„Mehr Mehrheitsentscheidungen in EU“
Berlin: (hib/JOH) Die früheren Mitglieder des Europäischen Parlaments Elmar Brok (CDU) und Jo Leinen (SPD) haben sich am Mittwochnachmittag im Europaausschuss für einen Übergang zu qualifizierten Mehrheitsentscheidungen in ausgewählten Politikbereichen der EU ausgesprochen. „Wo es keine Mehrheitsentscheidungen gibt, funktioniert die Europäische Union nicht“, urteilte Brok in dem rund zweistündigen öffentlichen Fachgespräch. In elementaren Bereichen wie der Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Haushaltspolitik sei die Gemeinschaft entscheidungsunfähig, obwohl der Vertrag von Lissabon die Anwendung von Mehrheitsbeschlüssen durchaus vorsehe. Diese müssten jedoch vom Europäischen Rat einstimmig beschlossen werden, was die Staats- und Regierungschefs der 28 Mitgliedstaaten aber in der Regel verhinderten.
Jo Leinen sagte, es sei „ein Armutszeugnis erster Klasse, dass die EU in entscheidenden Fragen wie Menschenrechten und Demokratie nicht mit einer Stimme spricht“. Er betonte, ohne Mehrheitsentscheid hätte es den Europäischen Binnenmarkt, der mit seinen hohen Umwelt- und Verbraucherschutzstandards eine Erfolgsgeschichte sei, nie gegeben. Mit Blick auf das Agieren Chinas und der USA sowie die Herausforderungen durch Digitalisierung und Klimawandel konstatierte er: „Der Mehrheitsentscheid muss in der EU zur Standardmethode in Bereichen werden, in denen die Mitgliedstaaten allein nicht handlungsfähig sind.“
Der frühere Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz (SPD), bezeichnete den Willen zum gemeinsamen Handeln als überlebensnotwendig für die EU. Den Staats- und Regierungschefs, die den Europäischen Rat seiner Ansicht nach de facto zu einem Organ der EU gemacht und das Einstimmigkeitsprinzip so „durch die Hintertür“ wiedereingeführt hätten, warf er vor: „Das Problem sind Sie.“ Indem die Staatenvertreter in Brüssel in erster Linie ihre nationalen Interessen verträten, relativierten sie die Effizienz der Gemeinschaftsmethode.
Schulz sprach sich demgegenüber für eine „effiziente Föderalisierung“ der Europäischen Union aus, bei der Kompetenzübertragungen auch Mehrheitsentscheide nach sich ziehen sollten. Auf der anderen Seite müsse aber auch ein Rücktransfer von Kompetenzen in die Mitgliedstaaten zugelassen werden, da nicht alles sinnvollerweise auf EU-Ebene entschieden werden müsse.
Aus der Unionsfraktion kam überwiegend Zustimmung für diese Positionen, jedoch verwies Detlef Seif (CDU) auf „eigene Interessen und Konzepte“ in den Mitgliedstaaten, die berücksichtigt werden müssten. Er halte es daher für „eher gefährlich, mit aller Gewalt am System herumzurütteln“.
Harald Weyel (AfD) urteilte, Mehrheitsentscheidungen würden Fehlentscheidungen „nur noch effizienter durchsetzen“. Gemeinsame Sozialkassen und Transaktionssteuern seien außerdem mit der Verfassung nicht vereinbar.
Andrej Hunko (Die Linke) sagte, seine Fraktion könne sich Mehrheitsentscheide im Bereich der Steuerpolitik sowie der Arbeits- und Sozialpolitik vorstellen, weniger jedoch bei der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP). Er verwies auf die Russlandsanktionen der EU, die seine Fraktion kritisch sieht. Außerdem sei es gut gewesen, dass die EU auf Druck einiger Mitgliedstaaten zurückhaltend auf die „verfassungswidrige Anerkennung“ des venezuelanischen Gegenpräsidenten reagiert habe.
Carl-Julius Cronenberg (FDP) hingegen befürwortete gerade im Bereich der GASP Mehrheitsentscheide und lobte die neue EU-Kommission dafür, dass sie dieses Instrument in Zukunft ausbauen wolle. Franziska Brantner (Grüne) nannte Mehrheitsentscheide insbesondere in der Steuerpolitik und zur Vermeidung von Steueroasen und Steuerhinterziehung notwendig, jedoch würde dies von den Nationalstaaten bisher kaum unterstützt.