Beamter schildert Amris Ausreiseversuch
Berlin: (hib/WID) Ein Beamter der Bundespolizei hat dem 1. Untersuchungsausschuss („Breitscheidplatz“) ein weiteres Mal die Umstände geschildert, unter denen dem späteren Attentäter Anis Amri im Sommer 2016 die Ausreise aus der Bundesrepublik untersagt wurde. Es sei klar gewesen, dass die deutschen Behörden den Mann nicht einfach hätten ziehen lassen können, lediglich die Begründung sei zunächst offen gewesen, sagte Polizeihauptkommissar Thomas Meier in seiner Vernehmung am Donnerstag. Der heute 43-jährige Zeuge war in der Nacht zum 30. Juli 2016 Dienstgruppenleiter der Bundespolizeiinspektion Konstanz. Seine Zuständigkeit erstreckte sich auch auf nachgeordnete Dienststellen in Singen am Hohentwiel sowie in Friedrichshafen, wo Amri kurz nach Mitternacht auf dem Busbahnhof aufgegriffen wurde.
Der Zeuge betonte, dass die Entscheidung, Amri die Ausreise zu verwehren, letztlich in seiner Polizeiinspektion getroffen wurde. Da dies erst nach Ende seiner Nachtschicht erfolgt sei, habe sein Nachfolger gegen sieben Uhr morgens die Verfügung unterzeichnet. Eine Anweisung einer höheren Dienststelle habe es nicht gegeben, hob Meier hervor. Er habe, berichtete er weiter, bereits zu Beginn seiner Schicht gegen 19.45 Uhr am Vorabend drei Hinweise vorgefunden, dass ein islamistischer Gefährder vermutlich versuchen werde, Deutschland zu verlassen. Er habe die Kollegen in Friedrichshafen daraufhin angewiesen, die im Laufe der Nacht eintreffenden Fernbusse besonders aufmerksam im Auge zu behalten.
Die Beamten vor Ort, die Amri schließlich in einem Flixbus aufstöberten, fanden bei ihm zwei gefälschte italienische Personalausweise. Damit sei klar gewesen, dass er über keine gültigen Reisedokumente verfügte, sagte der Zeuge. Grundsätzlich seien zwei „Werkzeuge“ in Frage gekommen, um eine Ausreiseuntersagung zu begründen. Zum einen hätte dies mit dem Hinweis geschehen können, dass Amri ohne gültige Papiere unterwegs war. Diese „grenzpolizeiliche“ Maßnahme habe in der Entscheidungskompetenz seiner Polizeiinspektion gelegen.
Möglich wäre aber auch gewesen, Amri die Ausreise mit der Begründung zu untersagen, dass er als gewaltgeneigter Islamist eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellte. Dies zu beurteilen, hätte aber allein in der Zuständigkeit einer vorgesetzten Dienststelle gelegen. Er habe daher, sagte der Zeuge, im Laufe der Nacht mehrfach Kontakt mit der Bundespolizeidirektion in Stuttgart und dem Bundespolizeipräsidium in Potsdam aufgenommen. Beide hätten sich dafür ausgesprochen, die Ausreise zu verbieten. Dies sei aber als Empfehlung, nicht als Anordnung aufzufassen gewesen.
Der Zeuge betonte, er selbst habe Zweifel gehegt, dass allein Amris Einstufung als islamistischer Gefährder eine rechtlich unangreifbare Handhabe geboten hätte, ihm die Ausreise zu verwehren. Dass von ihm eine unmittelbare und konkrete Bedrohung ausging, sei in jener Nacht nicht zu erkennen gewesen. Letztlich sei daher die Entscheidung gefallen, ihn wegen fehlender Reisedokumente im Land zu behalten. Das Argument, dass Amri im Sommer 2016 ohnehin vollziehbar ausreisepflichtig war und die Behörden ihn deswegen getrost hätten ziehen lassen könne, wies der Zeuge zurück. Gegenüber der Schweiz oder Italien wäre es nicht zu „legitimieren“ gewesen, eine Gefährder ohne gültige Dokumente über die Grenze zu lassen. Dies hätte auch das internationale Ansehen Deutschlands beschädigen können.