden könnten. „Ziel muss ein gemeinsamer Prozess sein, in dem auch die Betroffenen ihre Meinung äußern und an der Ausgestaltung dieses Instrumentes mitarbeiten können“, sagte er. Als problematisch erachtet das IAB seiner Aussage nach die scharfen Sanktionen für Unter-25-Jährige. Gerade desorganisierte Jugendliche könnten so den Kontakt zum Jobcenter verlieren und in die Kleinkriminalität abrutschen, wenn ihnen durch Sanktionen Wasser und Strom abgedreht werde, warnte Kupka.
Aus Sicht der Diakonie Deutschland schüren Zwang und das Gefühl der Fremdbestimmung das Misstrauen gegenüber der Institution Jobcenter. Freiwilligkeit sei wichtig, damit eine Förderung als sinnvoll empfunden werde, sagte Diakonie-Vertreterin Elena Weber.
Die Leistungsberechtigten wollten mit mehr Respekt von den Jobcentern behandelt werden, sagte Tina Hoffmann vom Paritätischen Gesamtverband. Auch müsse das Handeln der Behörden für die Leistungsberechtigten verständlicher und nachvollziehbarer werden. Die Bescheide müssten verständlich formuliert sein, forderte sie und wehrte zugleich die Kritik ab, sie seien dann nicht mehr rechtssicher.