Expertenstreit über Maßnahmengesetze
Berlin: (hib/HAU) Das Vorhaben der Bundesregierung, für bestimmte Verkehrsinfrastrukturprojekte statt über einen Verwaltungsakt per Gesetz Baurecht zu schaffen, findet unter Experten Befürworter und Gegner. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses am Mittwoch zum Regierungsentwurf für ein Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz (19/15619) sowie dem Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich (19/15626) deutlich.
Dieter Posch, ehemaliger Staatsminister für Verkehr in Hessen, sprach sich grundsätzlich für die Möglichkeit der Schaffung von Baurecht durch vom Bundestag beschlossene Maßnahmengesetze aus. Wenn das Parlament aber tatsächlich Herr des Verfahrens sein wolle, dürften nicht - wie im Entwurf geplant - das Eisenbahnbundesamt für Schienenvorhaben und die Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt für Wasserstraßenvorhaben Träger des Vorhabens sein, sondern das Parlament. Liege die Verantwortung bei der Verwaltung, unterscheide sich das Verfahren im Prinzip nicht von der Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens, sagte Posch. Wichtig, so der Staatsminister a.D., sei eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung, die nicht erst dann stattfinden dürfe, „wenn die Planungen im Grunde fertig sind“.
Aus Sicht von Christian Funke, Geschäftsführer des Vereins Pro Mobilität, ist davon auszugehen, „dass in der Praxis eine wirksame Beschleunigung der Infrastrukturprojekte durch Maßnahmengesetze erreicht werden kann“. Bei den im Gesetzentwurf vorgesehenen zwölf Projekten seien die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Baurechtschaffung durch Parlamentsentscheid gegeben, da diese systemrelevant seien - es also „ohne diese Maßnahmen überregional sehr viel schlechter laufen würde“. Eine Entscheidung des Bundestages über eine Baumaßnahme, statt einer Verwaltung, sollte aus seiner Sicht auch zu einer höheren Akzeptanz der Projekte führen. „Nicht verkehrt“ wäre es laut Funke, nach einer gewissen Zeit eine solche Regelung auch für ein Straßenbauprojekt anzudenken.
Jens Bergmann, Vorstand Netzplanung und Großprojekte der DB Netz AG, betonte, die geplanten Änderungen würden signifikant zur Beschleunigung im Bereich der Schieneninfrastruktur beitragen. Der Bahnvertreter begrüßte zudem die geplante frühe Öffentlichkeitsbeteiligung, die von der DB Netz AG ohnehin durchgeführt werde. Mit Blick auf das bei bestimmten Vorhaben durchzuführende Raumordnungsverfahren, in dem die Öffentlichkeit zu beteiligen sei, das aber keinen bindenden Charakter habe, sah Bergmann Optimierungsmöglichkeiten. Seiner Auffassung nach könnten im Interesse eines schnelleren Planungsprozesses die Belange der Raumordnung im Planfeststellungsverfahren mitbehandelt werden.
Michael Zschiesche, Geschäftsführer des „Unabhängigen Instituts für Umweltfragen“, geht hingegen davon aus, dass das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz die Planung für die Verkehrsinfrastrukturprojekte sogar verlängern werde. Der praktische Nutzen erschließe sich ihm für die enorm aufwändige, nacheinander ablaufende Planung durch die Fachbehörde und in der Folge den Bundestag nicht. „Ein Beschleunigungseffekt kann so nicht eintreten“, befand er. Die Planung werde zudem teurer. Das alles zu testen, „um den Rechtsschutz einzuschränken“, verkenne, dass es in den Bereichen Schienenwege und Wasserstraßen ohnehin nur wenige Verbandsklagen gebe, sagte Zschiesche. Nachhaltiger im Sinne einer Planungsbeschleunigung wäre es seiner Auffassung nach, die zuständigen Ämter und Behörden mit den benötigten Mitteln auszustatten.
Laura von Vittorelli vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hält das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz für europarechtswidrig. Deutschland drohe damit das nächste Verfahren, warnte sie mit Blick auf die gescheiterte Pkw-Maut. Auch Vittorelli vermochte keine Beschleunigungseffekte auszumachen. Es werde ein Behördenverfahren laufen, über dessen Ergebnisse dann der Bundestag diskutieren werde. Kritisch bewertete sie, dass es künftig bei derartig geführten Planungen keine adäquaten Klagemöglichkeiten gebe. Den Verweis auf die Verfassungsbeschwerde als Klagemöglichkeit bewertete sie als „nicht zielführend“. Die sich daraus ergebende Rechtsunsicherheit sei „tödlich“ für Projekte, von denen viele im Grunde sinnvoll seien, gab sie zu bedenken.
Jörg Sommer, Direktor des Berlin Institut für Partizipation, kritisierte, im Gesetzentwurf sei weder der Zeitpunkt für die „frühen Öffentlichkeitsbeteiligung“ noch deren Ausgestaltung klar definiert. Es gebe einen deutlichen Unterschied zwischen der Bürgerbeteiligung und der Verbändebeteiligung, sagte Sommer. Benötigt werde beides, betonte er. Dazu brauche es klare Vorgaben im Gesetz. Wichtig sei zudem, dass die Öffentlichkeitsbeteiligung nicht nur aus der Übermittlung von Informationen über das Vorhaben besteht, sondern auch der Diskurs ermöglicht werde, sagte Sommer.
Von einem „experimentellen Verfahren“ sprach Professor Jan Ziekow vom Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung in Speyer. Im Koalitionsvertrag von Union und SPD sei ganz bewusst von einem Pilotvorhaben die Rede gewesen, mit dem auch der Bundestag Erfahrungen sammeln kann, wie mit einem solchen Verfahren umzugehen ist, sagte er. Daher, so seine Anregung, sollte der Kreis der Vorhaben „nicht all zu groß gezogen werden“. Deren Priorisierung sollte allerdings nicht der Verwaltung überlassen werden, sagte Ziekow. Aktuelle sehe er nicht, dass etwa das Eisenbahnbundesamt angehalten ist, die im Gesetz genannten Vorhaben vorzuziehen.
Andreas Otto von der Arbeitsgemeinschaft Norddeutscher Industrie- und Handelskammern befürwortete die Maßnahmen zur Planungsbeschleunigung, machte jedoch deutlich, dass Maßnahmengesetze nur bei besonderen Projekten zum Einsatz kommen sollten und nicht zur Regelplanung werden dürften. Zu bedauern sei aus norddeutscher Sicht, so Otto, dass - anders als noch im Referentenentwurf - in dem vorliegenden Entwurf des Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes die Projekte Unterweser und Marschbahn nicht mehr enthalten seien. Diese seien aber „bedeutend für ganz Deutschland“, betonte er.